J
Christian
Ludwig Liscow
in seiner
litterarisclien
Laufbahn
■r
Berthold Litzmann
4
CHEISTIAN LUDWIG LISCOW
IN
SEINEE LIIT££AKi8CU£N LAUEBAUN
BERTHULD LITZMANN.
^ l.'NlV£r<l.iTY
HAMBUBG UHD LEIPZIG,
VERLAG YOK LEOPOLD VOSS.
188S.
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Den Freunden:
EßNST Gerlach in Kiel.
Ernst Delbrück u Berlin.
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In halt:
Vorbemerkuag VII
I. Litterarische AnTäiig-e ]!Ha!izel3 Rocht der Natur; C. IT. Laiigea
Pifitistnus 1
II. Sivera und Philippi 3(>
III. Journalistische Thätigkeit bis zum Jahre 1739 106
TV. Daa Vftrhältnia zu Gottsched.
Die Vorrede zum Longin. Journalistische Thätigkeit an den ^
DrcHrliiischi'u Nachrichten 122
Anhang :
T Zum Streite mit Sivera 145
IT. Briefe von Joachim Friedrich Liscow an Gottsched 148
ni. Christian Ludwig Liscow an Gottsched 155
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Yorbemerkuüg.
Trotzdem nahe/u vierzig Jakre seit dem JErschoinen der vor-
trefllichen Monographien von K. G. Helbio/ G. C, F. Lisch* und
J. Olassen^ veistricken» glaube ick nicht, daas man der naohsteheu-
den Sohrift mit Recht den Einwand wird eni^gegen halten können,
dafe die Akten über Liscow bereits geschlossen seien.
Mir will vielmehr scheinen, als ob die Gefahr einer falschen
Beurteilung von Liscows litterarischer Bedeutung heute mindestens
ebenso nahe Liegt, wie vor fünfzig bis aeohzig Jahren. Nur mit
dem Unterschiede, dafs wir uns jieute vor einer Überschätzung
des Mannes in acht zu nehmen haben, welcher damals kaum der
Beachtung wert gehalten wurde.
Ich hoffe, dafs es mir gelungen ist, diese Klippe glücklich zu
umschiffen, jedenfalls war mein Hauptbestieben darauf gerichtet
Ich hoffe aber auch nicht, wie Danzbl^ s. Z., dadurch in das andere
Extrem einer ungerechten Aburteilung yer&llen zu sein.
' Chrittian Ludtoig ViMma. Ei» ßtUrag jkt LUtratuT' »nd KmUurgwhichu de» acMtteinten
AlArtimdiirM. iKwA tücom Alferm hm M. 8äch». Smtpt-Slaalt-ArMM triMf imdtm Utt0uihMffM.
DT««teii und Leipzig 1844.
* Chritlkm Ludwig Li»oo»$ Leben nach den Acten de* groitherxogiich - mtUenitirgltckem Gdieimm
tmd Uaup(-Ankiw9 und andern Originidquelkn. Schwerin 1845. (8. A. ans ilcn JokrVUAtrn de» FWvfwt
ür HuMmIwryiMilc OmtUckte mmI AUtrtiamulmm^.)
* tUbtr CkrUäm Imdm^ UtMm Mm wmI AM/tm. Zliie Qeleceiib«ltmclulft. Ltttwck
4«.
« «oMmM innI «lim Xitt. hOjf^ 1W5. 8. 232 ff.
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vni
Bekanntlicli hat Davsrl gegen das Wort von Gervikus:
IjISCOW sei im gewissen Sinne ein Vorgfinger Lessings, Protest er-
hoben: ., Lieber Gott! wenn Lessing nichts gewesen wäre, als ein
Nachfolger Lisoowsl"
Das helfet die Sache yeidrohetk. Ein Vorläufer Lbbsinos ist
Liscow zweifellos gewesen, ebenso wie Göttschied.
Beide Iwibt n LESsiNä vorge;ir])eitet, beide haben gewisse Hin-
dernisse ihm aus dem Wege geschafft, für die Aufoahme gewisser
Ideen den Boden emp&ngüoh gemacht.
Wie ein gewaltiger Orkan, der die Lnfk reinigt nnd morsche
Stämme zersplittert, ist Lbssing dnrch die denisohe Litteratur
gefahren; nnd wie ein Wirbelwind, der mit dem Staub der Heer-
strai'se, welken Blättern und anderen ^Nichtigkeiten sein Spiel treibt,
geht Liscow ror ihm auf.
Gerade eine Äolserung Danzbls über Lbssing, welche er bei
Gelegenheit der [.iAteraturhriefe*^ thut, läist die unleugbare Verwandt-
scliaft Liscows mit einer Seite Le.ssinüs wunderbar klar hervor-
treten:' „Man hat es LESSiNOen verdacht," schreibt D., „dafs er
sich in den Literaturbriefen bisweilen mit so ganz elenden Scribenten
abgegeben, und sogar
corrigirt habe Aber es kam nun einmal daqials noch erst
darauf au, solche Dinge aus der Literatur hinaus ;!U verweisen in
das Gebiet der Privatstylübungen " u. s. w.
Was waren denn Liscows Scharmützel mit SiVBBs, Philippi,
Makzel und Genossen anders als das Vorspiel hierzu?'
Auf der andern Seite aber dürfen wir auch nicht verkennen,
dafs schon früh Liscow stark iiberscbätzt worden ist.
Fmi noch bei Lebzeiten verschollen uud von der grolsen
Menge Teigessen, war es sein Schicksal hin und wieder von littera-
• DANZKL und <H HitAT KTt. (ii}tn,,,td Fj,hn<im Lf^f'in:,. 2- Aufl 1S80. I. 8. 384.
* Nach LBSSIMO» onteu Ausfall ge^en LAXas «chreibt UZ (21. MArz 1764): «LBBSIMU . .
hat dem Veni«1iiBeB nMh. bereits eine tnftent belftoidie Verftutwoitniif fit Taeehenfmiuit tmil sa
einem Vademecnm fftr Herrn Pastor LAMUKn drtielMin Itm». LANOR verliert ohnfehlbar; und
•einer ÜbenetsnoRf iat auch so elend, dar» sie einen nenen LiscoW gar wohl verdienet liot."
«Ml JHJkann Beter Ux an einen Freund au» den Jtütren — 92. Herantgegeben von AuaVflT
HnmSBBBaXB. LOpOg 1M6. 8. 81.)
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IX.
nschen Feinsohmeokern entdeckt zn verden, welche dann in gereclitem
Erstaunen, dafs ein so auzieheuder Schriftsteller nicht mehr bekannt
sei, leicht den Mund etwas voll nahmen.^
Liscow ist keine epochemachende Erscheinung, dazu fehlt ihm
vor allem die Initiative. Er hedaxf stete eines Anstolses von anisen,
er läfst die Dinge an sich herankommen; es ist ihm bequem, si<$h
als Werkzeug gebrauchen zu lassen. Eigentlicher Ehrgeiz ist ihm,
wie Swift, mit dem er so oft verglichen wird, fremd. Damit Hand
in Hand geht eine merkwürdige Scheu sich an groibe, seines Talentes
würdige Aufgaben zu wagen. Greistem höhem Banges geht er förm-
lich aus dem "Wege; nicht ans Furcht, sondern aus Bequemlichkeit.
"Leute wie Dippel, J. J. Lanük, werden nur gelegentlich ei wuiint.
Auf PuiLipPi wird die ganze Schale des Zornes ausgegossen, und
der Kanzler von LuDSwia geht leer aus. SiVERS wird mit Keulen
totgeschlagen, Mfinner wie WiODintR in Bostock, v. Seilen und
Cabpzov in Lübeck werden nur leise gestreift. Auch mit Gottsched
würde er sicher nicht angebunden haben, wenn in Dresden nicht
König einen so starken Eiuiiui's auf ihn ausgeübt hätte.
Indem er scheinbar ganz selbständig seinen Weg geht, dient er in
Wirklichkeit, ohne sich dessen bewnlst zu sein, den Absichten gewisser
Koterien. Der gleichzeitigen schönwissenschaftlichen Litteratnr steht er
anfangs, seinen Schriften nach zu urteilen, völlig teilnahinlos gegenüber.
Einer Anregung von aufsen nachgebend, tritt er für kurze Zeit
in den Vordergrund des litterarischen Interesses, und scheint die
Führerrolle gegen G-ottschbd übernehmen zu wollen. Allein kaum
hört mit Kontos Tode die fortwährende Anstadielung auf, so legt
Liscow die i^'eder aus der Hand.
1 J. V. MOllbb SD QlKlU 27. Mal 17S1. «Ich habe LiBCOW aagalnigen; kein «Ictttaeher
w ir jo laimiper, er ist Originul. Man »olttf .lic Natnon SiEVKns, rinr.im ru-. mit enjrllschen
tauschen uad LISCOW ala aoa dem Bogliaclieu nbcractzt hcrauBscbcn; DcuttichUiud wQrd« ihn uiit
EntKOeken leaan n. s. w.**
Derselbe an dciiHclbou 2. August 1781. ,Mich labet Insmer noch LlsCOW, u<ler vielmehr er
«nohOttcrt mein Zwerchfell. Einen vritzlgcm Hann habe ich ni« unter einer Nation ^'funden, ata
dieaen, den die seinig^c vergirst." Bnef* dtutttiker OtMrten ttt. B. 208. 24S.
Vgl auch (SaNDKR) Pu/iiere (Ut Kleeblatts oder Fcksfeiniana, Brundiuna >.nd Amlrexiunu.
Meldorf nnd Leipzig 1787. 20:?ff. (.1. J. STOLZ?) Litcowa Lob «Ter teM«ehten Sc/tri/Meller wm
einftn ^Uuylen »cfUechfen Schri/Uteitfr »einen Mitbrüder» Mf* WOkrm WoUw^tUß Vfid aufrichtiger
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Einige Rezenaioneii atu der letzten Zeit verraten VerstHndnis
für Poesie, das jedoch mehr durch grändliphes Studium der alten
und iieueu Litteraturen erworben, als ihm augeboren zu sein scheint.
Er selbst ist auch kein Satiren-Dichter, sondern nur
satirischer Famphletist. Nur selten maoht er den Yersaoh, wie
im „mtkr ClifUm"' und dem ,,Glauhwwrdig€n BerieM^ eine Art von
Fabel frei zu erfinden; er beornü^ sich meist damit, die aus den
moralischen Wookeuschrifteu gelilutige Form eines tiugierteu Brietös
zn verwenden; Bedürfnis nach weiterer poetisdier Ausschmückung
soheint für ihn nicht vorhanden. Seine Sprache ist stellenweise
nicht ohne Schwung, aber arm an Bildern. Ihr Hauptreiz hemht
in der witzi<^en Dialektik, Auf Wahl der Worte und Gefällig:keit
des Satisbaus wird sehr viel Sorgfalt verwandt. Die einzeln ge-
druckten Satiren werden für die Ausgabe von 1739 einer Neu-
Bedflktion unterworfen, und Satz für Satz von stilistischen Härten,
Archaismen und dergl. gesftubert.'
Keiner seiner Zeitgenossen kann sich in der Vollendung des
Frosastiles mit ihm messen ; seine Sprache ist auch heute noch nicht
veraltet.
Den litteniiisohen Entwiokelnngsigang dieses Mannes zu ver-
folgen und darzustellen, war der Zweck der nachstehenden Ab«
handlun<,^ Es hi^^ mir dabei vor allem daran, so viel wie möglich
Wiederholung von bereits Bekanntem zu vermeiden, wie auch alles
das beiseite zu lassen, was — wie z. B. seine diplomatische
Thätigkeit — mit Liaccws Beziehungen zur Litteratur nichts zu
thun hat.
Aufeer dem in den oinu^angs erwähnten ^lonographieu ent-
halteneu, resp. bereits früher bekannten Material, haben mir als
Quellen zur Verfügung gestanden:
1. Der GoTTSCHEDsche Briefwechsel, imBesitz derUniveizitäts-
bibliothek in Leipzig, jene unerschöpfliche und unentbehrliche Fund-
> Dm NMiere hierabsr, beaondei» aber dm VvrkAttai» der beiden Awg*beu von IT^ awl
der Ztai^fttok« iB ttMndtr, w«lelM «ineii IntartMutaB Bliiliill«k gewibvfii i» die Art, irie tiali
LiflCOW allmlhlfeh mInMi Stfl heraiuibiidct«, wenl« fadi ilcnmlditl ui ndrer Stalle mlltelleB.
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XI
grabe far jeden, welcher die litterarisdieu Zustände Dentsohlands in
der ersten Httlfte des vorigen Jahrhunderts kennen lernen will. Ich
fühle mich verpflichtet, an dieser StoUo (l»»m Herrn Geh. Hofrat
Prof. Dr. Krehl, als Oberbibliothekar des genannten Instituts, für
die selten liebenswürdige und Urbane Art, in welcher er mir jene
Mannskripte zugttnglioh zu machen gewnfst, den allerherzlichsten
Dank auszusprechen.
2. Lappenberob Sanimhing- der Briefe von und an P. v.
Haobdorn. Diese von L. für den Druck vorbereitete Sammlung*
befindet sieh im Besitz von L.8 Sohn, Heim Landgerichtsdirektor
Dr. Altred Lappehberq in Hamburg; auch diesem für die Freund*
lichkeit und Bereitwilligkeit, mit der er mir die Manuskripte zur
freien Benutzung^ und Verwertung- überlassen hat, hier nochmals
öffentlich den wärmsten Dank aussprechen zu können, ist mir eine
befiondeie fVeude. *
3. Eine kleine Sammlung von Briefen F. v. HAGSDOBNSan
Dr. M. A. WiLCEBNS, die sich auf der Stadtbibliothek zu Ham-
burg befindet.
4. „Neue Irene^. Eine Monatsschrift. Herausgegeben von
Qr, A. V. Halbm. 1806. Oldenburg, in der ScHULZsaohen Buch-
handlung. Dort sind unter dem Titel: ^Eiwas über Liseow; vom
Oanzl. Bath Grahberg** im AprUheft (S. 241 — 293) und im Juni-
heft (S. 109 — 14<j) eine "Reihe von äufserst interessanten Briefen
Liscows und der lirüder H \<}ED0RN abgedruckt, welche weder Lipch
noch Hjblbio gekannt haben. Den Nachweis dieser wertvollen Quelle
danke ich der Freundlichkeit des Herrn Professor Johaknes Classbn
in Hamburg.*
» Vgl. Hamlbiiro- S ha/ttMlfrlrxikon, Ul. S. 63, No. 4» n. IV. 8. «W, Wo. SO.
* leh lioSi» noch im L*ufe dM nichaten Jahrai den wertvollen Iiilinit dieser Sammlung tm
ZiUMininenhange verAfTeuiIicheu 7.11 kOniien. Im Interesse ilcr VollstAiKlii-'kfit ist da/.n die Auabcatung
<ler BU Wolfcuboticl befiudUclicu »Uwjtiivmhrirj«' nutweuUiy, welche mir ziigAugllch zu macben
Iddor bUhcr n Übt tut glnckon weiten.
» Vfrl. Hnm'mr^. Schri/ittUerlt-xikon Vril >^ 36. No, 4676 tim! III S. 63, No. 40. e.
* Fnr die vorlicgeude Arbeit itiud jedoch daraiu nur diiyenjgen Briefe wieder abgedmckt,
wcleho für Lwoow» litterariaelie Wlriuamkelt vmi Bodontiing trincl. Die „VoMbniÜlchmiig*' der «lnlg«i
bahelte teh mir fBr die oben Anm. ä erwtlmte Amgabe der „Easfedontbrifft^ vor.
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XU
Von schwerer zugftngliohem, bisher nicht benutastem Material
sind femer noch die betreffenden Jahrgänge des „Hamburgischen
Cmresjtmdenfen^ — mir zugänglich gemacht durch die hil&b«reite Ge*
tälligkeit des (I:iiiuiliic«'n Direktors der Hamburger Stadt-
bibliothek Herrn Dr. löLKR; — sowie der Hamburgischen gelehrten
Berichte'^ und der „Niedersächsisehe» Nachrichten'^ ^ welche beide
die hiesige Univeisitfttsbibliothek besitei, zu nennen.
Endlich danke ich der Güte des Herrn Oberbibliothekar
Dr. FuKSTKMANX ZU Dresden die Möglichkeit der Verwertung der
„Dnsdniitchen Nachi'iciiten'^ von 174ä, sowie eines eigenhändigen
Manuskripts von Phixippi,
Von den Einzeldrucken der Liscowsdien Satiren haben mir
alle bis auf zwei vorgelegen, Sie wurden mir, abgesehen von denen,
welche ich selbst besitze, zugänglich gemacht durch die Königliche
Bibliothek zu Berlin, die Königliche Bibliothek zu Dresden und
durch die Stadtbibliotheken zu Lübeck, Hamburg und Zürich.
Allen bereits genannten Bibliotheksverwaltnngen, sowie auiser«
dem noch besonders den Herren Geh. Ob. -Regierungsrat Prof. Dr.
LBPßlüß in Berlin, Prof. Dr. Htrzel in Bern, Dr. Cuktiüs iii Lübeck,
vor allem jedoch sämtlichen Herren Beamten der Hamburger
Stadtbibliothek und der hiesigen Universitätsbibliothek
spreche ich fdr die mir im Verlaufe der Arbeit mit Rat und Tat
gewährte Unterstüzung den allerverbindlichst^u Dank aus.
Zur Orientierung sei noch bemerkt, dal's bei den Ci taten
aus der „Sawmktng sakrischer und emsthafter Schriften'', die erste
Ziffer allemal auf den korrektesten (letzten) Druck, welchen
GoEDEKE S. 570 unter N. 1 aufführt, die zweite Ziffer auf den
ebentlu unter 2 verzeiehneleu (ersten) Druck hinweist.
i?'ür eine xliizahl Druckfehler und orthogi-aphische Iukou.se-
quenzen, welche leider- bei der durch Umstände gebotenen starken
Beschleunigung des Druckes nicht ^nz zu vermeiden' waren, mufs
die K^achsicht des Lesers in Ansprueh genommen werden.
Kiel, im September 1883,
Berthold Litzmauu.
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- THr
Of
L Litterarische Anfänge.
Manzels &echt der Natur; 0. fi. Langes Pietismiu.
Über Liscows Jugendjahre ist bekanntUdi eia gewisses Dunkel
TOB jeher yerbreitet gewesen» imd ist es auch heute noch trotz
LiscHs und Helbigs Mitteilungen. Erst etwa Tom Jahre 1780 an,
wo Liscows schriftstellerische Thätipkeit beginnt, läfst sich seiuQ
Laufbahn mit einiger Sicherheit verfolgen.
Anch die nachstehenden Mitteilungen werden über die Schul-
und UniTendtatsjahre wirklich neues Licht kaum verbreiten, da das
einzige Mittel hierfür, die Benutzung bisher unbekannten brieflichen
Materials, für diese Zeit nicht zu Gebote gestanden hat. Immerhin
aber wird einiges von dem Folgenden doch dazu dienen, manche
bisher nur versuchswease schüchtern angesponnene Kombinationen zu
Ende zu führen, durch Beibringung neuer Thatsacheu zu stützen,
und dadurch stellenweise das Dunkel etwas aufzuhellen.
Von den Schnljaliren Liscows ist gar nichts bekannt. Nicht
einmal, wo er die Schule besucht, steht fest. Eine unverbürgte
Tradition versetzt ihn schon für dies& Zeit nach Lübeck.^ Allein
so wahrschemlich dies an und fttr sich ist, ebenso leicht kann eine
Verwechselung mit dem jüngeren Bruder Joachim Friedbich vor-
1 I-TScn (S. l:\ lind 1\) nnd CLAS8EN (8. 5) liemun nls GewÄhrstnann für dies. X:uli-
rioht Dreyes und weisen bd der Gelegenheit auf die ganz besondere ZuverUUiilgkeit der
BBBTBBaeliCB lOttelliuiKm bin. Allein einend baben Drsters Notizen Aber LiSCOW , wie eielt
noch Bpftter herausstellen winl, keineswi-gs den historischen Wert, welchen man ihnen liislii'r bfi/n-
legeo genel^ war, amderaelts fladet sieb eine üochrlcht über Liecow« 8«halseit Oberhaupt gar
ai«ht bal DBBm! Tielmebr fM, M»wett leb sebe, der erMe, weleher Lftbeck ala Ort, wo I>ncow
<U* Schule b«»<u lit liatitii Millt , (ohne die Quelle zu nennen), erwähnt, SCHMIDT VON LÜBECK in
adiit$wir,.-mai.-Pr0i>. Ihr. 1821. Heft 5 S. 3 (vgl. aucb deaielben mtUaimAt 8Mi«n. Altona 1827. S. 185).
Litzhans, l48Cow. 1
Digiii^uu by G(.)0^1c
liegen, welcher erwieseuenuafsen dort zu Beginn der zwanziger Jahre
die Triuia besuchte.
Auch für die folgenden Univer&itätsjahre liegen zunächst nui*
zwei Zahlen vor.
Das (aus Ebchenbachs Atuuäm der ühwersität JRastoeht 1790)
bereits bekannte Datum seiner Immatrikulation in Rostock, der
27. Juni 1718, und das (bisher nicht bekannte} seiner Inskription
zu Jena, der 3. Mai 1721.^
Über den Inhalt dieses so begrenzten Zeitraumes und darüber
hinaus bis zum Jahre 17Sf6 geben einige Fmgerzeige die Familien-
tradition, ein aus jenen Tagen erhaltenes Kollcgienliett und die
hieraus sowie aus Liscows späteren iScluiiten gefolgeiten Veraiu-
tungen und Schlüsse.
Die Familientradition^ weifs zu berichten, er habe das anföng'
liehe Studium der Theologie, infolge eines bei der Feier des Re-
fonuationsfestes in Rostock erregten Ärnei nisses, mit dem der Juris-
prudenz vertaufcht. Liscow habe damals bei einer Disputation
den Tbtzel machen sollen, und vermöge der ihm eigenen scharfen
Dialektik) ganz wider die Abrede, dem Gegner Lvthbr so zugesetzt,
auch den eingreifenden Präses so wenig geschont, dafs dieser die
Disputation aufgehoben und die akademische Behörde den zur Un-
zeit siegbegierigen Dibputanten zur Strafe relegiert habe. Diese
Mafsregel sei denn auch die unmittelbare Veranlassung zum Wechsel
des Studiums gewesen.
Trotz dem sofort in die Augen fallenden Anachronismus — zur
ii ablieben Zeit, 1717, studierte L. noch gar nicht — entbehrt die
' „CHKI9T1AX LlJOWIO LISCOW WlTTKnx-Kf. " .Jciifii'Jer Mntrikrl. Der von HiaBIG Tnit
Kncksiclit auf dos bei LiSCOWa DreaUeucT rapiorcii geriiuileuo „Iloft von THOMASIUS il« jure flccnri"
MUgMproohciMii Veninituiisrt LISCOW habe «aeh aeitwelN In Hülle «tndlcvt, tot wot nteht belzu-
trVtCO» «In si< Ii T.l^TfiWs Xfiiiir in i!i'r Ilullen«or Matrikel nicht fiii(k-t.
^ BileflicUe Mitteilung von LISCUWS OroCsncfiTcn Ta^tor COCU üi Altralüstcdt au «leu Kieler
ProfttMor KOBI>Bf vom 21. Jan. 1815. Im Amtuge abcvdniekt im StaalabSrfttriM^ Maffatim für
SckUswiy-HuUtein-Lauenburfi, 18'2:i, 8. 24" f., freilich in der WelRe, dnfs nirlu ^'anz klar wird,
ob der Vorgmiir in Bostock mit dem Wechsel des ätndiiun« iu direklou ursadtlicheu Zuaan i i n o nh aiig
retvaoht werden tnXL, irle dtei LiBCH 8. % thnt. iMeh besbilchtlst oder nkbt. man wird gut than,
Bich d«rr LlüCHSCbeu AulTurtsiiuK anzuHchlivritC'ii , da es kiiiim denkbar, daf» LiSCOW nach jener
DiBputation«<!<cenfi nnd der daraaf erfolgtea Belegaliou Je darauf rechuen koimtei eine Anstellung als
Geistlicher zu erhalten.
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Anekdote keiiie>\veg.s einer gewissen innern Waluscheiiilichkeit in
der Hauptsache, so entstellt einige Nebenumstäude durch die von
Mund zu Mund fortgepflanzte Überlieferung auch sein mögen. Dies
gilt sowohl fOr den Vorgang selbst wie für seine angeblichen Folgen.
Zunächst wird mit BeziiL, auf d ii Anlafs der Disputation wahr-
scheinlich eine Verwechselung mit dem 1720 gefeierten Jubiläum
der Eostocker Universität vorliegen. Höglicherweise aber haben
wir es auch nur mit einer der damals so gewöhnlichen Disputationen
zu thun, in denen ja bekanntlich die seltsamsten Dinge behauptet *
und verteidigt wurden, und die Überliefemng schlofs dann aus dein
Gegenstand des Streites, derselbe habe aus Anlafs der Eeformatious-
feier stattgefunden.
Dafs aber eine ähnliche Scene sich zwischen Liscow und einem
andern Studenten in einem Rostocker Auditorium abgespielt habe,
dafür spricht nicht zum wenicrsten, dafs der ganze Vorgang schon
denselben Geist kampffrolier Dialektik, der das Sti eilen au sich,
ohne Eücksicht auf den Gegenstand l'reude macht, wiederspiegelt,
der uns in Liscows späteren Schriften so bis zur Schroffheit aus-
geprägt entgegentritt.
Dafs er eine gründliche Veriichtung gegen derartige akademische
Spiegelfechtereien, bei welchen der Ausgang vorher bestimmt sei,
im Herzen hegte, dafür finden wir in seinen Schriften einen schla-
genden Beleg in der 1739 geschriebenen „neuen Vorrede* zu
den ÄfunerJtungen über Manzels „Äbi-ifs eines neuen Hechtes
der X'/fur.-' Makzel, meint er, hal)e in seinen (Ltscows) Kinwi'ufeu
vielleicht nicht „die Deuiuht und Lehrbegierde" gefunden, ,,tlie er
an den sittsamen Jünglingen gewohnt war, die gedungen sind, sich
von ihm überwinden zu lassen, und welche er gemeiniglich, spatzierend,
mit einem majestätischen Lächeln zu Boden zu schlagen pfleget.
Vielleicht hatte ich ihm Dinge vurgesaget, die schwerer zu beant-
worten waren, als die Dubiola, welche drey oder ^ier arme Sünder,
welche er ordentlicher Weise mit vieler Behutsamkeit aus dem
kleinen Häuflein seiner Schüler zu Opponenten aussuchet, mit Furcht
und ZiUem \uu ihrem Zettel abgelesen hatten.**
1*
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Aber auch, dafs Ltfcow aTifany;s Tlieologe gewesen und erst
später sich anderen Studien zugewandt, ist zum mindebteu .sehr
wahrscheinlich. Seine Schriften beweisen einen nicht gewöhnlichen
Grad theologischer Bildung; er zeigt eine grofse VertrauÜieit^ mit
den subtilsten dogmatischen Fragen und bewegt sich in der theo-
logischen Terminologie mit der Sicherheil eines Fachmannes.
Die beiden ersten Schntleu, durch welche er üich m die Litteratur
einführt, sind ausschliefslich theologischen resp. religionsphiloso-
phischen Inhalts. Pas ist doch wohl kein Zufall. Aber mehr als
das. Gerade die eine dieser Schriften beweist nicht nur, daf^ ihr
Verfasser eine jrründliche theologische liiklun^ jienossen haben mufs,
sie beweist aul^ierdeni, dafs derselbe völlig mit dieser Vergangenheit
abgeschlossen hat; sie zeigt ihn als einen Menschen, der verbittert
durch die kleinliche Hadersucht und gehftssige Eetzermacherei der
Mehrzahl seiner zeitgenössischen Amtsgenossen direkt ins feindliche
Lager übergeht und mit den Waffen schärfster theologischer Dialektik
nicht nur gegen die engherzige Fassung der Dogmen zu Felde zieht,
sondern die Grundlage des Dogmas selbst in Frage stellt Liboow
ist einer von denen, welchen die Theologie die Religion verleidet.
^Auf den Akademien**, schreibt er einmal, „unterwies man die, welche
sich dem Dienste der Kirche widmeten, in keiner anderen Wissen-
schaft als in der Kunst, mit den Ketzern um die Wahrheit zu fechten. "
,Und das galt in dieser Zeit gerade für die Universität, auf welcher
Lisoow seine erste Bildung erhielt.
Auf diesen Punkt wird unten noch weiter einzugehen sein;
hier handelt es sich nur clanun, die Glaubwürdigkeit der Tradition
von seinem autänglicheu theologischen Studium durch einige innere
Gründe zu stützen.
Wahrscheinlich ist wohl, dafs mit dem Wechsel der Universität
auch der Wechsel des Studiums zusammenfiel.
Über die D.uier seines Jenenser AuieuthiUtes wissen wir nichts,
über seine dortigen Erlebnisse ebenso wenig. Das einzige Zeugnis
aus jenen Tagen ist das erwähnte Collegienheft „über Qeist&rhhre^*^
es stammt aus dem Jahre 1722. Nach Hblbio (S. 2) dem einzigen,
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der dies früheste von Lrscows Hand erhaltene Dokument f^esehen,
veirät sich der kritische Geist des Nachschreibenden schon in zahl-
reich hmzugefUgten Bandglossen^ in welchen er sich jedoch der ihm
später so geläufigen Form der Ironie noch nicht bedient I Wir
werden gleich sehen, dafs Liscow in der That diese durch ihn in
die (leutsclic Litteratur wieder neu eingeführte Kampfweise fremdem
Beispiel, einer Anregung von aufsen verdankt.
Auf den Gang seiner Studien wirft übrigens dieses Heft wenig
Licht; nicht einmal die Persönlichkeit des Dozenten ist annähernd
sicher zu bestimmen, da der Gegenstand an sich füglich von Lehrern
aller Fakultäten behandelt werden konnte.
Nun hat sich allerdings unter Liscows Papieren noch ein
zweites Heft gefunden, das ein grdfseres Interesse zu erwecken im
Stande wäre, da es einer Vorlesung Thohasiüs seine Entstehung
verdankt. Allein ist es schon zweifelhaft, ob dasselbe überhaupt
von Liscows Hand hen*ührt^, so ist es im günstigsten Falle die Ab-
schrift der Au£seichnung eines dritten, denn Liscow hat nicht in
Halle studiert, also Thomasius nicht gehört.
Aber trotzdem ist die Beschäftigung mit Thomasius und
thomasianischen Ideen, welche doch ans dem Vorliaiulensein dieses
Heltes unter Liscows Papieren zu sthliefsen, innnerliin für die
Kenntnis von Liscows innerer £ntwickeittng ein beachtenswertes
Moment Man wflrde freilich auch ohne das annehmen dürfen,
dafs Liscow mit Thokasiits sich Mh vertraut gemacht, so wenig
sich auch spezitisch thoniasianische Reminiszenzen, die auf eine
Abhängigkeit würden schliefsen lassen, in seinen Schriften fin-
den. Lmoow mufste auf Thomasius geführt werden, durch
seine natürliche innere Verwandschaft mit demselben; eine Ver-
wandschaft, die besonders in die Augen fällt, wenn man die
• So crklflrt »ich viclloiclit dift «cheinliare Wiilpruinnijrkfit in HSLBIOs Äurscruii? (S. 1). liii»
H«ft nOber di« Gtitttr lehrt" „beweise'', dab Liscow lu Jena, unU jeoes ThomaaianUcho
„berechtifre zn der V«rmutllllll^'^ «infs er in Halle attidiert hali«. Ob aber mit CLABSSK
(S. 7) deshalf) auch da» Joiicnser Heft nur all Kopie von rrenitter Hand zu betrachten, scheint
mir nach HBLBIOS Angaben darttber nicht avr«ifelhaft. Ohne Frage Ut letslerea LUCOWMhe*
Origjjial.
^ uj _ 1 y Google
— . 6 —
Stellungnahme beider zum Pietismus prüft; Liscow kommt auf dem-
selben Wege zu denselben Resultaten wie Thomasius, nitlit etwa
unter dem EinäuTü des ältem Zeitgenossen, sondern ganz selbständig
aus sich heraus die Bahn verfolgend, auf welche ihn seine eigene
Natur drttngte.
Mit diesen wenigen schwachen Aur.altspunktcn ist nahezu alles
erschöpft, was wir über Liscows äufsere Lage und iuuern Ent-
wickelungsgang bis zum Jahre 1726 wissen.
Wer seine Lehrer gewesen, ob er zu irgend einem derselben
in einem näheren Verhältnis gestanden, darüber schwebt ein eben
solches Dunkel, wie über seinen Beziehungen zu Alters- und
Studicugenusseu. Aus der Zahl derer, mit welchen er in späterer
Zeit in mehr oder minder reger Verbindung gestanden, wüfste ich
nur einen zu nennen, der nachweislich zugleich mit Liscow in Jena
sich aufhielt, und mit welchem er daher möglicherweise schon da-
mals Verkehr •ie])tiogen. Das ist Cakl Heinrich LAX(iE, aus
Jnliusburg in Schlesien, der seit 1720 in Jena theologischen und
philologischen Studien oblag.
' Seiner wird näher zu gedenken sein bei Gelegenheit von
Lisoows Schrift „Über die UnnäthigMt der guten Werke mr
Seliykcit.'^
Der Aufenthalt der beiden Brüder Hagedorn in Jena fällt in
spätere Jahre (1726 und 17B2). Auch die Gründung der „Teut^
sehen Gesellschaft'* unter Siolles Auspizien erfolgte erst geraume
Zeit nach Liscows Weggänge, 1730. Dafs er dann allerdings einige
Jahre darauf — gegen seinen AVillen — ISlitglied dieser Vereinigung
wurde, und wie sich sein Verhältnis zu derselben gestaltete, wird
an anderer Stelle noch zu erwähnen sein.
In das Jahr 1726 hat Liscow selbst den Beginn seiner litte-
rarischen Thätigkeit gesetzt. Nach der Vorrede zum ersten Druck
seiner ^Ämierhungeti in Form eines Briefes" ^) soll diese Schrift,
' ..inm^rLunfffn in Form tlneit lirifUi üVr tUn Ahri/i nru<ft Hecht* der Natnr,
welchen tier (S. T.) Herr Frv/. Mum^l :u /toiftvt in einer kleimn ikkri/t, die den Titel /«Are<:
PWmmw Umtie JttrtM ytthmu pert Mi* »eemndim mim« raffenjt principia duckie, der Wat mtt-
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— 7 —
welche erst 17i55 erschien, schon neun Jahre vorher zu Papier ge-
bracht worden sein und zwai' „auf Veranlassung eines gelehrten
mecklenburgischeii Cavalieis''.
Diese Angabe ist aber keineswegs über allen Zweifel erhaben;
ja, L. hat selbst sp&ter in der ^neuen Vorrede'S mit welcher er die
Abhandlung für die Saiuiuluu^ seiner Schriften einleitete, sich in
"Widerspruch mit jeuer ersten Äulseiiing verwickelt. Da. berichtet
er nämlich, 1726 habe er allerdings den „Entschlufs ge£afst^, die
eben erschienene Schrift des Bostocker Professors Manzel« ^Ttimae
Mmeae jmis naturalis vere fafo>^ zu widerlegen, »aber<^ setzt er
hinzu, ,.es blieb dabei." Drei Jahre später sei ihm du<ref;en die
MANZELSche Abhandlung wieder in die Hände gefallen, er ha I m sie
noch eben so wid^legungsbedüiftig gefunden wie vordem, und jetzt,
also 1729, „Anmerkungen darüber gemacht, denen ich die Form
emes Briefes gab.** Von dem „mecklenburgischen Cavalier" ist nicht
mehr die Rede. Trotzdem nun Liscows Schrift thatsächlich, in
tibereinstimmuufi mit jener ersten Angabe, Schwerin den 30. Nov.
1726 datiert und £. v. W. unterzeichnet ist, so wird eine unbe-
fangene Prüfung der Verhältnisse ergeben, dafs L.s erste Angabe
nicht der Wahrheit entsprechen kann. Lisoow, der Sitte der Zeit
gemäfs, liebte es bekanntlich, als Schriftsteller sich hinter allen iiiüg-
lichen Masken zu verbergen; er hat dies Verfahren vor allem in
seinen ersten Schriften gegen SivflRs beobachtet. Dasselbe Versteck-
spiel sehen wir ihn hier bei seinem Erstlingswerk treiben, ohne dafe
er anfangs die Absicht hat, dasselbe durch den Druck bekannt zu
machen. Die Fomi eines Briefes ist ihm bequem und die Fiktion
eines mecklenburgischen Kavaliers als intellektuellen Urhebers be-
lustigt ihn in l^nlicher Weise, wie er in der demnächst zu erwäh-
nenden Abhandlung, für die er ebenfoUs die Briefform wählt, sich
in das Gewand eines orthodoxen lutherischen Pastoren hüllt.
Alle diese Verkleidungen hat er — bis auf die bis
zuletzt festgehaltene Anonymität — in der Vorrede zu der
gethtiUt hat. Kit !, 1735." r>Ic MANZKr.si he Schrift 5i ll)st ist :nit:cli.1ii-t. Mit i inc r ..ncii. n Vorrr dp"
Wieder abgedruckt in der „StuiinUung i^ttfritcHr und Ernslha/ter Schri/ten." Frankfurt uuU Leipzig
17!I9. S. m ff. n»p. 8. 575 ff.
Digiii^uu by G(.)0^1c
Sammlung seiner Schriften, 1739, fallen lassen, wo er über die
Genesis jeder eiuzeliien sich mit grofser Offenlieit und uiuiidliclikeit
verbreitet. Ks liegt dalier gar kein Grund vor, die Angaben, welche
er über die Entstehung auch dieser Abhandlung in der «neuen
Vöirede*" macht, in Zweifel zu ziehen; wonach der Plan allerdings
schon im Jahre 1726 entstanden, jedoch erst 1729 zur AusfÖhnmg
gekommen. Befremden konnte \m dieser Sachlage nur, dafs die
fertige Schritt sechs Jahre auf den Druck habe warten müssen.
Manche haben daher auch mit dem angegriffenen Makzkl {Harn-
Jmrgisehe Berichte 17B5 y. 21. Juni) die ganze Erzilhlung von der
frohen Entstehung der ^AnmerhMgen*^ ftlr erfunden gehalten^ um
den Gegner zu narren, und das Dmckjalir für das der Entstellung
genoimiien. Daun würde diese Schrift nicht nur nicht die älteste,
sondern geradezu die jüngste (von den beiden Vorreden abgesehen)
aller in die Sammlung aufgenommenen Abhandlungen sein.
Allein es wäre dies nicht das einzige Beispiel dafür, dafs L.
druckfertige Mannskripte im Schreibpulte jahrelang zurückbehalten.
Beweis: die Abhandlung „Über die Unnöthigkeit der gutm Wet'Jce jswr
SeUgkeif, welche bekanntlich erst 1803 ans Tageslicht kam. Dann
aber ist doch die Erklärung L.s, dafs er bei Gelegenheit einer im
Frühjahr 1735 über einen andern Gegenstand mit Manzel entstan-
denen litterarischeu Fehde ^kh seines alten Manuskripts erinnert
und um den gar zu anmafsend sich gebahrenden Gegner etwas zu
züchtigen, dasselbe nun doch noch zum Druck befördert habe, viel
wahrscheinlicher, als dafs L. sich daran gemacht haben sollte, im
Jahre 1735 eine 172(3 erschienene, lang vergessene kleine Abhand-
lung seines Gegners so eingehend und ausführlich zu widerlegen.
Manzel war zudem ein Vielschreiber, so dafs, da der Gehalt seiner
Schriften zu deren Menge in umgekehrten Verhältnis stand, Lisoow,
wenn er seinem Gegner zu Leibe wollte, unter dessen Erzeugnissen
nicht HO weit hätte zurückzugreifen brauchen.
Allein noch andere gewichtige (iründe sprechen für ilie frühe
£ntstehungszeit der Schrift: der Stoff, den ae behandelt, und die
Form, in welche Liscow seine Gedankeil eingekleidet hat.
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- 9 —
Zunächst die Form anlangend, so unterscheiden sich darin die
jiAntH&rJßunffen'^ wesentlich yon allen übrigen in die Sammlung
semer Scbriften angenommenen Abhandlungen; sie sind nicht sa-
tirisch, nicht wird in ihnen, wie in den anderen, der Gegner pa-
lodieit, sondern direkt angegriffen, direkt widerlegt. L. nennt sie
daher in der Vorrede zur Gesamtausgabe (S. 48 resp. 65) eine
,,ernsthafte Schriff" und die Bilcksicht darauf war es auch offen-
bar, welche ihn 1739 veranlafste, für die Ausgabe seiner Schriften
den Titel ^Sammlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften'^
zu wählen.
Der Schlufs liegt also nahe, dafs wir es hier in der That mit
einem Erstlingswerk zu thun haben, gerade weil es die von dem Autor
später als s^ Eigenstes herausgebfldete Form noch nicht zeigt.
Freilich auch die beiden für die ^Sammktng*^ geschriebenen Vorreden,
ebenso die Vorrede zur zweiten Auflage des Lonf/iu 1 742, alt<o dem
letzten giöfseren ims von Liscow erhaltenen Schriftstück, kenneu
die ironisch parodierende Form nicht, halten sie jedenfalls nicht
so konsequent fest, wie die aus den Jahren 1730—34 stammenden
„Satgren'*. Man könnte also einwenden, die Sache verhalte sich
gerade umgekehrt: L. habe mit der ironisch parodierenden Form
begüuuen, und habe als „ernsthafter ■ Schriftsteller seine J^uufbubu
beschlossen. Dies in Verbindung mit der Jahreszahl des Druckes
der „Anmerkungen** scheint beün ersten Blick nicht ungeeignet,
alle bisher für die Mhe Entstebungszeit vorgebrachten Argumente-
über den Ilaufeu zu werfen. Aber dafj;ejj:en fällt ins (iewicbt, dafs
eine genaue Prüfung der kleinen Stlirift das Kesultat ertrlbt, dafs
je näher der Verfasser dem Ende kommt, desto mehr seine Behand-
lungsweise des Stofles der ähnlich wird, welche in den Aufsätzen
gegen Sivers und Philippi die herrschende ist. Man bekommt den
Eindniek eines Anfängers, der, ohne isicb selbst darüber klar
zu sein, im Schreiben erst diejenige Form für die Wiedergabe
seiner Gedanken findet, welche seiner Individualität am meisten
entspricht.
•Im Eingang ist es ihm ersichtlich durchaus um eine rein sach-
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Hohe Wideile^uu^f zu tlmn, im weiteren Verlaufe aber häufen
sich die ironischen Wenduncren, miveiliohlen tritt die Neigung
zu Tage, der Sache eine lächerliche Seite abzugewinnen und vor
allem die Peison des Gegners in einem komischen Lichte erscheinen
zu lassen. Die 1735 für den ersten Bruck geschriebene kurze
^VoiTede des Herausgebers" ist dagegen von Anfang^ bis zu Ende
ironisch gehalten.
Mag dem nun aber auch sein, wie ihm wolle, nicht allein die
Form, auch der ui der Schrift behandelte Stoff spricht, wie erwähnt,
für die «frühe Abfassimgszeit derselben.
Es lumdell sich um ein rechtsphilosophisches Problem, bei
dessen Erörterung theologisch-dogniatische Fragen mehr als einmal
gestreift werden* Nun wissen wir aber aus der 1730 geschriebenen
Abhandlung „ Von der Unno^igkeit der guten Werhe^j dafs um diese
Zeit gerade in Liscow ein gewaltip;er religiöser Gärungsprozefs zur
Entscheidung drängte, der denn auch in der erwähnten Schrift, wie
es scheint endgültig, zum Austrag dadurch kam, dafs L. mit seiner
ganzen religiösen Vergangenheit brach. Einem aufmerksamen Leser
wird es aber nicht entgehen können, dafs die ganze Schrift gegen
Maxzel weiter nichts ist, als das erste Symptom dieser Gärung.
Nücli wird der Kampf zwischen Veinuuft und Glauben aul rein
philosophischem Boden ausgefochten, noch wird mit peinheher Sorg-
falt der Offenbarung eine Sonderstellung, ün Sinne Batues frei*
gehalten, ein neutrales Gebiet, das nicht betreten werden darf, aber
schon kann man es zwischen den Zeilen le^^on. dafs die Verletzung
dieser Neutralität nur noch eine Fi a^e der Zeit ist, dafs über kurz
oder lang der Streit sich nicht mehr darum drehen wird, ob gewisse
dogmatische Begriffe auch vemunftmäfsig zu begründen smd, oder
sich lediglich auf die Offenbarung, an der nicht gerüttelt werden
daif, stützen, sondern sich dahin zuspitzen mnfs, dafs sowohl die
Offenbarung wie das auf ihr beruhende Dogma selbst Gegenstand
dieser zersetzenden Kritik werden. Ich werde darauf noch bei Ge-
legenheit jener zweiten Schrift zurückkommen. Hier möchte ich nur
im voraus darauf hingewiesen haben, dafs beide Schriften in einem
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inneren Zusanniienhango in der Weise stahen, dafs die philosophische
die theologische vorbereitet, wie denn in der ersteren die Stellung
des Verfassers zu der orthodoxen Lehre von der ßechtferUgong
durch den Glauben schon, allerdinfi^s sehr vorsichtig, angedeutet wird.
Zunächst ein paai*' Worte iihev die äuiVere Veranlassung und
die l'erson seines ersten Gegners.
Ernst Johaitn Fribdrioii Manzbl, Professor in Eostock (seit
1721 für Moral, seit 1730 in der juristischen Fakultät für das Fach
der Institutionen) war gleich Liscow geborener Mecklenburger und
auch nur wenig älter als dieser (geb. 1699). Gleich Liscow hatte
er in Rostock srtudiert und zwar auch anfangs Theologie, die er
dann mit der Jurisprudenz vertauschte. Dieser Wechsel vollzog sich
im selben Jahre, wo Liscow die Universität Bostock bezog, und da
Manzel aufserdem noch in Wittenberg studierte und schon 1721
piKiiioviert wurde, so ist es zweifelhaft, ob beide Gelegenheit
gehabt, einander persönlich kennen zu lernen. In den .. Anmerkun^eH''
(S. 683. 763) behauptet Liscow, es sei nicht der Fall gewesen; was
freflich nichts beweist, da dem Verfeisser daran lag, unerkannt zu
bleiben. MAiirzm. ist trotz aller seiner Schwächen, welche ja in den
von Li8Cüw ^vi(lerle^t(Ml ..Trimnc lineae juris naturaUs rrre taUs''
wie in der später ebenfalls von Liscow (in den Nicdcrsächsischm
Nackriehtm 1735 22stes Stück vom 17. März; wieder abgedruckt in
der Sammtung S. 786fF. resp. 873ff.) scharf mitgenommenen „Disser-
tatio de jurisfymäenÜa ftaluHs cimum aeternae raÜonem hahente.
Küsiuckii 17H5" so (itfen zu Ta^^e tieten, und trotzdem, dafs ihm
Liscow später^ unter den elenden Skribenten den Platz neben !äiv£iis,
Phiuppi und Rodigast anweist, von GoTTSCUEn und Ebinbeck ab>
gesehen, zweifeUos der würdigste Gegner Liscows, und man tbut
ihm Unrecht, wenn man ihn als ein Pendant zu Philippi betrachtet.
Freilich ist damit iiolIi nicht allzu viel gesagt. Aber immerhin war
MA17ZEL eine Persönlichkeit, welche in ihrem allerdings beschränkten
■ Dl« tmfVAHZtS. besflcrlleh«» St«llm UnAm «Idi In den Blnselilrocfcra der Sntlre »Vm
Vrr'rffßhM-cU Af,-. ,h,- .t.'n.f.n iscri'fntfn'' von 1784 und 1736 ««ch alclitt »ie sind errt d«r
letzten Redaktion fOr die ^!^tmmlung^ cingeschobeu.
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— 12 —
Wirkungskreis ein Ansehen uiul einen Einflnfs beftafs. um dessent-
willen es sich wol verlohnte, mit ihr anzubinden und zu prüfen, ob
der £uf sich auf wirkliebe Verdienste stfttze.
Das Resultat war fttr Lisoow in der Hauptsache ein negativeB,
und die Nachwelt hat keine Veranlassung, ^eses Ergebnis weBentlich
zu nioditiziei eil. Manzel erscheint als ein tnxkeuer Pedant, voll-
gestopft mit maucheriei Wissen, das er nur zur Hälfte verdaut hat,
dem Yor allen Dingen seine theologische Vergangenheit fortwährend
Streiche spielt, und ihn nie zu einer klaren philosophischen Beweis-
föhiiing gelangen IMfst. In seinem Versuch, den Stand der Unschuld
aus der Vernunft zu beweisen, nimmt er alle Augenblicke seine
Zuflucht zur Autorität der Otlenbarung oder „fafst", Lisoow
ihm vorwirft» die ^Horner des Altars**, und in der vorhin erwähnten
DissertaHo de jurispruäenUa etc. vom Jahre 1735, welche mittelbar
die Veranlassung zur Veröffentlichung von Liscows „Anmerkungen'*
wurde, ^ setzt er sich gar die Aufgabe, zu beweisen, die Jurif^prudenz
habe die ewige Seligkeit zum £ndzweck.
Was nun Liscows „Amnerhungm'* selbst betnüt, so ist zu-
nächst ein Umstand, der bei der Lektüre sofort in die Augen springt,
vielleicht geeignet, in das Dunkel, in welches für die zweite Hälfte
der zwanziger Jahre Liscows äui^ere Lebensverhältnisse gehüllt siud,
einiges Licht fallen zu lassen.
Die Schrift zeugt von einem gründlichen Studium der franzö-
sischen Litteratur, vor allem der Werke Bayles tmd Montaionbb;
ja, die Anregung hat wahrscheinlich geradezu die Lektüre des erst-
erwähnten gegeben. Ninnut man nun hinzu, dals aus den modenien
Litteraturen fast ausschUefsUch nur die französische Belletristik in
den Citaten berücksichtigt wird, so ist man sehr geneigt, mit Classbit
(S. 7.) der „unbestimmten Familientradition" Glauben beizumessen,
welche Liscow in diesen .Jahren einen jungen Edelmann auf Reisen
begleiten läfst, und vor allem einen längereu Auleuthalt iu Fi'ank«
reich anzunehmen.
< SetmuUurnff S. 52& t re»p. f.
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— IS —
Ob auch in England, scheint mir dagegen nicht so wahr-
scheinlich. tjberhaii])t ist der Einfiufs der englisclim Litteratin
auf LiBcow til>erschätzt worden, man nennt vor allem Locke nßd
Swift als Beine Vorbilder.
Nun, wenn irgendwo, so mufste gerade in den „Anmerhungm*^ '
die Einwirkung Loorbs Bich geltend machen, aUein in der ganzen
Sciirift findet sicli keino einzige scheinbare Anlehnung an LocKEsche
Ideen, welche sich nicht bei näherer Betrachtung eben so gut als
mehr oder minder selbständige Spekulation, angeregt durch die
Lektüre Batlbs, deuten liefse.
Es ist doch wohl auch kein Znfall, dafs Liscow, der ideich
MoNTAKixE. SO viel und so gern citiert, in allen seinen Abhandlun^on
nur einmal ^ ^?win und dessen Tale of a Tuh erwähnt, und d&is
L0CKS8 Name in keiner seiner Schriften je vorkonunt
So wenig dies Argument auch sonst, wenn es sich um irgend
einen andern handelte, ins Gewicht fallen dtkrfte, so beachtenswert
ist es bei einem Manne wie Liscow', dessen Citierfreudi^keii .-dum
den Zeitgenossen über das ^lafs des Krlaubten zu gehen scliien.
Wir werden noch später auf die Sache zurttckkommen bei der Frage,
wie stellt sich Liscows Satire zu der Swifts.
Ehe ich auf den Inhalt der „Anmerkungen'' eingehe, möchte
ich noch einen Augenbiuk bei der Form verweilen, welche L.
seinem Erstlingswerk gegeben. Bekanntlich ist einer der
Hauptfehler des Lxsoowschen Stiles, den man besonders auch an
der meist genannten (aber mit Unrecht als sein bestes StOck be-
trachteten) seiner spätem Satiren „ Von der Vortrefßkhhmt und
Nothwemhgkeit der elenden Scrihenten'^ gerügt hat, eine ungebühr-
liche Breite und Weitschweifigkeit in der Entwickelung.
Die „Amierhungen** lassen zwar hier und da auch an Knapp-
heit zu wünschen übrig, es finden sich manche Wiederholungen, die
man gern entbehrte, aber im grofsen und ganzen macht sich in
ihnen die Neigung Liscows zur Weitschweifigkeit m einem füi* ein
1 Anmnlime 8. 1S2. 209.
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— 14 —
Erstlingswerk geradezu auffallend geringen Grade bemerldicli.
Trotzdeui die Sclnift eine der iimfaugieiclLsteu aus Lrscows Feder,
ist^ sie im iirofseu und ganzen präziser gefafst , bringt sie weniger
nebensächliches als manche der kürzeren Schriften aus den folgen-
' den Jahren. Die Erklärung für diese eigentümliche Erscheinung
liegt in dem behandelten Stoflfe. Je höhere Aufgaben sich Liscow
stellte, desto mehr wuchsen ihm die Kräfte; wie am besten seine
zweite Schrift „Von der ünnöthigkeit der guten Werke,'* beweist,
welche durch kerne seiner späteren, welche seinen Euhm begründeten,
an Lebendigkeit der Barstellung, Schärfe der Begiiffsentwickelung,
Geschlossenheit der Komposition, Witz und Laune übeitroffen
worden ist.
Äufserst glücklich ist die Wahl des Mottos, (ohne ein solches
hat er selten eme Schrift veröffentlicht) das seuien Standpunkt und
den des Gegners aufe schärfste präzisiert.: Cicero de natura deo-
rem III: Mihi .... unum satis erat ita nobis majores nostros
tradidisse. Sed tu auctoritates omnes cuiitemiii.s, ratione pugnas.
Patere igitur ratiouem meam cum tua ratione contendere/'
Manzel hat den Versuch gemacht mit Vemunflgründen etwas
zu beweisen, was lediglich Sache des Gkubens aus der Offenbarung
ist. Für die Kon.«itruktion seines neuen Xatiu rechts, welches er
aus den Verhältnissen der Menschlieit vor dem Sttndenfall, also hu
Stande der Unschuld, herleitet, fühlt er sich bewogen das einstige
Vorhandenseüi eüies solchen Standes der Unschuld philosophisch zu
beweisen.
Lisrow weist ihm nun ruuki lur I'uukL das Verfehlte dieses
Versuches nach, vor allem, dals Manzel, trotzdem er sich den An-
scheui phUosophischer Methode giebt, alle Augenblicke seüie
scheinbaren Vemunftgrfinde durch Berufung auf die Offenbarung zu
stutzen versucht, oder wie er sich einmal einmal mit einer vorzüg*
lieh gewählten Metapher ausdrückt „unter die Canonen der
Kirche retirirt." Dauat wird der Ütlenbarung selbst keines-
wegs zu nahe getreten. Lisoow ver^'ahrt sich am Eingang wie am
Schlufs auf das nachdrücklichste gegen den Verdacht, dafs, weil er
— 15 —
die Mönfliclikeit der Begiünduug des Standes der Uusclmld aus der
Vernunft leugne , er das Vorhaodenseia eines solchen selbst in Ab-
rede stelle. „Ich weifs wohl, was man den Scbriften Mosis für
Ehrerbietung schuldig ist.** Es handele sich für ihn nur um den
Beweis, dafs das p:anze Verfahren seines Gejniers auf eine uichtij»e
Fiktion «ich stütze: „Wir sind beide orthodox, ob wir gleich etwas
sagen, das mit den Meinungen unserer Gottesgelehrten streitet.''
Allein grade dies ist eine Fiktion Liscows, thatsäcUich ist
der Geist der Schrift so schroff antiorthodox wie nur möglich.
Wie Bayle mag er die Absicht haben, in den l'üllen, wo die Ver-
nunft mit der Offenbarung in offenbarem AViderspruch steht, erstere
unter den Grlauben zu beugen („Lorsqne la raison dit une chose et
la T^T^hkÜon une autre, nous devons fenner Toreiile a la Toix de
la raison.*' Batlb, Contmmfhn des pensSes diverses § 56); er
scheitert wie jener bei der An^tnhrung.
So bleibt er nicht dabei stehen, die Unmöglichkeit der ver-
nunftmäfsigen B^ründung des Zustandes der Unschuld, wie ihn
die Offenbarung Idirt, nachzuweisen, sondern er geht weiter, er
seinerseits konstruiert einen Zustand der Unschuld, der der Offen-
baning wider.spricht. Die Tuirend und Unsehubl gewisser wiUler
Völker, sowie der Kinder, .meint er, gründet sich auf ihre glück-
selige Unwissenheit: so kann man auch die Unschuld der ersten
Menschen aus eben diesem Grunde herleiten!
4
Wenn er dann ausfahrt, dafs die ersten Menschen ihre Ent-
haltsamkeit lediglich ihrer „Dununlu it'' verdanken, dafs sie „sich
vieler Fehler und Laster, die wir begehen, nicht wegen ihrer groisen
Heiligkeit, sondern weil sie dieselbe nicht zu begehen wufsten,
enthielten**, wenn er ohne jede Emschränkung den Satz aufstellt:
„der Mensch ist von der Zeit seiner Schöpfung unmer ein Mensch,
das ist ein närrisches lliier gewesen,'* so nimmt sich das Kompli-
ment, das schliefslich „den Schriften M.osis'' gemacht wird, fast wie
Ironie aus.
Ich will nicht unterlassen gleich hier einige Bemerkungen
Liscows über sem Erstlingswerk, aus dem Jahre 1741 einzuschalten,
— 16 —
sie sind interessant genug, und, so viel ich sehe, bisher wie alles,
was in der Neuen Irene'' steht, von keinem der Biographen
benutzt worden.
Die „Anmerkungen* sind die einzige Schiift Lisoows, die
meines Wissens je eine ernsthafte Gegenschrift hervorgerufen hat;
und zwar geschah dies auch nicht gleich nach der Veröflfentlichung
17i35, sondern nachdem auch die „Sammlung'' schon zwei Jahre
erschienen war, in welcher ja die ^Anmerkunget^'^ durch den in
der „neuen Vorrede*^ gegen Bkdtbbck gerichteten Angriff erneutes
Interesse geweckt hatten. Die kleine Schrift, als deren Verfosser
der 1772 zu Harburg als General -Superintendent gestorbene, 17-40
im Alter von 21 Jahren stehende David Otto Wahrendokfe galt,*
führte den Xitel: Die ÜberemsUmmmg vernünftiger md ge-
offenJiiikrter Gründe^ in den Leh/ren mn dem Stande der Unsehuid
und dem Verluste desselben. In einem Schreiben an den
Verfasser der Anmerkungen in Form eines Briefes, über den
Ahrifs eines neuen Hechts der Natur etc., welche in der 17 SU su
Frankfurt und Leipzig ausgegebenen Sammlmg satgriseher und
emsthafter Schriften das XI Stück aumaehen^ erwiesen von Ger-
manieo a Saneta Fide. Hamburg. Bey Felginers Witwe und fiohn
1741. 219 SS. 8«.
* So 1i«z«ii9tHAOVDO]iaiwilbttl]iderB«inerkntifrini dnftrStcll« «elnea »SdUpccCHr.i* <„Als nun
meto LiSCow kam, der Bruder von dem Ketzor. ikn m ch GERMANICIIS rielleicht dereinst bekehrt."
Auagabc 17Ö7. S. 6«)). Er war 1741 Prcdiper in Xciihaus (ESCIIENHUKO I. S. 94 bojscielmet ilin
iirtttmUcli als „dumalif^cn" Oeneralsuperintendcuten zu Harburg; das wurde er erst 10 Jahre spater.)
Vg}. Mamiburgi-tches Schrift»i«Ualexiko» TU. 8. S61 f., wo J«doe1i die «Ühoreinstimmnag «te.* Im Ter'»
SCfChni" Kririor .''fhriften fehlt. Auch unter dem rscudonym ist sie nicht vermerkt.
£ioe sehr lobend« Keseation der kleinen Sobrift steht Im HmiAurg. Cormpmdmten 1740.
No. 206 (24. Dez).
GraxBSRG in der »A'mc» 7iW 1806 <Jnni> 8. 180 f. tdit aooh «In« Stell« ndt MM einem
von LiSCOW in Gcmrinsibaft mit <lf in jnnsrern HAGEDORN an den Dichter p-eHrhtctcn Briefe vom
24. Marz 1741, worin LiSCOW vou FKI£I>S. V. HAOEDOEK „ein Qe«pr&ch zwischen dem Super-
tntnndenten In Verden nnd seinem 6olui* vwlmig« Uber de« tob Beiern geffm L19COW geadnielMO«
Buch „au» wi-lrhcm er (der Sohn) dem Herrn Vater alle Abend post ixli r antf iin t i'» vcspcrtinu
unter grofsom Froh!(>rk<»ii d«»r t'anzen andSehtis'en und wiwlf rp;iborncii l'aniilif vorietMia «olle."
nicrhor gcliört ollcubar auch Jenes latciul8che Billet deo JQngern HAOKDüRS anLiSCOW, vom
27. Uirs 1741 mil der Anficbrfft »Anieo lieterodox« elarlaetmo ▼iTieombnrii enndidato,*' In welchem
u. a. LI8COW der Hat V' i-'' 1"^^" wir^1: r mSpr-, da er <Ioi-1i einst, wie SKRVKT trnri aurtc-rc Ketzer
die Elirc d«s Feuertodes haben werde, um sich darauf vorzubiri^itca, einen Versuch mit einem seiner
«findigen Finger maeben.« „Ikn* /rmc" 180C (April) 8. 266.
^ kj i^uo uy Google
— 17 —
Die Abhandlung, welche aufser einer kurzen Eingangs- und
einer etwas langem Sehlufsbemeikimg in 125 Paragraphen zerfallt,
sieht von der MANZSLSchen Sache ganz ab, und wendet sich nur, in
übrigens dttrcbaus gemlühlgter Polemik, gegen Lisoows Satz: „Die
Offenbarungen stehen zuweilen mit der Vernunft in Wider-
spruch."
Wahrscheinlich hatte Friedr. v. Hagedorn Liscow das Buch
überschickt und der nachfolgende Brief ist die Antwort darauf:
„li'anteur paroit 6tre de ces amphibies, qui moiti^ Tb^ogiens
moiti4 Pfailoso]^es se piqoent d'acquerir une fei raisonn^e, en ren-
daiit leur raison cvedule, et qui gätent par lä egaleinent la Theo-
logie et la Philosophie. Je m'embarasse peu de savoir les misons
qu'ü peut avoir eues d'ecrire contre moi. Sn£&t que j*aye les
ndennes pcur ne lui pas rdpondre, comme il paroit s'y attendre.^
n n*a rien k eraindre de ma part. Je ne le tonmerai pas en
ridicule, et c'est une des raisons, qui jn enipedient d'entrer en lice
avec lui. Car le moyen de garder toujours son serieux eu ecrivant
contre un homme, qui malgr^ cet air de Docteur, malgr^ ces sub-
tüit^ metaphysiques dont fl rdgorge, confond tout, prend tout de
travers, et n'ayaat pas assez m^dit^ sur le 8u]et, qu*il tratte, ne
seut pas la force des objections, auxtpielles il taclie de n'])ondre, et
se tue a debiler gravement des pauvretes et des choses ,,quae ueque ad
coehim neque ad teiram pertinent*^. Je serois oblige de lui dire
k chaque page ces nwrtifiaiites verit^s, et ce seroit a mon avis, r^-
pondre assez mal k la politesse dont il use & mon ^gard. LaisBons
dune parier notre auteur, et ne lui n'i)ondons pas. Coninie c'est
uu jeune homme, qui ne majique pas d'esprit, et qui proniet beau-
coup, Aya Heu de snpposer qu'en dix ans d'ici il parlera tout
auüement. Je me souTiens du temps, oü le dogme de la confoimitd
' WAHRBSXtOBFF hatt» geschlossen: „Finden E. II. nicht genug erwiesene 8«M VBteV
mcinPn Gfilunken; »o weMcn f*\c T-iir 'iml iiniknii cim' VisrinrliTc Gofillü^-kcit er/i!pen, wenn Sie
colches Icuud machen. Setzen äie aber danu ihr Vergnügen, dal« äie mein UnternehmeD, nnd die Wahr-
lieit, ao teb behaaptet, loeheilleli niMheii woUea; so würde mir swmt dergUUltmk TcffaliifB wohl
nicht (refallen : Ich hAtte «her nlüdann mir doch weiter nichts vonuwerfen , al» dnfs Ich von Ihnen
vorhin zu vorthcilbaft gedacht hatte jedoch es ist mir uamOgUch von einem Maane, der
M rUbt BUtricMen Iwittit, tfergleielMa ra bcMfftn.*
mnunit tncow. 9
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— 18
de la- Foi • ayec la Baison faisoit mes d^lices , et oü j'adorois les
fadaises conciliantes dont mos precepteiirs m eblouissoient , et dont
ils ötoient peut-etre ies premiei*s ä se moquer. Mais quand on a
quarante ans passes, on ne se paye pas plus de paroles. Comme
d'ailleurs on pr^tend . que j*ai scandalis^ les bonnes Arnes par cet air
hardi et cavalier, avec lequel j'ai oe^ tndter une matföre de Bell«
gioü, il est j liste, que je repare le scaudale eii ue m'opposant pas
au bon effet que les refuliitions qu:on pubüe contre nioi feront sans
dottte Sur une infioite des fideles, que mes objeetions ont peut-^tre un
peu trop alaim^s. Je me retire donc du champ de bataille, au
hazard d'Stre tenh pour bien et duement battu. C'est avec plaisir
que je sacritie iiia reputation au repos des foibles, et ce sacnfice me
coute d'autant moiiiä, que j'ai lieu d'esperer que les gens d'esprit,
toyant qn'fl me reste encore trop de ressources pour ^tre oblig^ de
plier par foiblesse, et qu'U ne tient qu'ä moi de malmener
teiriblement mon nouvel autagouiste, ne manqneront pas de
m'en tenir compte. Fait a Mayence le 12eme Mais, 1741.
Liscow."
Angesichts dieser Äufserungen, irelcbe bezeugen, ivelcben
Zwang sich Liscow angethan, in seinen ^Änmerhunffen'^t sich
lediglich auf den philosophischen Standpunkt zu beschränken
und seinen völligen Zerfall mit dem kirclilicheu Düfi:uia überhaupt
nicht zu veiTaten, nimmt es nicht Munder, dafs er kaum ein Jahr
darauf auch diese Fessel zen*eifst und „den Kanonen der Kirche"^
selbst l^otz zu bieten wagt.
Schon in den „Anmerhtngen" (Sammlung S. 662. 728) findet
sich eine Stelle, welche zwar im Zusamiiieiihan^e nicht eben ver-
fänglicher erscheint, als manche andre Äufseruug in derselben Schrift,
welche aber eine eigentümliche Bedeutung, durch die folgenden Er-
eignisse erb<, da in ihr diejenige wunde Stelle der orthodoxen
Lehre schon beriihrt wird, welche Liscow em Jahr darauf mit einer
für jene Tage beispiellosen Kühnheit blofs legt.
„Wir sehen", heifst es da, „dafs Geistliche huren und saufen
desfalls aber vergessen sie ihren König nicht:, sie werden dadurch
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\'tRS;TY j
or J
nicht ungeschickter, aufs schärfste wider die Ketzer zu
dispufiren.'*
Das ist allerdings Ironie, wie sie, je mehr es gegen das Ende
jener Sclirifl geht, iiuiiier unveihohlener zu tncre tritt; diese Ironie
aber ist ganz eigentlich gerichtet gegen den Fundanientalsatz der
lutherischen Orthodoxie» die Lehre von der Eechtfertigung
aus dem Glauben.
Man weffe, dafs die Lehre von der Rechtfertigung und von
den guten Werken eines der Hiiuntstrcitmomente in dem Kampfe
der Orthodoxie mit dem Pietismus gebildet hat.
Die erlösende Idee, vermdge welcher der Pietismus bei seinem
ersten Auftreten gegen die m starren Dogmen verknöcherte gemüt*
lose Orthodoxie eine so tiefgreifende Wirkung auf alle Gemüter
ausübte, welche in Gefahr waren, angesichts der Kirche und der
Theolögen ihre Religion zu verlieren, gipfelt geradezu in jener
schönen Lehre: Christ sein heifst nicht nur an Christum glauben,
Christ sein heifst, den Glauben beweisen durch werkthätige Liebe.
Hbttnuh* hat sehr treffend darauf hingewiesen, daft das
Emporkununen des Pietismus aus derselben (imii(l>tiiiiimiii^ lierzu-
leiten sei, welche nach einer andern Seite hin. sich in der Freigeisterei
Bahn brach. Pietismus und Freidenkertum machten in gleicher
Weise Front g^n die rein äufserliche Dogmenlehre, beide legten
das Hauptgewicht statt auf das Glauben auf das Thun, nur mit
dem Unterschiede, dafs ftir die einen die lebendige Quelle für ihr
Mttliches Handein in der gemütlichen Vertiefung in den Geist der
geoffenbarten Religion lag, während für die andern die Krkenntnis
einer von jedem Glauben an eme bestimmte Offenbarung losgelösten
sittlichen Weltordnung die Nonn ffir das sittliche Handehi des em-
zelnen Individuums bildete.
Diese gemeinsame Grundstimmung war es, die Thomasiüö so
hmge bei den Pietisten festhielt, diese gemeinsame Grundstimmung
eridärt es auch, dafs ein Mann wie Liscow, dessen ganze Geistes*
' GttOtiehte der deutachen Utttralur im 18. Jahrhundert. 8. Aull. I. 8. 56 L
2*
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- 20 —
richtung sonst so entschieden nach der Vei Standesseite gravitierte,
mit einer gewissen Begeisterung für pietistische Gedanken eintritt»
sich geradezu zum Yeifechter des Pietismus gegenttber der Ortho-
doxie macht.
Freilieh war zu Liscows Zeit vom Geiste, der Spbners Pia
desidrria belebt hatte, bei seinen Nachfolgern wenig mehr zu spüren,
die Unduldsamkeit und die Ketzermacherei bei den Hetisten, wo
sie die Macht hatten, ebenso zu Hanse, wie im Lager der Gegner.
AüGüBT Hbbscank Franckb und Johann Joachim Langb geben
nach dieser Seite hin einem Löscher und Carpzov nichts nach.
Diese Wandlung, die sich in den Vertretern des Pietismus
so bemerkbar machte, hatte jedoch an dem Inhalt der von ihnen
verfbchtenen Ideen nichts zu ändern vermocht, und wer daher über-
haupt religiöse Bedfirfioisse hatte, wem an einer Verbindung mit der
Kirche gelegen war, mufste sich auch in jener Tenude der Ent-
artung zu der pietistischen Richtung hingezogen fühlen.
Letzteres war nun allerdings bei Lmoov nicht der Falls
dafs ihm Motive dieser Art vdllig fem lagen, wMe, wenn es nicht
schon aus dem Mheren erheUte, gerade die Schrift, um die es sich
hier handelt, aufs schlagendste beweisen. Der Grund vielmehr, der
ihn zu dieser Parteinahme für den Pietismus veranlafste, war
einerseits die oben erwähnte geheime Sympathie des Freidenker-
tums mit dem Pietismus in seiner ersten Gestalt, dann aber ein
mehr äufserliches Moment, die Beobachtung orthodoxer Ausschrei-
tungen in seiner nächsten Umgebung.
Liscow war schon fast ein halbes Jahrhundert tot, als Deqik-
HAXD Pott 1803^ aus „Lisoows hinterlassenen Papieren*^ ,,IHe
heseheideHe und mklffememfe Epistd an Merm M, L. ubtr die
Utmöthigkeit der guten Werke jsur Seligkeit* herausgab. In der
1 auamAW liTOEWia LIBCOV, ehemal. Kfil. Poln. u, fhurs Krinj^ruih, üUr die ük-
n&Ufkeil der guten MVrlrr :tir SHigkeit. Ein« bttckeiden« und ipohiffemeinu Efistfl «» JJtrm M, L.
fDit Schläge eines Liebitubert meinem recht gut.' äprichw. XXVII. v. 6.
Jbrovtfiyiftfii tau dutm Urnttrlangiu» Aijiiim — tda Ytrtmdk einer MmaitgiAe dtr »ämm*-
Ikhrn LixcoriMcken nWke. T.<>ip);ltr 1^^. bei HBUIRICH OrIFF. XXXtl mA 102 88. V.
(wieder abgedruckt Wi MCCULKK I. S. Zü.)
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— 21 —
Unterschrift nenut sich als Verfasser; M. Sebastian Zänker. Mit
dem Zusatz: »Dabamraptim interlabores sacros N.N. d. 22. Jun. 1730.''
Es ist Yiel&ch, an der Echtheit dieser Scbxlft, soweit Lisoow
als Verfosser in Frage kommt, gezweifelt worden,' und es ist das
Verdienst Schmidts von Lübeck {Historische Studien. Altona
1827. S. 141) durch seine scharfsinnige Hypothese über die Pei-sön-
lichkeit des Herrn M. L., an den die Epistel gerichtet ist, den
ersten sichern Fingerzeig gegeben zu haben, wie diese Zweifel ein
för allemal zu zerstreuen.
.,M. L." ist kein andrer als Carl Heinrich Lange,
dauiais seit 2 Jaiiren Subrektor in Lübeck; Schmidt folgerte dies
aus zwei gelegentlichen Andeutungen, wo der M. L. „ein Lehrer
der stttdirenden Jugend** genannt wird;^ das andre Mal als Lands-
mann des Ketzers Schwbnkfbld bezeichnet wird. Längs
stammtf näinlich, wie Sohwexkfeld, aus Schlesien.
Nach dem Eingang der Epistd soll der fragliche M. L. „vor
einiger Zeif* eine Schrift herausgegeben haben , in welcher,
(„ungeachtet sie nicht der Art ist, dafs man viel wider die
Reinigkeit der Lehre anstofsende SStze darin rermuthen
sollte,) der Schreiber fder die Maske eines oi-thodoxen Prediprers vor-
nimmt) „einige Kedeusarten" gefunden, welche au die verwerfliche
Lehre des Majob von den guten Werken eiinnerten. »„Wer,<^
sprechen Sie, „sel^ werden will, der mufs nicht nur den rechten
Glauben haben, sondern auch diesen Glauben durch die Liebe
beweisen." Ja, Ew. wiederholen diesen Irrtlmni mit andern Worten
noch einmal, und geben also deutlich zu erkennen, dafs man Ihnen
nicht unrecht thue, wenn man glaubt, Ihr Herz sey nicht recht-
schaffen.^ etc.
* Arn cntRchtcdcnsten wnd mit dem Schein der grOfstcn AntoritAt hdt •Ich HELBIO S. 10 f.
gegen die Echtheit aiisgesprochea (ihm scblofo sich IlETTNKB ß. d. d. LH. i. 18. Jtthrh. 3. Aufl. I.
S. 401 anbedlngt an, wttmmd antter« b. B. Qwnxva IV. 8. 65 und GOSDBXB 8. 570 die ¥ng9
uaentschlexicn laggen). Alintn rrrndp ;tn dir^rr Stelh- lifst llEl.m(; die Crfliidltchkclt und Genaulfr-
keit. welche Im Obrigon »eine Monographie »o wertToll macht, verniisnen. Jedenfaii» kann er die
B^fl nnr floditlr gel«Ma hftlMn, sonat wOrde er nteM 4(e Bebattptaiv andrtdleB, ein« AnAMiarong
an die Tdpcn <}<-f Pietlaten sei n)r(;oii<!n-o dnrlii -/n (\n<\cn. Übrlgena hat H. den Oben Ofirlhntea
Aulsatz von SCHMIDT VUN LÜBECK offenbar nicht gekannt.
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— 22 —
Den Nachweis, dafs Lange zu Beginn deiner L^ufbähn starke
pietistische Anwandlungen gehabt, hat CLAisiSEN (S. 13 f. n. 33)
überzeugend erbracht durch eine Stelle aus v. Seülkns Memoria
über Lange. ^
Allein davon, dafs, wie am Ende der Anstel erwlUint mrd, die
geistliche Obrigkeit wegen jener gerügten pietistischen Anschauun-
gen gegen den M. L. eingeschritten sei,- dafs dieser sich gefügt,
und die ansteigen Ausdrücke gemildert habe, davon wird weder
in gleichzeitigen noch sp&teren theologischen Quellen irgend etwas
berichtet, noch ist auch aus den in Frage kommenden Jahren unter
den LANGESchen Schriften tliooloprischeii Inhalts eine aufzufinden,
in der die oben citierten Worte: „Wer selig werden will" etc, stehen.
Und trotzdem ist Lanqx zweifellos der M. L. und die ent-
scheidende Stelle bezieht sich auf eine Äutserung Langi^ in einer
seiner Schriften, aber freilich in keiner theologischen. -
Sie steht, wo man sie lUii alkrletzten suchen wUrdei in einer
stilistischen Anweisung zum Schulgebrauch 1^
Da wird § 49 (S. 24) vom „Bedingungsperiodus'' gehandelt
und als Beispiel findet sich folgendes:
* nNarrnvit ipie pliu vice simpUci mihi, quod a falsa^ imaginaria et facata pietate sie
«Uelic PMiHattt (Ol quam abomlnalille lioe aonMn cbbcUb, qal latentem I0 Jimcba. «ogaen« externa
«Itecic virus occultantpm, rccte eopnovenint) primfs po8t jiiventwtPTn ajinis fnerit flerppttis rt ad Ifmo-
bllein ipBorum pictatcm portractus laqueis eoruiiilc^m iiretitus ac veiicno fasciuatus adeo, ut couarctur
otUun calsiniiai la «bvm lHorun MAagtn."
* In seliion Briefen an GOTTSCnKO klagt LASOE allenUnga hAafig Ober «Ue feiudaclig«
Haltung fifr Tifidon ?,1tilfii <!er Orthodoxie in LObeck, C'ABPZOVs und von SeeleMb, die aber keinen
konfcaslonellen HinterKruml hatte; „Velim, ut non obatarcnt conatui meo partcm Selen 11 aoj>tri
InrMt« pMtein CftrpuvU iMMtri la novo« l*tos germaBoa, qww vecal« llvor; omal «olm quo
poteot ntertiue conatu in eo est, Mt quem in tnultis incendi vornncnlar nmor restlnpruatur
lingu aequo scholagticao adancfiant javenes .... obnltor cgo et contra hornm InBultiis prndentin
«t alltiuo la patrlam nncttimi tMl» nnaitvt, qaod nMimnn erlt parUmn, perflotew." (LAnas «a
GoTTSCHEI» -0. Juni 17r;'2). „Tii^icr Ilfrr Stipprintcndctif , der iMrüliintP CARPZOV i-^t dt swog-eu ein
Feind von mir, well ich die deutsche Spraclie liebe, und die Kühnheit gehabt, bey gcwlssca Um-
attadea tv Mlgea« dalk die deutacbe Spiaehe irolil ao -aOtliSv t^y^ fi» <U« Udeiuiwdie." (LAMOB aa
GOTTBCHBD 6. Des. 1784).
' Kurttf- Anleitung; in rf*r rechte» vml elontlichrn Art einer deutUrh*» iiml getcfiickten
rERH)UUM t« Kitreiben, «um bMOntkrn Gehrauch «einer PrUiatUten uu/ge»elzel von M. CABL
HKUIBICH LAHAB, SUBBBCTOSE OYHHASU LUBBC. ADIUNCTO BT BIBLIOTHBCAE
PUBLICAK TBAEFECTO. LÜBECK. Gedruckt bei CHBISTIAJi HEINRICH W1LX.EK8. (Ha. Ver-
merk, vermutlich von LA2iUK aelbst: ClOUCCXXIX) &. S°. (LObecker Stadtbibliothek S. |>bUol.
2881")
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— 2a —
„Satz: Du wirst ein walirer ChriBt heifsen.
Bedingung: 1. Wofern du Bufee thust. .
2. Wofern du (Un Glauben au Christum hast.
3. Wofern du den Glauben durch die Früchte
beweisest.
Period.: Wa du dein Hertz in wahrer Busse zerknirschest;
Wo du den festen Glauben auf das Verdienst Christi im Hertzen
behältst; Ja, wo du den iilauben durch Lebeus-Früchte
beweisest, so kan dir uiemaud den Kuhm eines wahren Christen
absprechen.''
Die zweite und noch prägnantere Stelle findet sich § 56
(S. 28) bei Gelegenheit der ^Periodi oopulatiTae/ die sieb „bis«*
weilen als die Ursache jjejxen ihre Wirckung" verhielten. Beisiüel:
„Wer ein Christ seyn will: mufs nicht *ur den
Glauben haben; sondern auch seine Liebe durch Wercke
beweisen.**
Trotzdem die JEpistel citiert: „diesen' Glauben durch die
Liebe beweisen", während es hier heifst: „die Liebe durch die
Wercke," ist wohl jetzt kein Zweifel mehr daiüber möghch, dafs mit
ienen Andeutungen nur auf diese „Kurae Anleititng^ gezielt sein
kann, mithin Gaul Hedtbioh Lakqe in der That mit dem »M. L."
der ^EpisteV^ identisch ist.
Habeu wir aber so Lübeck als den Schauplatz der llamlhiug,
und das Jahr 1730 als das Jahr der Entstehung der Epistel fest-
gestellt, so ist auch damit der letzte Einwand, welchen man gegen
Lisoows Autorschaft eibeben konnte, weggefallen. Denn alles ftbrige,
die Sprache, die äufsere Form, die Stellung des Verfossers zu den
religiösen Fragen, wie sie aus der Schiift erhellt, alles das weist
auf Liscow als Urheber hin.
Seit 1729 lebte Liscow in Lübeck^ er kannte also die Verhält-
nisse aufs genaueste und stand wahrscheinlich mit LAiran in direktem
persönlichen Verkehr, denn bei dem ganzen Bildungi^gang beider.
* So l>eridit«t HBLBIO (8. 9) uch einem leider nidit iiiit(«(dlten Briefe de» JOnffen Lncow.
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— 24 —
bei den vielfiachen litterarischen Interessen, welche sie mitemander
gemein hatten, sowie anderseits bei dem Mangel an Yerstimdnis für
seine Bestrebungen, ttber welche Lange noch mehrere Jahre später
klagt, liätte es schon ganz eigentümlich zugehen müssen, wenn
beide in der kleinen Stadt, zumal als Zöglinge derselben ahna mater
nicht zusammengehalten.^ LANas war damals noch jung und frisch
im Amt, YoUer Plane, mit den mannigfachsten litterarischen
Arbeiten beschäftigt, noch nicht der gebrochene Mann, der die
Sünden seiner Jugend bereut, von dem uns v. Seelen berichtet.
Schon 1725 hatte er über Nicodemus Frischlix eschrieben, 1729
HoRAZKNS De arte poeUca in deutsche Verse übersetzt, und auch in
seinen theologisch-fachwissenschaftlichen Schriften sich als zielbe-
wufster Nachahmer und Schüler Moshedib erwiesen. Ein paar Jahre
später sehen wir ihn eifrig mit der Einführung der WoLFFischen
Philosophie nach Goiisoheds Handbuch unter seinen Schülern be-
schäftigt, gerade Carpzov und dessen blindem Anhänger von Sbblei^
dem er nachmals so demütig beichtete, zum Trotz. Daneben wird
auch die eigentliche Philologie eifrig getrieben, EüBtPiniiB' Tragödien
'werden kritisch heiausge*?eben, zum Teil auch in deutsche Verse
übersetzt. Seine Hauptthätigkeit in diesen Jugendjulueii aber
konzentriert sich auf das Studium der deutschen Sprache und
Poesie; schon in Jena hatte er seit 1725, als magister legens Vor-
lesungen über poetisch -stilistische Themata gehalten, in welchen er
sich für die Eeinigung und Hebung des deutschen Stiles s^anz be-
sonders bemühte. Wii' haben gesehen, wie er diese Bestrebungen
auch unter seinen Schülern zu wecken und zu fördern wufste.
Seit 1727 stand er mit Gottsched in regem Briefwechsel; er
ward einer seiner eifrigsten Anhänger und ist ihm auch bis zu
seinem i udo (1753) treu geblieben. Bas gilt zwar im allgemeinen
in der deutschen Litteratur als keine sonderliche Empfehlung; und
' Tu den Briefeu an GOTTSCHED erwähnte er LI8COW« nicht: nur einni«! gehreibt er offen-
bar mit bcxug auf ihn, jedoch ohne ibu sa iicnn«n C<20< Septcinli«r 1734). a^ Ai^utn '"^ "'"^'^ doch in
d«n critlichen BeytrtTen mit den arniBU Cbenstseni das corpus jaili w ambumherzig umgegangen?
Ich glaube Herr I). RODIUA8T werde nIcH dadorch TOtt lebMID VoillAbea «bhtltMi tatMtt? Hftttan
Wir ateht w«iiistteiu mehr xu l«eb«o febabtt*
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— 25 —
sie soll es auch hier für die späteren Jahre nicht sein. Soweit aber
dear Junge Gottsobbd*' in Frage kommt, wird man gut thun, nicht
Uber die BegeiBtening und Verehrung zu lächeln, die ihm entgegen-
gebracht wurde, denn in ihr fanden sich jahrelang die irischeBten
und kernhaftesten Geister der Kation zusammen.
Und wenn uocli im Mai 17:i9 ein Mann wie Bodmer es Uber
sich gewinnt, Goiibohbd seine Verse zur Feile anzuvertrauen, ist
es für den 26jährigen Laztob sicher nur ein gutes Zeichen, wenn er
11 Jahre früher, am 9. Februar 1728 von Jena an eben diesen
Gottsched schreibt: „Es ist ein Zug in meiner Seelen, der mich
glauben heifset, Gottsched sey mein Frennd. Ich empfinde eine
Neigung in mir, sotbeld ich den blofsen Nahmen höre, der ich keine
andere Benennung geben kan. Es ist eine Art des Vergnügens,
die ich nicht zu beschreiben weÜ^, wenn ich den Deutschredenden
FoNTENELLE durchblättere etc. Die gantze Beschafifenheit der
Schreibart, hat .so was eigenes, dafs ich muthmafse, die deutsche
Gesellschafft habe ihnen deswegen den Entwurf ihrer erneuerten
Grundregeln aulgetragen, weil sie nur von einem Fontanelle selten
geschrieben werden** etc.
Wir wissen aus Liscovvs Vorrede zu der Sammlung seiner
Schriften, dafs die erste Anregung zu den Satiren gegen SrvBRS ihm
in Lübeck im Freundeskreise geboten wurde; wer hätte aber mehr
in diesen Kreis gehört als der jugendliche Lange, in einer Stadt
wie Lttbeck, Ton deren Geistesleben ein Freund Liscows, der spätere
Lübeckische Ratssekretär Hkkmann Adolf Le FfivRE in einem
Briefe au Gottsched vom 27. Dezember 1731 das nachstehende,
allerdings keineswegs schmeichelhafte Bild entwiift: .
,Wäre zwischen den Handlungen der hiesigen und andrer
Gelehrten eine grdfsere ÄnMchkeit, so könnten Ew. HochEdelgeb. noch
in diesem Stücke gewisse angenehme Nachrichten von mir erwarten:
allein Dieselben belieben zu wissen, dafs in Lübeck nichts seltener
ist, als ein LübeckiBches Buch, das über 3 Bogen hält. Ob es aus
Keid, oder aus Bescheidenheit oder warum es geschieht, lasse ich
mit den Schriftgelehrten an seinen Ort gestellet seyn; so ^el ist
— 26 —
sicher, dafs sich gedachte Herren auch von dem schai*fsichtigsteii
nicht leicht ihre Wissenschaften abmerken lassen. Sie achten sich
vielmehr grofsenteOs mit dem Bürger und Bauer zu einerlei Arbeit,
nemlich zum helligen Ehestande beniffen, und kommen diesem ihrem
göttlichen IJeruff d(!sto treufleifsiger nach, je weniger sie zweifeln, dafs
•
unsrer lieben Stadt mehr nui Kindeni als mit Büchern gedient t sey.
Dies ist die in Lübeck blühende fruchtbringende Gesellschalt^ darin
fast ti^ch geschickte Mitglieder .aus allen 4 Facultäten aufge-
nommen iverden, wiewol die 4te oder Philosophische Facultas hier
eher das Ansehen einer Ohnmacht als einer Kraft hat. Über die
liiesigeu Poeten ... Ew. etc. werden verzeihen, dafs ich mich
beinahe ganz nicht besonnen hätte, dergleichen Leute hier zu kennen»
weil mich dero criHsche Dicht-Kunst noch immer in detn Begriff
eines Dichters irre macht. Dafs mir denn die hiesigen Poeten nicht
entfallen, so umfs ich ihnen nachrühmen, dafs sie noch zuweilen
den Hunp:er der unneu Drucker mit dem Austiufs ihrer Poet. Ader,
vie die Pelicans den Durst der Jungen mit ihrem Blute, stillen.
Sie haben aber das Unglück^ dafs man an ihren Sachen, so bald sie
gedruckt sind, etwas gemeines, stumpfes, schmieriges oder sonst
etwas niifsfälliges wahrnimmt." Nachdem er sieh dann nacli verschie-
deneu litterarischen Erscheinungen erkundigt, fährt er fort: „Ew. etc.
halten mir die Unwissenheit, die ich durch diese Fragen verrathe,
zu gute, da ich in einer Ecke lebe, welche von der gelehrten Welt
gleichsam mit Bretern abgesondert ist. Ich nehme mir inzwischen
die Freiheit, in dem SrvEHSchen Werkgen ein hiesiges Gewächs
beizulegen, und sollte es wider Vermuten Ew. etc. etwas trocken
odqr nnschmackhaft zu sejn scheinen, so wollen Dieselben bedenken,
dafs es eine Winter-Frucht ist.'' eto.
Der Name Sivers erinnert im rechten Augenblick daran, dafs
die JjT. FfivRESche Darstelhmg, wenn auch etwas grell, sicher in
der Hauptsache nicht übertrieben ist. In einer Stadt, in welcher
ein SiVBRB eine Stellung einzunehmen vermochte, wie er sie that*
sächlich mehrere Jahre hindurch behauptet hat, konnte von irgend
welchen höheren geistigen Interessen nicht wohl die Hede sein.
uiLjiiizuü Dy Google
— ST-
AUS Liscows Vorrede zu der Sannnlunp seiner Schriften er-
hellt zur Geuüge, wie wenig es aniaugs iu seinem Plan lag, das,
was er über Sivbes geschrieben, auch zu Teröffeutlicheu. Die „Et'
hömUekm Anmerh/mge» »u/r GeseHckU der Stadt JerusaUm" und die
« Viireä fraeta** waren ursprünglich nur f&r den engeren Freundes-
kreis bestimmt, aus dessen geineinsanier Anregung sie erwachsen
waren. Das Gleiche ist otfenbax* mit der Epistel an Lange der FalL
£& handelte sich vennuüich darum, dem vielleicht etwas ängstlichen
Langb an einem drastischen Beispiel Idar zu machen, welches Schick-
sal ihm bevorstehe, wenn sein harmloses Buch die unliebsame Auf-
nierk.sanikeit eines oithodoxen Ketzerrichters von I^rofession erregen
würde. Lange hat sich freilich dadurch nicht schrecken lassen,
denn die zweite vermehrte Aullage der „Kurtem AnleUung*', die
1745 erschien, enthält die anstörsigen Sätze ebenfalls, woraus noch
zum Überflufs erhellt, dafs das Einschreiten des geistlichen Mini-
steriums wider den Verfasser, von dem Liscow am Schlafs seiner
E^std berichtet, weiter nichts als ein bcherz ist.
So harmlos aber, wie uns heute die Sache erscheint^ war sie
in Whrklichkeit damals nicht. Man darf nicht vergessen, mit welchem
Spüreifer in jenen Tagen die geistlichen Behörden all^, was nur
von weitem nach falscher Lelire aussah, ans Licht und vor ihr Forum
zu ziehen beflissen waren, und welch weiten Spielraum nach dieser
Seite hin ihnen die weltlichen Behörden gestatteten, oder richtiger,
gestatten mufsten.
Erst ein Jahr vorher, 1729, war in Danzig das geistliche
Ministerimn gegen einen gewissen Salomo Bach wegen Irrlehren,
worunter sich auch die von der Notwendigkeit der guten Werke
befand, eingeschritten, hatte ihn auf dem Bathause festsetzen lassen
und die eifirigsten, freilich erfolglosen Bekehrungsversuche mit ihm
angestellt, so dafs der bejahrte und kranke Mann die Peiniger
schliefslich flehentlicli beschwor, ihn doch nicht zu martern, er
wolle auch am jüngsten Tage von ihnen bekennen, dafs sie das
ihrige an ihm versucht hätten.^
1 FortgtMl^ Summlitnp ton oMm «Nd tieum lft«9t<^0f*eikM &icA<n.«I(/' Aw Juhr n39. 8.431 fL
28 —
Wie aber Langes direkter Vorgesetzter der Lic. von Seelen
über pietistLsche Irrlehreu dachte, geht zur Genüge aus der vorhin
voa ihm citierten Äuisening hervor. Man darf annehmen, dafs er
auch aus dieser Gesimimig kein Hehl machte, wie dafe anderseits
dieselbe im Liscowschen Kreise nicht unerdrtert geblieben ist. Ja,
die Vennutung liegt nahe, dafs Liscows „M. Sebastian Zänker"
im wesentlichen Portrait und von Seelen das Original dazu ist.*
In der benachbarten Universität Boßtock endlich, welche stets
in regem Verkehr mit Lübeck stand» war gerade in diesem Jahre
der Streit um die Rechtfertigung aus dem Glauben, auf die An-
regung des Streitharen Professors Wetdnkr, der sich übrigens auch
mit besonderer Energie für die Fähigkeit des Teufels, erneu Körper
anzunehmen, in den Harnisch zu werfen und über Hexen und Ge-
spenster christliche Betrachtungen anzustellen liebte, mit emeueter
Heftigkeit entbraimt, bei Gelegenheit von Ebigh Powtoppidans
„Hdlein GlmihensspiegeV^ Derjenige aber, durch dessen Mund der
gelehrte Piotebsor seine Meinung de fide salvifica kund zu thun
fttr gut fand, war kein geringerer, als der kaiserl. gekrönte
Poet Magister Hbznbich Jaoob SitebsI
Wie unbedeutend aber auch die äufsere Veranlassung für die
Entstehung der KpistrJ gewesen sein niai^, der Inlialt der Sclnift,
selbst war nicht das Produkt einer flüchtigea Laune, soudern be-
zeichnete für Lisoow das Ende eines schweren inneren Kampfies,
den lange vorbereiteten entschiedenen Bruch mit dem Dogma der
Kirche, in welcher er aufgewachsen war.
Zum erstenmal bedient Liscow sich hier der Fechtweise,
welche er später fast ausnahmslos angewandt hat und die daher mit
seinem Namen untrennbar verbunden ist, den Gegner durch pchein-
bares Eingehen auf dessen Ideen und Zuspitzung derselben ins Ab-
surde zu vernichten, und nie hat er je wieder nachher in allen den
' Daran scheint auch SCHMIDT von LCrBCK (S. 141) zu denken, M-enn er allerdings floltr
▼onicbtir tioli «uAnrt; Bieter Nr^. SSbaStiAM ZImkeb tot ein ntebt »ehwer su emthtade» Mi«-
i^ed des Lob. Min!?tcrlums."
Cabi'ZOV, auf den inanullerdln^s zunächst raten wQrde, kann nicht gemeint seui, da er er«t
Im Dmambw 1790 naeh LQheek kam.
29 ^
Satiren, die eemen Ruhm begründet, diese Waffe mit solcher
Leichtigkeit und doch zugleich mit solcher Wucht gchandhabt, wie
bei diesem StrauTs mit der Kirche. Was wollen alle die Keulen«
Schläge bedeuten, mit welchen er epilter Wichte wie den Sitbbs
und Phiuppi zemabnte, es war doch innner nur der „Kampfe der
Katze mit der Maus; hier aber, wo er sich mit einem Lxtthbb
mifst, spürt man, dafs man es allerdings mit einem „Ketzer"
schlimmster und gefährlichster Art zu thun hat» einem, der auch
vor . der letzten Konsequenz der Verneinung nicht zurttckschreckt
Oder hei&t das nicht die ganze Lehre von der Erlösung durch den
Opfertod Christi in Frage stellen, wenn er (S. 64) ausspricht,
wenn es zum Sterben gehe, falle auch denen, die kein liatein
Wülsten, das Distichon des s. g. Dionysius Cato hei:
Cum sis ipse nocens, moritur cur victama pro te?
Stnltitia est, morte alterius sperare ssluteml (TV. 14).
An einer andern Stelle führt er, immer in dem Sinne seiner
onhudoxen Attrape des M. Zänker aus, im Gegensatz zu der Ge-
rechtigkeit aus den guten Werken, die Uauptpflicht des Christen
gegen Gott sei die Dankbarkeit; diese könne man aber nicht besser
beweisen, als dadurch, dafs man von Christi Person die höchsten
Begriffe hege, „seine göttliche Ehre wider diejenigen, welche ihm
dieselbe freventlich rauben wollen, mannhaft vertheidige, seinen
Worten blindlings glaube, und uns von diesen weder durch Ver-
folgung noch durch die Einwürfe, die uns unsere verderbte Yer*
nunft — man beachte diesen Ausdruck im Munde Lisoowsl —
wider die Geheimnisse des Evangelii mache, abwendig machen zu
lassen."
«Ja, diese Gefangennehmung unserer Vernunft unter dem
Gehorsam des Glaubens ist einzig und allem lähig, die Grötise unserer
Dankbarkeit an den Tag zu legen.** Ein Christ, «der sich so
weit verleugnen könne", dafs er das athanasische Glaubensbe-
kenntnis in allen Punkten und Klauseln gläubig annehme, dürfe
mit Sicherheit auf die vom Verfasser desselben versprochene Be-
lohnung zfihlen.
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— 30 —
„Wer dieses geistliche Werda? mit einem deutliclien uud
klaren „Gut Freund!" beantworten kaua, der wird ohne weitere
Nachfrage ins Paradies eingelassen."
In älmliclier Weise vird von der Vereinigung der beiden
Katuren in Christus, der Lehre vom Abendmahl u. s. w. gehandelt.
Schon mit Rücksicht auf diese Stellen mufste dtr Gedanke
an eine YeröffentUchung der kleinen «Schrift von vornherein aus*
gesdilossen bleiben.
Nächst dem Dogma ist es dann vor allem die Auslegung,
welche dasselbe Ton Seiten der Geistlichkeit eriährt, sowie Über-
haupt das ganze Gebühren der letzteren auf der Kanzel und in der
Gemeinde, welche mit derselben sclmeidenden Iionie durchge-
nommen werden.^
Er weist darauf hin, wie das Yedahren der protestantischen
Orthodoxie, die Bechtglänbigkeit auf die symbolischen Bücher zu
giünden und die freie Forschung und Auslegung der Bibel nur so
weit zu gestatten, wie sie mit der Lehre jener Symbole sich verein-
baren lasse, im schrofifeten Widerspruch stehe mit der historischen
Grundlage des Protestantismus. Aber, setzt er bitter hinzu, die
Nachfolger Luthers „erkannten sehr vemfinftig, dafs das VerÜBhren
Luthers mehr zu bewundern als uacbzualnnen sey''.
Doch auch Lüther selbst ist ihm weiter nichts wie ein schufs-
gerechtes Wild — hierin tritt der grofse Unterschied zwischen
dem Standpunkte Lisoows und dem Lsssinos bervor, an welchen
ersterer sonst gerade in dieser Schrift hSufig erinnert' — zu-
weilen spricht er von ihm genau in demselben Tone, den er später
bei SiVEAS und Philippi anzusclüagen beliebt. Sein Hauptcoup
* Fast harailos klingen dagegen jouc AusCsillc gegen die Geistlichkeit in der n^'wrtreffiichkeit
und tMkmtiidisluit dgr «KmdiMi ftHSflilnif' weMi* tMtideiii lienuieli ]tKniiiA.mr gtgm Lncow so
httfläg «bltterten (vfrl. ilin Vorrrclp 7iir Sfimmtunn «ftf k. Tn.^fli. Sehr. S. 87 f. r<>!>ip. 40 f.)
* Nur eine kleine Aurscrllchkelt mag hier erwähnt sein. Wenn LessiXU mit Beziehung auf
Lnflier in dcf «Ah^aM* (HBMPBL XYI. S. 102) von »itm kvmiebttgen Stankttpfto** siirtrlit, »dl«
Deine Pantoffclii in der Hand den von Dir c i' h ahn t e ii VTc^ sctireiend atx-r
glalchgQltig daherscblendcra," und wenn man dies ala eine Anspielung auf ZlllCB£Fs
KDeetor Lurumu Schnhe «Ind nicht alle» Dorfptaffen fereeht* 1i*t deuten wollen, so
findet sieh dasselbe Bild !u>i I.ISCOW hier fnst mit 2lNCBEFg Worten: (3. 76) „Uiistrc r;otlis
gelahrt«, die voa Jeher wohl erkaipitea, dafs LuXfiKBa äohahe nicht alten FQfacn gerecht
sind, haben'' o. a. tr.
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— 31 —
aber ist» den Luthbe von der Schlofekirche in Wittenberg, den ^Pro-
testanten", mit dem späteren Luthkr, dem Orpfanisator der neuen
Jbarche in Wideisyruch zu setzen. Lutiier, der sich anfangs auf
die reine Schrift gestützt, habe später, „wie billig, diejenigen sehr
hart angelassen, die sich gelüsten liefsen nach seinem Beispiele auf
die blofse Sehiift zu trotzen".
„Man mache demnach nur einen Unterschied, unter den
vordersten und hintersten Luther, inter Luthbrüm prioristicum
et posterioristicum und merke, dafs der letzte uns lieber ist
als der erste» so wird man begreifen, da& man uns mit Recht
nicht vorwerfen könne, wir folgten nicht den Fufstapfen des seligen
Mannes." (S. 84).
Über den Kern- und Ausgangspunkt der ganzen Untersuchung
aber, die «guten Werke", urteilt er in seiner orthodoxen Verkleidung,
sie seien für einen Prediger ebenso wenig wesentliche, notwendige
Eigenschaften, wie krauses Haar und dicke Waden.
„Wir sind so geneigt einen in Ansehung der Sitten straucheln-
den Binder, der orthodox ist, mit sanftmüthigem Geiste wieder auf-
zuhelfen und ihm seinen Fehltritt (so lange derselbe nur nicht so
grofs ist, dafe er von dem weltlichen Richter bestraft werden mufs)
unter dem Namen der menschlichen Schwachheit hingehen zu
lassen, dafs man sagen sollte, wir hielten die Laster eines Recht-
gläubigen für obscuras virtutes , so wie wir die tugendhaften
Xhaten deijenigen, die nicht reiner Lehre sind, für splendida vitia
hielten.^
„Allein wage es einer und lasse sich merken, dafs ihm auch
nur die geringste von unseiTi Lehren nicht gefalle: wir werden ihm
gewifs die Pi'obe unsers Eiters um das Haus des Herrn aufs uach-
drücklichste zu fühlen geben. Wir werden ihm sogleich den Namen
eines wahren Christen absprechen, wenn auch sein Wandel noch so
unsträftich ist. Ein Priester wird abgesetzt, sobald man nur weiff«,
dafs er irriger Lehre ist. Allein noch hab' ich nicht gehört, il;ir-
man einem Prediger, der sich nur von offenbaren groben Buben-
stücken und Schandthaten, die der Ahndung des Richters unter-
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— 82 —
Wolfen sind, hütet, seiner sonst uaanständigen und mit den Geboten
Christi nicht übereinstimmenden Lebensart wegen auch nur einen
Heller von tseiiiem Eiüki)iiinieii entzogen habe. Man stellt ihn
nicht einmal darüber zur Hede, man überläfst es seinem Gewissen
and decket seine Fehler mit dem Mantel der Liebe zvl
Die Ursache ist, weil unsere Gottesgelehrten . . . behaupten, dafs
die Gottlosigkeit eines Predigers der Gültigkeit und Kraft seines
Amtes nichts nehme. "Wie könnten sie aber dieses thun, weim die
guten Werke . . . eine so nothwendige Eigenschaft, und nicht
vielmehr ein blofser Zierrath eines Christen wfoen?* (8. 42f.)
n Aber," heifst es dann euiige Seiten weiter (8. 52), «Fairnns Troes,
diese glücklichen Zeiten sind verschwunden." ..Es hat sich eine
Art Menschen hervorgethan, die da haben den öchein eines gott-
seligen Wesens, seine Kraft aber verleugnen." NatOrlich sind die
Pietisten gemeint; und nun geht es ein WeUchen in demselben
Ton wider „die böse Rotte", wie wir ihn oben von v. Sbblbv ge-
hört haben. Der Stofsseufzer, mit dem der M. Sebastian Zänker
seinen Zomeserguis beschiiefst: „Ü Dens, in quae tempora nos reser-
vasti" erinnert unwillkürlich an die Worte v. Sbblbns.
Jedoch LiBGOw scheidet sehr wohl zwischen den Grundideen des
Pietismus^ und den Pietisten seiner Zeit, welchen letztem er durch
den Mund des alten Mag. Zanker die bittersten Wahrheiten sagt.
„Ich weifs wohl, sie („die Pietisten") meinen es so böse nicht, wie
man, wenn sie es auch nicht ausdrücklich sagten, zur Noth
aus ihrem Wandel, der nichts weniger als pietistisch ist,
abnehmen könnte. Was sie thun geschieht aus einer theologi-
schen Klugheit Es läfst, als wenn unsere Prediger
meinen, man müsse in seinem Herzen orthodox und auf
der Kanzel Pietist seyn."
Es würde zu weit führen auf alle einzelnen in der ^nstd be*
rührten Fragen hier einzugehen. Das Gesagte wird genügen, um
^ ABXOUr, der VerfMMr der Kirelien- und KetxerbUtori«, bekonunt dagegtn eiamal des in
diMem ZuMinmeiilmt LiSOOWt M«ade doppelt idiiDeklMlhsftai XhiOitttd dMM HV^I^f*^
BciRNHiteii.*
. j . > y Google
— 33 —
den Geist zu spüren, den sie atmet Aber auf einen Punkt mttssen
'Wir noch einmal zurückweisen» er ist von Bedeutung nicht nur fCkr
die Entstehung dieser Schrift, sondern für den litterarischen Ent-
wickelungsgfinff Li8rows überhaupt.
Wie bereits erwähnt, richtet sich die eine Spitze der Liscow-
schen Polemik gegen die kaiholisierende Tendenz der protestanti-
schen Orthodoiie, unabhängig von der Bibel eine gemeinverbindliche
Glaubensnorm aufzustellen. Freie selbständige Durchforschung der
heiligen Schrift, läfst er seinen Mag. Zänker sagen, sei allerdings
ein altes Recht des Pi'otestantismus. Aber wie gefährlich sei die
Ausübung dieses Privilegs 1 Wie, wenn der beschränkte Laienyer-
stand einen falschen Sinn herausfinde» welcher «den Lehren unserer
reinen Theologen entgegen" seil Würde es dah^ fär das Seelen-
heil des Laien nicht besser sein, er verzichte freiwillig darauf,
„dieses geistliche Meer ohne den Kompafs unserer Orthodoxie" zu
beftdiren^ da er sonst „schwerlich hoffen könne, den Hafen der Wahr-
heit zu erreichen."
Im Anschlufs hieran bemerkt er nun: „Ich habe vor langer
Zeit in dem Journal lUleraire den Auszug eines in England heraus-
gekommenen Buchs, dessen Titel mir entfallen, gelesen, in welchem
der Autor ^ar sinnreich und artig behauptet, dais das Lesen der •
Schrift der Orthodoxie sehr nachtheüig und fast die einzige Ursache
aller Ketzerei sey. Man hat geglaubt, der Autor habe in dieser
Schrift die Orthodoxie auf eine satyrische Art durchziehen, und sie
eines Ungmndes beschuldigen wollen. Ich will darüber mit Niemandem
zanken. Mir liegt wenig daran, ob der Autor diese Absicht, die
wahrhalt gottlos ist, gehabt oder nicht; nur deucht nüch, dafs man
der Behauptung dieses Engländers, wenn man sie von den etwa mit
unterlaufenden Spöttereyen, von welchen ich ein Feind bin, absondert,
einen guten Verstand geben könnte.**
Der Auszug steht im Jdmmd lUteraire im VI. Bande S. 141
bis 156.' Seme Erwähnung an dieser Stelle scheint mir aber in-
1 Jr.urniil Littefnirf 171" loitie VI. Her Titil der englischen Schrift selbst ist: The Diffi-
cully» and di^yurm!''inrnts wfoch atttnd fM ttudy o/ the leriptmret in Ütt way 0/ pri9<M jmäffnttiU: In
LIXZMA»', LlBCOW. 8
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— 34 —
sofern nicM ohne Bedeutung, als die Fom jener engUschen Bro-
schüre, welche dorf excerpiert ist, vermutUch auf die Einkleidung
der Liscowt^chen Gedanken über ein ähnliches Thema nicht ohne
Eiiiflurs gewesen ist; vor allem auf die konsequent durchge-
führte Ironie und den Einfall, die antiorthodoxen Worte
einem angeblich strenggläubigen Geistlichen in den
Mund zu legen. Der Bemerkung, er habe den fraglichen Auszug
,.vor Jahren" gelesen, ist vvolil keine sonderliche Beachtung zu
schenken, da sie offendar nur im G.eiste der „Holle" des Mag.
ZlNKBB gemacht ist, der ein andermal schon seit 20 Jahren das
Pfarramt zu verwalten behauptet, denn es finden sich auch in
einzelnen Wendungen Lisoows Anklänge an Gedanken und AnsdrQcke
jenes Artikels im Joitrnal litterairc, die daiaiil Isindeutcii, dals seit
der Lektüre desselben noch nicht allzulauge Zeit verüosseu ge-
wesen sein kann.
Beim Abschlufs dieser Bemerkungen über den ersten Abschnitt
von Lisoows litterarischem Wirken, welcher au^schliefslich religiöser
Toleniik gewidmet ist, mag das, was über st iiie sonstijjen theolojsfisch-
philosophischen Pläne resp. Aufsätze bekannt geworiU ii, gleich hier
im Zusammenhang erledigt werden, mit Ausnahme der Vorrede gegen
■BsmEBCK, welche bei Gelegenheit Yon Lisoows Beziehungen zu
GoTTSCHKD zur Sprache kommen wird.
AVir wissen noch von zwei Manuskripten Liscows, von welchen
das eine sicher ein theologisches Thema behandelte; sie wurden dem
Verfasser, wie Hslbio (S. 60) berichtet, aus seinen beschlagnahmten
Papieren wieder zurückgegeben und smd seitdem nicht wieder zum
Yorschem gekommen.
Ijiie ScJirift wider des seeliffen Herrn Dr. Löscher reflexmi.^t
über die pames libres" und „Credanken über die Historie von Jacob
vnd Esau."
«rd$r M «Aew, fhul »inet ««oll a ittufy «/ M« «er^fiim ia mm'« fudiqMiiMM« dttty» it eewKTM «U
Cfiriffirtn Sociflies to remore, u* mncfi i7« poxsihU th'tff ilSfcntrunt'-mi'n*'^. In u letter to a yountj
^lergijman a prttbjfter o/ thf chureh o/ Engfand. I^n<luii ITH. AU VerfaMcr ward
von alQlgvm dir Bisehof tod Ghteheiter Dr. HARS gvnumt, was Ton mnderiii mit Sttckfteht auf die
oStübat aatiottliodoxe Tebd«ns der Behiift butrttteii wurde.
. j . > y Google
— 35 —
Helbiö venimtet, sie seien in Lisrows letzter Zeit in Dresden
entstanden, mit mehr Walii hcheiiilielikeit setzt mau sie wohl ungefähr
gleichzeitig mit der Schrift gegen Manzbl und der Epistel an Lange.
Die fragliche Schrift LObchbbs war schon 1724 erschienen und
die Bezeichnung „seeliger" auf dem Titel (LOscher starb 1759 in
Dresden) vermutlich nur ein Vermerk des registrierenden Kaiizlitten
aus eigener Weisheit. Vielleicht ist dies ..das Manuskript voll der
allerkülmsten Zeichnungen von der Hand dieses unsres Swifts", das
gleich auf den ersten Seiteir „eine markichte Pfoffenzeichnung" ent-
hielt, von dessen traurigem Flammentode durch Priesterhand
SciiuBART [Lehm und Gcsinnunycn I. S. 175 f.) einen jedenfalls etwas
ausgesclmiUckten Bericht giebt.
Ans späteren Jahren» „als er eben die Sammlung satyrischer
Schriften herausgegeben hatte** , ist dann noch durch Nicolai (in der
Gedächtnissehrift auf Jon. Jakob Engel. Berlin und Stettin 1806)
uns eine Äufsenum Liscows über die Apokalypse aufl)('\vahrt.
Liscow hatte, auf Emi)fehlung von Engels Vater, einem i'rediger
zu Parchim, mit dem er befreundet war und bis an sein Ende in
Briefwechsel gestanden haben soll, den Kommentar des Yitrixga
über die Apokalypse entliehen, und schickte ihm das Buch zurück
mit den Worten:
„Hier haben Sie ihren Vitrikga zurück, mein werther i'reund.
£r deutet und deutet abermal, typisch und mystisch, thetisch und
prophetisch, und da läfet sich endlich etwas herausdeuten. Indefs
habe ich den tüchtigen Quartanten hinlänglich durchlaufen, um zu
sehen, dafs mcuii es dem heil. Johannes gefallpn hätte, so viel
Gelehrsamkeit und Mühe anzuwenden, um in seine Apokolypse Ver-
stand hineinzuschreiben, als der ehrliche Campeoius lim Verstand
hinein zu erklären, so würde sie ein ganz erträgliches Buch ge-
worden seyn."
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II. Sivers und Philippi.
Am 31. Mai 1729 berichten die „Niedersäcksiehen Netten
Zeitungen von gelehrten Sac/mr' unter Rostock, vom Mag. Heinrich
Jacob Sivebs aus Lübeck seien zwei kleine Schriften erschienen:
eine OrtUio de graäihm ad honores aeademicaa ambiendis et
aperienäiSt imd eine Dmertaiio ex historia UUeraria, sistens can-
torum cruditorum decades duas.
Am 6. Januar 1730 berichten sie wieder, eben dieser Sivers
werde monatlich ^eiue moralische Schrift in Versen; Der Satifrische
Patriot* herausgeben.
Vier Wochen später, am 3. Februar, wird gemelplet, das erste
Stück des „Satyrisclien Patrioten'' sei erschienen und handle „von
der Poesie und deren Mifsbrauch."
Femer habe der Mag. Sivers zur Eröffnung eines coUegii
disputatorii eine Abhandlung drucken lassen: „Praemvs discursus
de eonkmtu poetarum hmureatonm.*
Am 14. April desselben Jalires hört man, der Mag. Sivers
habe eine Disputation gehalten ^De jide SaUifiva''.
Am 28. November kommt die Nachricht, der Mag. Sivers habe
seine akademischen Dissersatdonen etc. gesammelt und unter dem
Titel OpuscuHa Aeademea VamO'Batthiea erscheinen lassen, und der
Herr Lic. v. Seelen habe eine Vorrede dazu geschiieben „ Vom Mifs-
brauch und rechten Gebrauch der heydnüciien Fabeln,**
— 87 —
Zugleich erföhrt man, dafs «vorgedachter Autor, der sich auf
alle Weise bey der gelehrten Welt im 21. Jahre semes Alters be-
rühmt und bekandt zu machen fredenckt, auch seine Vermischte uiid
Satyrische teutsche Crcdichte^ herausgebe.
Vier Wochen später am 22. Dezember wird abermals die Welt
mit der Nachricht beglückt, dafs jener Sitbrs, »kaiserl. gekrönter
Poet und cand. min.*" den von Leipzig nach Lübeck berufenen Garp-
zov mit einem Gedichte: ^Die nach dem Tniuren erfreute Eusehie^
begrüfst habe.
Auch das folgende Jahr 17B1 findet den unermüdlichen Lü-
becker Magister rüstig an der Arbeit
Am 24. Mai liest man, dafe er an einer Übersetzung der
Psalmen in deutschen Versen arbeite; am IG. Juli, dafö er eine
Dissniaf/o epl.stolica gegen Knien roMoppmAN verfafst habe; und
zugleich, dals diese Schrift die 21ste des Magisters sei, „welches
gewiTs bey den noch frühen Jahren ein Zeugnifs eines grolTen
FleiHBes dieses Mannes ist."
Aber der Lohn bleibt auch nicht aus; am 18. Oktober liest
man, dafs die Berliner Akademie Siv£rs wegen seiner „praeclaras
animi atque ingenii dotes elegantissimarum et utilissimarum scien-
tiarum solerti studio excultas et ezinuis in publicam speciminibus
comprobatas^ zum Mitglied e ernannt habe. Dfl(8 in extenso abge-
(hiu kte Diplom ist datiert vom 28. Septbr. 17i>i und von D. E.
Jabloksky als Propräses unterzeichnet!
Wenn es überhaupt noch möglich, steigert sich Sivbbs' Thätig-
keit> infolge dieser Anerkennung von auTsen, zu Beginn des folgenden
Jahres noch mehr.
Die „Hüwljjir ff i selten Berichte von Xcuen gelehrten Sachen^'
(herausgegeben vom bisherigen Redakteur der Nieder i^ächsisclicn
Zeitungen resp. Naehiiekten Prof. Kohl) berichten schon am 12. Januar
1732 aus Lübeck, man drucke an der ^(hsehieMe des Leidens ttnd
Sterbens, der Aufersiehimg imd Himmelfahrf Jesu Christi y aus den
vier Ecai) ff /listen mit kurzen Exegetischen Anmerelmngen aus dem
alten und neuen Testament, den heil. Kirciten^Vätenif der Fhilologie
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— 3b —
und Antiquität cdäaicrt^ und nehst einer Vorrede von den Feinde }i.
und Freunden des Creutzes Christi, ans Licht gesteUct von M.
Henbich Jacob Sivers^ der Königl, PreußiseJten Academie der Wis*
senschaften in BerUn Nitglied^
Vierzehn Tage später, am 26. Januar, bringen sie die erfreu-
liche Mitteilun«?, der Text besafiter Passion werde alten Leuten zum
besten mit grofsen deutsehen Lettern gedruckt; ferner würden die
abweichenden Versionen der BuGBNHAGBNschen niedersächsichen Aus-
gabe von 1531 mit beigefugt werden, wie denn die Anmerkungen
zwar kurz, aber derart seien, dafs sie einen grofsen Kommentar
ersetzen könnten. Am Scblnfs die fröhliche Verheifsung, Ende des
Monats werde das Buch in Hamburg und Lübeck zu kaufen sein.
Kaum ist diese Schrift heraus, so kommt am 15. März schon
aufs neue die Kunde, dafs Sivsbs ^Kurtge Ändaehte» in gebundener
und ungehundencr Rede über einige Stücke aus der Leidensgeschichte^'^
habe drucken lassen. Aber damit nicht geimg, erfährt man auch
von der Thätigkeit des Magisters auf einem Gebiete, das er bisher
noch nicht betreten, ja das ihm so fem zu liegen schien, wie nur
irgend jemand. Unter dem Gesamttitel y,Curiosa Niendorpiensia'^
hat er gar gelehrte Betrachtungen über merkwürdige Steine, die er
am Strande der Ostsee gefunden, iu die Öffentlichkeit gebracht.
Das erste Specimen ist der Berliner Akademie gewidmet, als Dank
des Verfassers für seine Aufiiahme, und handelt u. & von einem
„lapis musicalis", auf welchem der Verfasser Noten entdeckt hat,
un»l von dein eine Abbildunji; der Schrift beigefügt ist.
In diesen kurzen Zeitungsnotizen ist die beste Charakteristik
von Lisoows zweitem Gegner enthalten. Sie zeigen uns das Bild
emer Lokalberuhmtheit von sehr zweifelhafter Berechtigung, welche
mit durchaus „untauglichen Mitteln*, aber mit unverkennbarem Talent
für die Keklanie und daher auch nicht ohne einen gewissen äufseren
ÄUgenbh( khcheu Erfolg sich zu einer »wissenschaftlichen Gröfse" um
jeden Preis schreiben will.
Schmidt von Lübeck (^toriseke Studien S. 144) hat den
HaupteinfluTs auf Lübecks Kultur, während der gröfsem Hälfte des
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— . 39 —
18. Jahrhunderts dem bereits mehrfach erwähnten Lic. von Seelbn,
dem Rektor des Katharineums, zugeschrieben. Das ist wohl zuzu-
geben. Wenn er aber dann als den Charakter der v. SEBLSNsoheti
S( hule Tüchtigkeit und pündliche <ieleliisaiiikeit angiebt, so ist da-
gegen doch mancherlei einzuweudeu. Eben dieser Sivers ist ein
Schüler ton Sbelbns« und zvar, was hier entscheidend ist, ein offen-
barer Günstling desselben. Wir haben gesehen, dafs die „<ipuseula
aeademiea' unter der schützenden Flagge einer Vonrede von Sbelsns
in die gelehrte Welt hinaussteueiten, und es sind alle Anzeichen vor-
handen, dafs der Lehrer auch später seineu Schüler nicht hat fallen
lassen. Noch im Jahre X754 widmete Sivbrs ein Exemplar seiner
„merkwürdigen" in schwedischer Sprache geschriebenen Abhandlung
„Eh merhmirdigt SHicJ:e af Kmmuf Gustafs im FSrsies Eistoria"
VON SKKLE^' als „Fautori et damalieU ii(tnoratissimo'*.* Dafs
VON Seelen nun bei seiner eigenen gründlichen Bildung nicht im
innersten die Hohlheit und Albernheit seines Zöglings erkannt hätte,
ist wohl kaum zu bezweifeln, aber es ist nur zu wahrschemlich,
dafs ihm die fanatisch orthodoxe Gesinnung, in welcher er mit dem
Schüler sympathisierte, das klare Urteil über dessen wisseuschaithciie
Leistungen etwas trübte.
Sicher ist, dafs Sivbrs, trotzdem er Albernheit auf Albernheit
häufte, von der Persönlichkeit, welche in Lübeck vor allem dazu
berufen gewesen wäre, diejenige Zurechtweisung, resp. Warnung
nicht erhielt, die sein Treiben verdiente; ja, dafs er von dieser sogar
begünstigt und dadurch in der weiteren Verfolgung seiner thörichten
Spielereien nur bestärkt und ermuntert wurde.
So kam es, dafs ein anderer sich seines Elends erbannen
mu&te, dafs er in Liscows Hände fiel.
Wie der oben niitj^eteilte Urief Le Favres andeutet, hatte man
im Liscowschen Kreise schon seit einiger Zeit dem himmelanstrebenden
Genie des jungen Sivers ein für diesen keineswegs schmeichelhaftes
* Dm Exemplar mit d«r WUmimf von Bitebs* Hand bcllDdet aldi tmt der lAbedunr Stadt»
MbUothek. Die Schrift eetbtt gibt den IHlhcren d«a Vcrfaue» an AbgeieliiBaektbelt aidita nacb.
ygl. «ach Clabssm 8. 15 Ann.
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— 40 —
Interesse zugewandt, ja man geht wohl nicht fehl, wenn man an-
nimmt, da(b die Parodie^ auf ein „Avera$»mmi^ Ton Sitirs, (in
welchem dieser im Dezember 17S0 ein „itßt lebendes Ohrtes
Lüheck"' ankündigte), welclie im Januar 1731 erschien, wenn auch
nicht von Liscow allein veifafst — dagegen sjuü ht tine ausdrück-
liche Angabe in der Vorrede der Sammlung (S. 9 resp. 11), die „An-
merkmigen üherdieZerstorung Jerusalem'^ seien seine erste Schrift gegen
S. — so doch unter seiner Mitwirkung, in seinem Kreise entstanden
ist. Darauf deutet auch, dals Sivers bei einer satirischen Anzeige
seiner Passionsgeschichte, welche von Lübeck aus eingeschickt, im
^Hamburgisehen Carrespmdenten*^ vom 20. Februar 1732 abgedruckt
worden war, sofort auf Lisoow als Verfasser riet.
Notwendig aber ist es, endlich einmal Lisoow von dem un-
würdigen Verdachte zu reinigen, der seit Dreiers Mitteihingen in
den „Papüreu des Kleeblatts" auf ihm geruht hat, als sei möglicher-
weise ein Motiv zu seinen Angriffen auf Sivsns in dnem Bachgefühl
gegen dessen Vater zu suchen, welcher ihn um die Stelle eines Er-
ziehers im Y. TnisNENsehen Hause gebracht habe. Mag Lisoow
diese Stelle als Erzieher der beiden Stiefsöhne des Domdechanten
VON TniENEN gleich nach seiner Ankunft in Lübeck, oder erst später er-
halten haben, sicher ist, dafs er sie, wie aus dem im Anhang ab-
gedruckten Briefe Joachim Fbiudbich Liboows an Gottsohbd vom
13. Nov. 1733 hervorgeht, Ende 1733 noch inne hatte, und schon
im Herbst 1732 war — wie vdr aus einem Briete Friede, v. Hage-
dorns vom 3. Oktol)er 1 732 wissen — Liscows letzte bchrift gegen
SiVBRS „Ihr sich sdbst entdeckende X. Y, Z,"^ im Manuskript druck-
fertig. Brbyebs „authentische Nachricht^ erweist sich also als eine
alles thatsächlichen Anhaltes entbehrende Fabel. Übet die Geschichte
seines Streites mit Sivers hat Liscow selbst in der Vorrede zur
Smmdung sich so eingehend ausgesprochen, dafs füglich hier daranf
verwiesen werden kann; nur einige Ergänzungen sind notwendig.
Zunächst ist beachtenswert die unglaubliche Geschwindigkeit,
mit welcher die Liscowsohen Satiren aufeinander folgen, welche
' vgl. d«u Atihwitr.
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— .41 —
allein schun auf das Opfer einen geradezu niedei^schmetternden
Eindruck machen mufste. Kaum hat dieses sich von dem ersten
Schlage erholt, so krocht schon der zweite auf seinen schmerzenden
Schädel.
Am 20. Februar 1732 erscheint die satirische Rezension der
SiVERscheu Passion im „Hamburgischm Corre^ondentm''^\ istLiscow
wirklich nicht ihr Verfosser — er leugnet es bekanntlich — so ist
sie doch eicher nicht ohne sm Zuthnn entstanden, obwohl er auch
dafl in Abrede stellt.
Am 26. Febniar folgt Siyers' geharnischte Gegenerkläiung
ebenfalls im Correspondenten. Vor Anfang März kann also Liscows
erste Satire nicht erschienen sein; und yermutlich noch im April
folgt die „VUrea fracta**, kmYi „Der sieh seihst entdeckende X. T.Z,^'
ist spStestens im September 1732 geschrieben, wenn er auch erst '
viel später, im ilerbst 11?);), gedmckt worden.
Die drastische Wirkung der Ziu liiigungeu wird dadurch noch
erhöht, dafs Siyisrs, trotzdem er in Lmoow seinen Peiniger yer-
mutet) mit Drohungen gegen ihn um sich wurft, doch nicht wagt,
gegen ihn direkt vorzugehen. In ohnmächtiger Wut ruft er sogar
von der Kanzel dio Strafen des Hiiumels auf das Haupt seines
namenlosen Gegners herab, wobei ihm sehr weing appetitliclie Zu-
fälle begegnen, und flftchtet sich schliefsUch wie ein Knabe, dem ein
stärkerer eine Tracht Prügel verabreicht hat, unter den Schutz
seiner geistlichen Vorgesetzten, ihnen seinen Leid zu klagen; dort
nimmt man ihn mit zärtlicliem Mitleid auf und ist nur zu gern
bereit gegen den Störer des Friedens, dessen Schriften keineswegs
die nötige Ehrfurcht vor dem geistlichen Ministerium spüren lassen,
dessen Bibelfestigkeit nur in Citaten an unpassender Stelle sich
äufsert , das Verdammungsurteil als Pasquillant zu bestätigen.
Liscow spricht noch 7 Jahre später reclit nachdrücklich von
«gewissen einfältigen und mürrischen fiiestem."
* Dl« aimtlldieB In der Folff« erwllmteii ScsvnaioDeii indet man, irenn nicht «lutlf aefcUch
<hs ne^rnteil bemerkt wird, von LtBCOW ielbct taMmmmfettellt, Im «Anbaog" stincr Sammiunff
flbj^druckt.
— 42 —
Überhaupt gehöite eine so tapfere und sorgluse Natur wie die
Liscows dazu, gegenüber dem Zorn der geistlichen Obern, in einer
Stadt, in der er Fremdling war, den Kopf oben zu behalten, und
vor allem den Humor nicht zu verlieren. Letzterer äufserte sich
allerdinprs bei ihm in einer das Mafs erlaubter Derbheit etwas über-
schrt'itt nden, ja uns geradezu verletzenden Weise, indem er uin den
Spalk des Yersteckspiels auf die Spitze zu treiben im sich selbst
entdeckeMdm X Y. Z.^ einen in Lübeck jedermann bekannten,
harmlosen Kandidaten der Theologie mit Namen als Verfosser auf
den Titel setzte, i'.ine .,inoi;ilische Unfeinheit,** die, wie GERViNug
mit ßecht sagt, noch an das grobe Geschlecht des 17. Jahrhimderts
erinnert*
Offenbar hat auch Libcow selbst anfangs Bedenken getragen,
den an und für sich ja drolligen Einfall zu veröffenttichen; wahr-
scheinlich that er letzteres erst auf Hagedorns Drängen, welcher
diese Schrift besonders hoch stellte.
Ein unbefangenes Unteil wird dem kaum beitreten li:önnen.
Allerdings sind die drei Satiren gegen Sivbbs weder der Form noch
dem Inhalt nach mit der Epistd an Lanob zu vergleichen, aber
sie sind untereinander doch nicht von ^^leichem Wert. Das schwächste
vnn den dreien ist zweüellos die erste Satire. Ihr ursprünglicher
Chaiakter als eines gelegentlichen Scherzes, unter Freunden in lustiger
Stunde ausgeheckt, verleugnet sich nicht. Die Formlosigkeit und
Nichtigkeit tritt noch schärfer hervor, wenn man die kleine Schrift
in der Gestalt sieht, in welcher sie zuerst als Einzeldruck, sowie
im ersten der beiden Drucke der Sfunmlung von I T^^O erschien, wo
blofs die Anmerkungen, ohne den SivBRsscben Text abgedruckt sind.
Die Anmerkungen sind nun allerdings zum Teil drollig und ahmen den
> In dcu ^Anmerkungen tut UMorie von der Zerttörung der Stadl Jermalem' hftttc er sich als:
Y. X. Rot. Wo. Giuid.* braelohact.
* Übrijrcn», war BACMKISTKR keinc8we(r«, wie GKltVINUB aiitiimmt, ein ^hlMsiunlgcr Mensch*,
und die Chorakteriatik, welche UBCOW von ihm In der Vorrede zur Sammlitng gibt, er Kl ein auf-
fldlend Mfllcber, beacheMener Henaeh gaweaen, erkllrt snr OenQge, wie USOOW der Qadanka Uteein
konnte, gerade diesen als den Verfuftser «ler lieifm'ndcn Satiren hinzustellen. BACMKI8TER trehOrta
211 den Lehrern des blindgeborenen Labeckiacben Gelehrten A. D. LEOPOLD, Ar den alch auch
Lanue intercaaieite, und war spAter Pastor In Breiten&lde.
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— 43 —
SiVEBSschen Ton mit Glück nach, aUein der in ihnen enthaltene
Witz erhebt sich an keiner Stelle über das Niveau einer guten
Kneipzeitiing.
Die Vorrede dazu, welche den Feldzug gegen SiVBiie förmlich
eröfihet, ist das Beste. In angemessener Kürze wird eine ironische
Charakteristik des Gegners und seines Treibens gegeben, die nach
der formalen Seite mit zu dem Besten, was Liscow geschrieben,
gehört. Nur wird man, wie fast allemal bei ihm, in der Lektüre
das Gefühl des Bedauerns nicht los, dafs so viel Geist und Witz an
einen so nichtigen Gegenstand verschwendet wird.
Eng mit dieser Satire hängt zusammen und Pteht ihr auch
im Werte am nächsten die dritte sich seihst enfdeeleude X. Y.
Z." Hagedorn nennt sie „sehr beifsend und noch feiner geschrieben,
als die erste Parodie;" unter welcher letzterer er aber, wie es fast
scheint, nicht die „Anmerkungen zur Zerstörung der Staäi Jerusalem*^
sondern die F?^rm fracta'' versteht.
Vorangeschickt ist eine .»Vorrede des Verlegers, • in welcher
dieser von seinen langen vergeblichen Versuchen die Person des
X, Y. Z. zu ergründen berichtet. Interessant ist darin vor allem
eine Äufserung, wonach es den Anschein gewinnt, als wolle Liscow
den Verdacht der Autorschaft auf • seinen Bruder Joachim Friedrich
lenken, wenn er nämlich den \'erleger sagen läfst, er habe sich an
alle Kachrichten über den angeblichen Verfasser der „Änm&rkungen
über die Zerstörung Jerusalems* eben so wenig gekehrt, „als an das
Vorgeben desjenigen, der mir neulich als ein sonderbahres Geheimnifs .
offenbarte, dafs nicht der X. Y. Z., soiulern sein Bruder, der noch
ein ärgerer Spötter, das MSt., so ich jetzt der Welt vor Augen lege,
verfertiget''
Ähnlich sälie beiden Brüdern dies Versteckspiel schon, haben sie
es doch später Phillippi gegenübernoch drastii^cher gemacht; und Sitte
der Zeit war es auch, man erinnere sidi uui ni das Verhalten des
Ehepaars Gottsched bei ähnlichen Gelegenlieiten. Vielleicht hatte
sich auch der jüngere Bruder, der zur Zeit des Erscheinens der
Schrift kürzlich die B^daktion des gelehrten Artikels im JSamtmrgi'
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— 44 —
sehen Correspondenten übernommen hatte, bis zu seiner Übersiede-
lung zugleich mit dem Satiriker in Lübeck aufgehalten; und
daher mochte ein solches qui pro quo nicht allzu unwahrscheinlich
gelten.
Auf „die Vonede des Veiicgers" folgt ein „Yorbericlit" des
angeblichen X. Y. Z., in weichem derselbe vor allem seinem Ent^
setzen darüber Ausdruck gibt, wie man einen Mann seines Charak-
ters und Standes als Pasquillanten habe verdächtigen können. Bas-
selbe Thema, nur weiter ausgeführt, und mit Anekdoten von der
Wirkung der SivERsstlieu Kanzelberedsamkeit im St. Annenkloster
ausgeschmückt, bildet den Inhalt der Schrift selbst.
Wesentlich Neues, was nicht schon in der Vorrede zu den
Anmerhmgm von der ZersiSrung eben so gut und vielleicht besser
gesagt wäre, findet sich in der ziemlicii hvciten Ausführung nicht.
In den Augen jedes Unbelaugenen war Sivers schon durch die
beiden ersten Satiren vernichtet, und Sivbrs und seine Freunde
aufzuklären und zu bessern, durfte Liscow, obwohl er sich den An-
schein gibt, doch im Ernste nicht hoffen.
Sehr richtig läfst er den X. Y. Z. einmal sagen, Sivers sei
im Besitz einer Art Passauer Kunst, er sei unwiderleglich. Der
Zweck, ihn blofe zu stellen, war vollkommen erreicht, das weitere
Breittreten des Gegenstandes, besonders bei der gleichzeitig hervor-
tretenden Neigung, dem Stoff durch Lokalanekdoten, Anspielungen
auf Lübecker Persönlichkeiten und Verhältnisse, die daher auch nur
^ dort verständlich waren, einen neuen lieiz zu verleihen, dilickten
die ganze Fehde auf das Niveau der Lokalsatire, um nicht zu sagen
des Stadtklatsches herab.
Ungleich bemeikenswerter und bedeutungsvoller ist die zwischen
den beiden erwähnten Satiren eutstuadcue „ Vitrea fracta oder
Schreiben (hs Ritters Clifton an einen gelehrten Satmjeden
Aus dem EngUsehen ins Deutsche üb&rsetget*^
Sie hat den grofsen Vorzug vor jenen voraus, dafs sie sachlich
den Albernheiten des Stvers mit derselben Schärfe der Ironie zu
Leibe geht, sich aber dabei frei hält von jenen kleinen personlichen
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— 46 —
Austeilen, welche an die dunstige Atmosph&re spieMfirgerlichen Stadi-
klatsches gemahnen.
Die Satire beschäftigt sich aiisschliefslich mit der l.iut iniung
SivERS zum Mitgliede der Berliner Akademie. Die Geifselhiebe,
welche darin ausgeteilt werden, Men daher nicht auf Sivsbs allein,
sondern auch auf die Akademie; ja, diese bekommt, und das mit
vollem Recht, den Löwenanteil der Züchtigung.
Wenn SivERs, der übrigens in dieser Schrift nie nm ^^einem
wirklichen Namen, sondern stets als Makewind bezeichnet wird,
seine Albernheiten nicht bei sich behalten konnte, sondern vor aller
Augen seine Blofse aufzudecken fOr gut fand, so war das immerhin
etwas, was er mit sich selber auszumachen hatte; wenn aber eine
Akademie, wie die Berliner, dem Geiste ihres Begründei-s die
Schmach anthun konnte, diese Faseleien öflFentlich mit der höchsten
Belohnung, welche sie zu verleihen hatte, der Ehre ihrer Mitglied-
schaft, zu krönen, dami war es wirklich Zeit, wider diesen Unfug
Einspruch zu erheben.
Lrscow entledigte sich seiner Aufgabe, im Namen der Gelehrten
weit dies Treiben der Akademie öffentlich zu brandmarken, in glän-
zender Weise; es ward ihr nichts geschenkt Einige, berichtet er
z. B., konnten den unbegreiflichen Schritt nur dadurch erklären,
dafs die Akademie zu ftppig geworden sei und daher den BIakswiitd
aus (lenselhen Gründen auf^'cnoiiiDirn habe, ans welchen die Damen
sich der Scliönpflästerchen bedienten. Ein andres Gerücht erzähle,
die Aufnahme sei an die Bedingung geknüpft, in Zukunft nichts
mehr zu schreiben. Das kräftigste und fOr beide Teile gleicher-
weise bitterste Urteil f&M er in das angebliche bon mot des
Herzogs v. N., „man dürie skli niclit wumlem, die Akademie sei
ja ein corpus mysticum: 11 faut donc, qu'elle ait ses parties
honteuses!**
Wie schon der Titel zeigte wird fingiert, die Satire ziele auf
englische Zustände, sämtliche Namen sind daher englisch, und die
Akademie, von der die Rede ist. befindet sieh in London. Make-
wiNj>-Siv£B8 hat in Cambridge studiert. Doch ist die Verkleidung
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— 46 —
so durchsichtig, dafs jeder, der weifs, worum es sich handelt, so-
fort die waliieu Persönlidikeiten eikcniit, währcMid doch anderseits
auch der uübefangeae und nicht eingeweihte Leser ein zwar auf
andere Yoraussetzangen sich gründendes aber nicht minder lebhaftes
Behagen empfindet.
Die Situation ist an sich so reich an komischer Wirkung und
ist aufiierdeni mit sokhem Geschick künstleiiisch ausgebeutet, dafs
sie, auch h)Sgelöst von allem Persönlichen und Thatsächlichen, als
freie Erfindung für sich ihre Wirkung thut und Reiz ausfibt.
Das englische Kolorit, der Zusatz ^aus d. E. ttbersetzf", scheint
auf den Einflufs Swifts zu deuten. Es soll auch nicht geleugnet
werden, dafs Swift auf die Kostümliage bestiuuuend eingewh'kt
hat; aber man mufs sich hüten, aus dieser Äufserlichkeit mehr zu
folgern.
1729 war in Altona die Übersetzung der beiden Teile des
„Märchens von der Tanne'' von G, Chr. Wolff erschienen.
Swift begann in die Mode zu kommen, und man gewöhnte sich
daran, England als die Heimatstätte der Satire in prosaischer Form
zu betrachten.
Es ist möglich, ja sogar wahrscheinlich, dafs es die Lektüre
Swifts und die Erwägung des eben erwähnten Umstandes war,
welche L. veranlafsten, seine Satire für eine Übersetzung aus dem
Englischen auszugeben. Aber darüber hinaus erstreckt sich der
Einfiofe des En^änders nichts der Grundcharakter beider, die Ziele,
welche sie mit ihrer Satire verfolgen, sind, wie an anderer Stelle aus-
geführt ist, zu verschieden, ja einander fast entgegensetzt. Und
so ist es denn auch bei dieser einmaligen äulsern Keniiniszeuz ge-
blieben. Das Titelwort selbst, „ Vitrea fracta", „Lajsfpalien*' ist dem
Pbtron entnommen, und aus diesem, und nicht durch Yermittelung
Liscows war vermutlich der Ausdruck auch Lessing geläufig, der
seinen Aufsatz Ehrmal ü/r Fenstergemälde im Kloster Hirschau mit den
Worten beginnt: ^Vitrea fractü\ dürfte bei dieser Aufschiift viel-
leicht ein Leser denken, der ekler ist, als ich ihn mir wünsche.*"
(HEMPEi^che Ausg. Xni. S. 382).
Digili'cü by Ljt.jv.(L. it.
— 47 —
Mag es nun das richtige Gcfiihi, sich bereits mebr mit Siverh
abgegeben zu haben, als dieser Fant verdiente, gewesen sein, das
Liscow zum Abbrechen des Kampfes veranlafste. oder auch der
fühlbare Unwille der mafsgebonden Persönlichkeiten in Lübeck,
genug, er machte ein Ende und würde, wenn es iiawz nach seinem
Sinne gegangen wäre, dies Ende an einer früheren und passenderen
Stelle gemacht haben. Ganz freilich liefs er Siyers auch jetzt noch
nicht los, indem er ihm zwei Jahre später noch einmal, mit den
Leidensgefährten, welche er inzwischen gefunden, seinen unvergän^
liehen Ehrenplatz unter den elenden Skribenten anwies. Icii er-
wähnte bereits, dafs Sivers auch in späterer Zeit sichtlich bemüht
gewesen ist, sich dieser Ehre bis an seinen Tod wttrdig zu er-
weisen. Die Berliner Akademie scheint Gelegenheit gefanden zu
haben, sicli des aus Versehen kreierten Mitgliedes auf gute oder
böse Art wieder zu entledigen. Wenigstens steht Sivkrs' Name
nicht in einem Mitgliedei-verzeichnis von 1739.^
Noch war mit Sivers das letzte Wort nicht gesprochen, als
Lisoow, Ober den eine förmliche Fehdelust gekommen zu sein schien,
sich schon ein neues Ziel erwählt und fast zugleich damit bereits
den ersten Tfeil auf dasselbe abgeschossen hatte.
Am Oktober 1732 schreibt lUaEDORN an Wilcksks:^
„AUhier wird eine sehr wohlgerathene Satyre auf den grofsen
Philippi zu Halle gedruckt. Sie rühret von derselben Feder her,
deren Schärfe der arme Sievkrs'' empfunden und führet folgenden
Titel: „Brimites der Jüngere oder Lob-Iicde auf den . . . Uetm
Dr. Johann Ernst Philippi etc,*'
Phhifpi hatte sich an letzter Stelle filr diesen unvermuteten
Angriff bei niemand anders zu bedanken, als bei seinem Vorgänger
und Leidensgefährten Sivers. Liscow^ erzählt selbst, dafs „gewisj-e
Leute in Sachsen" durch seine Schriften gegen Sn krs auf ihn auf-
merksam wurden, welche in ihrer nächsten Umgebung einen Siyebs
' BATHLKK. Gftchich'r iVf.,' uh<-n.i,'r GeUhrUn, TU. 8. 281 ff. <Zelle 1741,)
* üngedr. ürieC d. Hamb. Stadtbibliothek.
* LIMOW «tut «ein« FrwiiMt» aehroHwn d«D Nsidmi beMtndlv pStBVBBB", wIbraiMt 8. Mlbtt
«Rih ttota NSlYUtS" •chnibt. fg^l. U«h CLA888K 8. ft. Anm. lt.
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— 48 —
in höherer Potenz zu bewundem und zu ertragen hatten, nämlich
eben jenen Professor Philippi zu Halle, und welche daher in Libcow
die geeignete Persönlichkeit gefunden zu haben glaubten, wie ein
zwoiter Herkules auch ihre Gegend, re.^p. ilire Universität von
dieser Landplage in Gestalt eines Professors der Beredsamkeit zu
säubern. In ziemlich naiver Weise sandte man ihm, um ihm Ap-
petit -zu machen, die letzten litterarischen Gieuelthaten Philippib
Phwi einigen Persohalnotlzen, mit dem ergebensten Ersuchen, seines
bcliailiicht€i*amtes rüstig und schneidig zu walton. Jiiscow besann
sich nicht lange, die Aufgabe reizte ihn, er hatte durch Sivers an
derartigen Hinrichtungen Geschmack gefunden, und die Art^ wie er
seinem Auftrage nachkam, fibertraf die kfihnsten Erwartungen derer,
die seine Hilfe requiriert hatten; er liefe nicht eher yon seinem
Opfer wieder los, als bis dasselbe moralisch tot und vernichtet am
Boden lag. In den letzten Stadien des Kampfes — wenn hier über-
haupt von «Kampf die Bede sein kann, wo hnmer nur der eine
Teil die Schläge bekommt, — ist die Gestalt des Gegners lediglich
MiÜeid erregend, und es würde Lisoows Ruhme keinen Eintrag ge-
than haben, hätte er seinen Triumph nicht t^o bis zur Neige aus-
gekostet. Es liegt eine Grausamkeit in diesem Würgen des kaum
noch lebenden unterlegenen Feindes, die mit Liscows sonstigem
Charakter in einigem Widerspruch zu stehen scheint Sie ist aach
nur zu erklären aus einer Art Berserkerwut, die sich seiner im
Verlaule des Kampfes bemächtigte, und welche erst von ihm wich
und einer milderen Auffassung Platz machte, als andere neue Ein-
drücke stärker auf ihn zu wirken begannen. Grofsmut ist sonst
gerade eine der hervorstechendsten Eigenschaften Liscows, und dafe
er sie auch Philippi gegenttber nur zeitweise vergessen, hat er
später bewiesen.
Philippi ist in dieser an Abenteurern so reichen Zeit sicherlich
eine der nicht am wenigsten abenteuerlichen Erscheinungen. Man
möchte ihn einen Dippel in verkleinerter Gestalt nennen. Er teilt
mit diesem den Charakter und das Schicksal. Dieselbe wüste
JSiuulichkeit, welche dem Demokritus Chiiätiaiius fao viel zu schaffen
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machte, bereitete „Briontes dem Jflogern" überall, wo er sich eme Zeit-
lang aufgehalten, üngelegenheiten. Dieselbe wunderbare Begabung,
überall und Jedermann zu beleidigen und zu ärgern, welche Dippel
von einer Stadt in die andere, durch Deutschland. Holland, Däne-
mark und Schweden jagte und ihn nirgends Buhe finden liefs, ward
auch das Verderben Phiuppis.
Sein ganzes Leben ist eine Kette von unbesonnenen Streichen,
welche gegen das Ende zu deutliche Spuren des \Valni??inns zeigen.
Es ißt aber sehr schwer, bei ihm nachzuweisen, wie stark von anfang
an eine durch sinnliche Ausschweifungen hervorgerufene Zerrfittung
seines Nervensystems auf aJle die Seltsamheiten eingewirkt bat,
durch welche er Jahre hindurch in Gelehrtenkreisen teils Heiterkeit,
teils Ärger erregte, t hrigens war er von Hause aus nicht ohne gute Be-
gabung, dazu rührig und emsig, wie wenige, aber völlig ohne Urteil,
und ohne jedes Taktgefühl. Und so hat er, obwohl ihm wie Dippbl
zuweilen sehr Übel mitgespielt worden ist, ebenso wie dieser am
letzten Ende sich j?ein Schicksal selber heraufbeschworen.
Wirft man einen Blick in die Schriften des Mannes, auch aus
seiner besseren Zeit, so ist man allerdings erstaunt, wie es möglich
war, dafe eine so zerfahrene Persönlichkeit, wenn auch nur wenige
Jahre, eine Art von Rolle spielen, vor allem bei der Bewerbung um
die hallenser Professur einem Gottsched den Eang ablaufen konnte.
Das eine geht aber jedenfalls unwiderleglich aus die.^er sowohl wie
einigen noch später zu berührenden Thatsachen heiTor, dafs in der
damaligen Gelehrtenwelt, vor allem an den Universitäten, sehr, sehr
vieles iaul war, und dafs es daher ein unleugbares Verdienst Lmcows
gewesen ist, dadurch, dafs er Philippi, als Symptom dieser Fäulnis,
an den Pranger stellte, zur Beseitigung jener Mifswirtschaft vor allen
Dingen beigetragen zu haben.
Daützel meint gelegentlich {Gottsched u. 2Seit S. 232), der
GoTTSCHEDsche Briefwechsel gäbe Stoff zu emer ganzen Biographie
PfiTLippis; er hätte hinzusetzen sollen, vor allem äufserst pikante Auf-
schlüs.se über das Verhalten ( ioT ts( iiEits gegen Philippi, woraus hervor-
geht, dafs dieser „dem anerkannt schlechten Subjecf gegenüber, „an
Lnnuirart Libcow. 4
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— 50 —
dessen Erbämlichkeit kein Mensch zweifelte", keineswegs demjenigen
Grad vou „Menschenkenntnis" bewiesen hat, die man bei einein Manne
von seiner Bedeutung doch wohl sollte erwarten , wenn nicht fordern
dürfen; Yor allem ist es höchst charakteristisch, dafs er sich nicht
eher gegen Phiuppi herausgetiaut» als bis dieser yon Lisgow schon
seine wohlverdiente Abfertigung erhalten hat; da beginnt er auch
tapfer mit drauf zu schlaj^'en.
Zu der Zeit, als Philippi Liscow8 Aufmerksamkeit en-egte,
mochte er einige dreiMg Jahre zählen, hatte aber trotzdem schon
eine sehr lebhafte Vergangenheit hiilter sich.
Zu Beginn der zwanziger Jahre hatte er, wie es scheint, in
Leipzig als Magister Vorlesungen zu halten begoiiaeu und hätte auch
wohl, bei den guten Verbindunuoii, welche sein Vater, der Hof-
prediger in Merseburg war, nach Dresden hatte, auf baldige Be-
förderung rechnen können, wenn er nicht 1726 in die auch von
Liflcow erwähnten Händel verwickelt worden wäre und sieh dadurch
in Leipzig uumöLilich gemacht hätte.
1729 ist er in Merseburg, verumtlich als Advokat, und erregt
dort, wie Tbilleb au Gottsched bencbtet (6. September 1729) in
der Hofgesellschaft unliebsames Au&ehen durch seine taktlosen
Gelegenheitsgedichte. Man bittet ihn dringend, „dafs er sich bey
vorfalleiuleii (ielegeuheiten mit seiner hohen Poesie weiter keine
Mühe gehen solle."
Lange aber duldet es ihn auch hier nicht, er mufs wegen Ver-
letzung des Duellmandats flüchten, gerSht nach H^lle und dort
föUt ihm im Sommer 1731^ — nicht zu seinem Glück 1 — die neu
errichtete Professur der deutschen Beredsamkeil iu den Schofs.
Am 6. Auglist des^ellieu Jahres hält er seine Antrittsi'ede
„vof> denen fechten der akademiscften Freiheit"' „in dem solennen
Hor-SaaL«»
* Da» königlich« D«krvt, «lurcli wilclies dem Dr. PlllLim ^Avt Uus wegen «iiiucr i^teu
<}«Mlilekli«bkelt ond Qnalltltea aondcrlieb gmOtaiiict wordeD" «die wAraltllali» Odbntliob« Pntfeirar d«r
(l( iti> Ii. II B> I. u.ini).< si" niit riraKcu wiM, lA WM Bertiv Tom 17. Jtmt 1731 datiert (vyl. PBILim
Sechs dtutxhe Heden. Leipcig 1732. Ü. 79.)
* Nueli den ^BBonbmrgMfn Baridite» mit tuiim ijvliArim Sachen* 17>I3 H«. 23 (20. Min) tot
dieM trbMWtsiiaf Am Uaher ftUiehen Wortw •AudttoritnB* auf PHlLim «iraduuflüiiiea.
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— 51 —
Unter den eingelaufenen Gratulationsschreiben befindet sich auch
eines von (i()tt?!ched. Piiilippi hat freilich wohl nicht so unrecht,
■wejin er später meint, dafs schwerlich dieser (ilückwunscli .sehr von
Herzen gekommen sei, denn Gottsched hatte sich selbst starke
Hoffiiung auf die Stelle gemacht und mufete doppelt dadurch verletzt
«ein, dafs man einen Philtppi ihm vorgezogen, dafs dieser an seiner
Stelle „der erste öffentliche Lehrer der deutschen Sprache in ganz
Deutschland" geworden. Trotzdem sclüieist er: „Unserer Gesell-
schaft gereicht es zu besonderer Ehre, dafs eben ein Mitglied
derselben dazu tüchtig erfunden und berufen worden.'*
Die erwähnte „Gesettschaft'' ist die „Deutsche Gesellschaft
der riiiLippi schon seit 1726 augehörte. (Seit 1727 war er auch
Mitglied der „Vertrauten Rednergesellschaft ■). Es ist bezeichnend
für das litterarische Selbstbewufstsein und Anstandsgefühl dieser Ver-
einigung, dafs sie später, als Philippi zum Teil durch Lisoows
Saturen, zum Teil durch den Verlust seiner Professur, der allgemeinen
Verachtunsr und damit dem Elend anheimgefallen war. es versuchte,
dieses kompromittierende Mitglied von ihren Rockschöfsen in der
Weise zu schüttein, dafs man wegen einiger bei seiner Aufnahme
nicht beachteter Formalitäten seine Mitgliedschaft überhaupt in Ab-
rede stellte. In einem Briefe an Gottsched vom 22. April 1733
spricht sich Mosheim ganz unbefangen daiul)er aus.
Von dergleichen war im Jahre 1731 nicht dieKede; Gottsched
und Philippi standen wenigstens äuTserlich in durchaus freundschaft-
lichem Verkehr; ja, Ironie des Schicksals! es hat sich ein Brief
Philippis vom 30. Oktober 1731 erhalten, in welchem er Gottsched
ganz ernsthaft den Vorschlag macht, mit ihren beiderseitigen Pro-
fessuren zu tauschen! G. möge sich doch um die in Halle vakante
Bektorstelle bewerbeui »und solte ich meinen» da Sie zugleich auch
hiesiger Academie in der deutschen Beredsamkeit und Poesie dienen
kdnten, es wäre ein profitabler Vorschlag; da ich hingegen
1 Brief vom 9. Oktober 1731 abgedruckt in dam «Anbaug" za PHILIPFIfl Schrift: ^Cicero, ein
9f9fitr Wni'BmKM* tU/kuXitlt^ «Ml CHarlMtm.* H«ll« 17S5 B. 919 U eban dort lüiid aaeh dl« Beleg» Vtx
raXLOVlM ZogeMrlrkeit war deutaehea OcMUMlieft ebgednickt.
4*
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so nicht meinen sedem fixam hier au&cblagen, sondern nach Ab-
wartung einiger Umstände mich nach Ijeipzig wenden werde.* So
solle, falfs Sie den Vorschlag annehmen und hierherzögen, ich aber
hinüber, dies iiieiiie erste Bemühunjr seyu, dafs ilmeu meine professio
Eloqu. gennan. dabey conferirt würde.*"
Welch ein Gesicht mag Gottschbd zu diesem „profitablen
Vorschlag" gemacht haben! Man hat bisher angenommen, gerade
er sei es gewesen, durch den Liscow auf Philippi aufinerksam
geumcht und zu einem Angriff veranlafst worden, und dafür scheint
auf&er anderm auch eine Äufserung L.s iu der Vorrede zu der
Sanmktng (S. 19. 25) zu sprechen: Gottsched habe am besten wissen
können, daTs er — Lisoow — den .iBriontes** verifUist habe. Dem
ist aber, wie die im Anhang mitgeteilten Briefe Joachim Fbiedrich
Liscows an Gottpciiki) uu/\veifelliaft beweisen, niclit so. .
Wahrschcmlicher ist diejenige Persönlichkeit, der so viel au
einer Blofsstellung Puilippis gelegen war, in dessen nächster Nähe,
im Kreise seiner Hallenser Kollegen zu* suchen. Man hat wohl an
den aus Hamburg gebürtigen Fribdrich Wiedeburo zu denken,
der im Jahre 17;>1 ebenfalls Professor in Halle geworden war, iiiul
der ganz besondere Veranlassung hatte, aut 1*h. ungehalten zu sein,
da dieser mit seiner y,Thüringisc}ien Historie'' , welche er dem Kron-
prinzen von Preufsen gewidmet, einen durch keinerlei Fachstudien
motivierten EmMl in das Arbeitsfeld Wiedeburgs unternommen
hatte. \V. zog denn auch — freilich ohne Xamen zu nennen —
in der Vorrede zu dem Specimcn I. seiner rcrum Misniacarum
(Hamburg 1732) gegen die Schreibwut ruhmbegieriger Gelehrten
energisch zu Felde. Bafs auch Phiuppi ihn, wenigstens später, in
Verdacht hatte, beweist der Umstand, dafs er W. fiir den Verfosser
des „glatibivimUgm BerichUs dnts herühmkn Midici'' etc. hielt. *
» Vgl. . Vertheidi^nguehrifft oder der geMnt^n Patriotitchm A*»emhlre umlerteeilig^ Bedencken
Ott Baim to. tatd Pro/m. fkUlppIt AoiultliMf Vom 4em iteehte der Trrdeektm Se^rab'Art bty OtUgmUeit
der :u H<dle heruux^iehmimenpn Chartrque. : Wahrhußlfr Rericht ririi y Ji"ch'>,THh:nU n }li> lici rir. hrtHnU,
ahggttutMi auntmt 2 eurituttn Sefflagtn A und B, nall«: 1734. In Verifguug des Auturia." WlKDE-
BUKO Wird 4«rtB «owohl unter dem Kamen »Dr. flCHLAVxAHV* mCi hefU«ite «ugegrlffni, alt ««^
clotnal mit aelm-n AiifaiKTübuchataben — Hr r I>. F. W. . . (Dr. FlilBllUCH WICMBVRO) SU H.. .
— als VerfMier des ^aubwnrdige» BtriekteM" bewicbuet (0. 20.)
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— 5:5 —
Die Eröffnung der l iMn(Ist'li<:kt'iten ge«;en Philippi aus dem
GoTTFcnEDschen Lajijer erfolgte dagegen erst ein wenig später, nach-
dem bereits der „Briontes'* erschienen; wenn auch schon einige Zeit
vorher beide Teile über die gegensditigen Gesümungen nicht mehr
im unklaren waren, wie hätte sonst Phiuppi auf Gottsched als
Verfasser des ^JJriontcs'' fallen können.
Das aber, woiuit Philippi sich wiiklich die GoTTSCHEDsche
Meute auf den Hals zog, war ein Angriff auf Wolff in seiner
1733 erschienenen Abhandlung:
„ Ma thema Hscheir Vermch von der Unmogliehkeit einer ewige^i
Welt, sammt einem hurtzeu Aius::uij (U r aHt rm ueMen Schriffh u, so
in der bekamtten Woljfisciun Controvers darüber geivechselt worden;
mit unpartkeyischer Critie beurtheilet*' (Leipzig 1733.)
Eine mifebilligende Äufserung über Wolff galt in der Gott-
scHEDschen Schule als ein Majestätsverbrechen, auch schon lange
bevor das streitbare Ehepaar durch Maxtki kfel för die Ale-
thophiien geworben worden; war doch 1731 schon jenes Buch aus
Gottschei»8 Feder geflossen, das später, wie kein andres, zur Popu-
larisierung und schnellen Verbreitung der WoLFFschen Ideen bei-
getragen hat, aus dessen Einführung als Lehrbuch auf hdhem
Schulen und I niversitäten das plötzliche Heranwachsen des Wolt-
fianismus zu einer beheri*sch enden Macht zum grofsen Teile zu
erklären ist: j,Dis ersten Gründe der gesammten Weltweis-
heit^ '
' Philippi, der es übrigens auch mit dem ihm eigentümlichen Ge-
schicke mit WoLFKs (iegnern verdorben, hatte in der Pei*son Wolffs
GoTT-sciiED mit beleidigt, der ihm infolge dessen im 175. Teile der
deutschen Acta erudiicrum eine derbe, wiewohl verdiente Abferti-
gung zu teil werden liefs. Aber damit begnügte man sich nicht.
* Vm denke an LiUfOK lu Ldbcek. GsABFEt der Hoteelator dca jongiaa UtfXCBHACSBK,
iKTiclitet ITtC niiH Ualk' an GoTT«riiKi>, (trifM BAT MifAKTKN oIht Oott>»chkus Biicli kurxorisoh
lese; infolge lirssea s«! lu Hallr kciu tlxcinplnr int-hr %«i bi^komincn: uud ilcr Mag. ST£U(ACEK, i'er
Itn BlMb in einem «dÜKcn Hawe Hofmenter tot, aehrolbt Im Soiit«mber 1TS9, dalli «r „aurVerian««u
nllc Tapo oino fitunlo" :ni« ilcr \\'<-!fu-'UhcH Irso. Wie 'ivnril<'ri Ew, JmcIh ii. ucnii Sic In meinen
UOr«al k&iucu, uu«l tulcli unter einer Meu^e artiger Dameu uml Herreu mit dero pLiilosuphiacboui
Bandbncli« aitieii Mb«a.*
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— 54 —
Man hatte inzwisehen in Leipzig von Liscow gelernt, oder büdete
es bidi wenigstens ein, wenn man in Wahrheit anch im Abgucken
nicht weiter gekommen war, wie der Wachtmeibter im Wallenstein.
Man versuchte es mit der Satire, und setzte auf ein „Höfliches Send-
schreihm an 2^. Serm Jokam Emst PhiUppi wegen des mathe^
matisehen Versuchs von der JJnmögliehheit Hner ewigm Welt, ge^
stellet von Fünf Schwestern aus der vertrauten KedntrgesellscJinfff.^
Ein düritif^es, witzloses Machwerk und in so schlechtem Stil
abgefafst, dafs selbst Philippi, der an der Identität der Ver£as8er
des „Bfumks* und dieses ^Sendschreibens* festhielt, den Abstand
bemerken mnfete und auch dadurch zu erklären versuchte, dafe
letzteres nachher noch diuch tVemde Hände gegangen und von
diesen verballhomisiert worden sei (was ihn freilich an einer andern
Stelle nicht hindert zu sagen, das „Sendschreiben'' sehe dem Bri-^
mtes so ähnlich, „wie ein Babe dem andern**).
Ein näheres Eingehen auf diese, sowie die von andrer Seite
gegen Philippi in diesen Jahren erschienenen „Safpretv' lohnt sich
ebensowenig, wie eine Analyse der zahlreichen Entgegnungen Fhi-
Lippis, in welchen er mit seiner Unart, sich in dunkeln Anspielungen
zu ergehen, seine Gegner nie mit ihren wahren Namen, sondern
stets mit abgeschmackten seiner eigenen Erfindung zu bezeichnen,
den Leser in ein Labyrinth verluckt, in welchem den leitenden
Faden zu finden resp. festzuhalten, jedenfalls heutzutage, unmöglich
ist. Und vor allem kann es nie die Aufgabe wissenschafUicher
Forschung sein, für so inferiore {Persönlichkeiten« wie Phiuppi
und seine Gegner, mit alleiniger Ausnahme Liscows (Gottsched per-
sihilich bleibt immer im Hinterginmd) in Wirklichkeit waren, allemal
den ganzen kritischen Apparat in Funktion zu setzen. In derlei
Plunder herumzuwühlen, mag dem Liebhaber und Kuriositätensammler
überkssen bleiben. Hier kann diese Materie nur so weit berflhrt
werden, als Liscow in Frage kommt.
Wer Lust verspürt, eigene Nacliior.schungen anzustellen, sei
hinsichtlich Philippis auf Hir8CHIN(js Historisch-litterarisches Hand-
buch VII (1S05) verwiesen, wo S. 204— 221 die ausfuhrlichsten
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— 55 —
Nacltriehten Ober seine persönlichen Schicksale, seine litterariscben
Fehden etc. etc. zu finden sind. Verstreute ^'ütizell über ihn euihallcn
auch die Jahrgänge 1732—^2 „der Ilamhiirgischen Berichte von ge-
khrieu Sachen'^ , deren Korrespondent und Mitarbeiter Puilippi eine
Zeitlang gewesen ist, und welche daher auch nie in den yon den
beiden andern hamburgischen Zeitungen dem j^Gorrespmdewten^ und
den ,^ Niedersächsischen Nachrichten'' Puilippi gegenüber angeschla-
genen Ton mit eingestimmt haben.
Wir besitzen von Liscow im ganzen fünf selbständig erschienene
Satiren, welche sich ausschliefsUch mit Philippi beschäftigen, und
deren Entstehungszeit in die Jahre 1732—35 föllt. AuTserdem be-
kommt V\\. sein Teil in der Vortrefflichl'eit nnd NothiccndigJceit der
elenden Scrihciüen'" ^ sowie in einzelnen nacliw eislich von Liscöw
yerfafsten Bezensionen im ^tHamhurgisehen Correspondewtm* und den
jiNieäersäcksUehm Nachrichten'*, In eben diesen Zeitungen finden
sich, worauf später zurückzukommen, in Liscows Sinn geschriebene
Aufsätze gegen Philippi aus der Feder Joachim Euiedricu Liscows
und Friedrich von Hagedorns.
Erwähnt sei noch nachstehende Anzeige, in den Nkdersäck'
sischm Nachrichten vom 3. Juli 1733 (No. 51):
„Lübeck. AJlhier siebet man man folgenden Tractat: Herrn
JoJiann Jacob Sievers M. Loh- und Tro^t-Schrifft an IL rni I). Joh.
JErnst Fhilij^if Professor der deutschen Beredsamkeit in Halle:
nebst einem maühematisehen Versuch der Vergldckung des J^oeten
Ormtea mit dem berühmten arabischen Dichter Tograi sovid
mögUeh nach Art des P, Bapin in seinen Comparaisons des grands
hommes etc.
. . . xS'/w?7c.s ailorum respice casus:
Mitius ista (eres, UUnarnque exempla dolentem
Non mea te possent rdevare! sed et mea posstmt
Omdius.'* *
Ich möchte jedoch bezweifeln, dafs diese Sclirift erschienen
sei; ich habe sie nii-gendwo sonst erwälmt gefunden. Vielleicht
stammte die, übrigens gar nicht üble, Idee ans jenem Lübecker
oiy ii^uo uy Google
1
— 56 —
Kreise, der Liscow zu seinen Satiren gegen SnitBs angeregt hatte,
der es bedauern mochte, dafs Sn'UBs dnrcV Philipp! in den
Schatten gestellt zu weiden drohte, und- der daher durch diese Zu-
sammenstelluug auch Sivers wieder iu den Vordergrund des Inter-
esses rücken zu können hoffte.
Die gegen Philippi gerichteten Satiren Liscows sind ebenso-
wenig, wie die drei, welche sich mit Sivbrs beschäftigen, ein-
ander an Wert gleich.
Auch hier können wir die zwei Gruppen unterscheiden: der
litterarischen Satire aof der einen, und des persoolichen AngriflGs
auf der andern Seite. ^
Zu letzteren zählen wir den „Glaubtmirdigen Bericht eines be-
rühmten Medici r Meriseburg 17M und „Lie bescheidene Beantwortung
der Einwürfe etc.'' Halle 173Ö. In dieselbe Kategorie fallen end-
lich die ^SoUises champ^tres.*' Leipzig 1733. An letzteren ist frei-
lich der Anteil Lisoows verschwindend klein, so dafe sie ohne Scha-
den in der ^Sammlung'' hätten fehlen können, zumal das ganze
weiter nichts ist als ein boshafter, völlig witzloser Streich, welcher
durch die ihn veranlassende Taktlosigkeit Philippxs kaum entschul-
digt wird.
Zu den „litterarischen Satiren* sind zu rechnen der „BWowiSe«*'
11^2 (Sammlung 'S). 127 ti. ISöflf.), die ^Unpartheyische Untersuchung
der Frage ob die bekannte Satyrp Brionfc^ etc. eine ^traßan Schrift
sey^, Leipzig, 1733 {Sammlung S. IBl ft. 197 £), die ^Stand- oder
Antrittsrede in der GeseUsehaft der JsHeinen Qei^tter,** 1733 (SamtniHng
S. 313 fif. 337 ff.) und endlich „die Vortreffliehkeit und Nothwendig-
keit der elenden Scrihenten.'' 1734 (Samnihtng, S, 435 ft". 473 ff.)
In allen letzteiwülniten ist Philippi Zielscheibe der Angiiffe
nur als typischer Vertreter einer ganzen Klasse von Gelehrten, in
den Schriften der ersten Gruppe sind seine persönlichen Schick-
sale 'Gegenstand des Spottes.
Dort handelt es sich um den anmafsenden i)hantastischen (ie-
lehrten, der in meiner Tliorheit und Schreibwut keine Grenzen
kemit und der daher das „natürliche Oberhaupt der Gesellschaft der
uiLjiiizuü Dy Google
— 67 —
kleinen Gei^^ter", die „Zierde und Krone der elenden :S(ribenten"
ist, hier, um einen artigen Korb und um eine Tracht Prügel, die
ein alberner Mensch, der zu^lig in Halle Professor ist, sich durch
seine Taktlosigkeit zugezogen.
Dort haben wir es mit einer grausamen, vernichtenden, aber
nicht unverdienten Kritik litterarisclier Leist\inj>en zu thun,
welche das öffentliche Urteil herausfordern, liier mit dem Blofs-
Steilen gewisser Vorgänge im Privatleben des Angegriffenen,
welches dadurch, dafs, wie in dem „glauhtßüräiffm Beriehi^f litte-
rarische Kritik damit verbunden wird, keine Entschuldigung findet.
Die drei litterarisclieu Satiren, welche sich mit Philippi aus-
schliefslich beschäftigen, der „Brimtefi'' , die „Unpartheffische Unter-
suehung"^ und die „Stand- oder Antrittsrede'^ ^ stehen, sowie sie zeit-
lich auf einander folgen, auch unter einander in einem gewissen
innem Zusammenhang.
Am engsten zusammen gehören die erste und dritte (Briontcs
und die „Stand- oder Antrittsrede'^): beide befolgen dieselbe Taktik,
den Gegner durch Parodie seiner eigenen Manier zu verhöhnen.
Dieses Mittels hatte sich Liscow freilich schon früher mit Erfolg
bedient, hier aber geht er noch einen Schritt weiter. Er stellt sich
nicht nur scheinbar auf die Seite des Angegiiffenen und führt
ihn durch scheinliaies Kin<rehen auf seine Ideen ad absurdum,
sondern er verschärft den Hohn dadui'ch, dafs er selbst erklärt, er
tange nichts, und dann sein Opfer als Geistesverwandten und Ge-
sinnungsgenossen zärüich begrüfst, mit Lob fiberfaäuft und dem
Widerstrebenden aus dessen eigenen Schriften beweist, wie fest das
Band sei, das sie beide vennöge der Jämmerlichkeit ihrer Leistungen
an einander knüpfe.
Liscow führt sich im „Brimtes^^ ein als „unwürdiges Mitglied
der Gesellschaft der kleinen Geister in DeutscMand" ^ in dieser
Eigenschaft hält er eine begeisterte Lobrede auf „eines der würdigsten
Mitglieder": Phiuppi. In der „Stand- oder Atitrütsi-ede'^ wird
unter erneutem überschwänglichem Bühmen der seltenen Gaben
Phujppis derselbe als „der würdigste'' zum Oberhaupt der Gesell-
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— 58 —
Schaft feierlich proklamiert. Zwischen beide Satiren eingeschoben,
erscheint die ,Mni>artheijisch(' Untcrstichung"^ als ein Intermezzo, das
sich wohl inhaltlich anfs engste mit den beiden andeni berührt, aber
die in Jenen festgehaltene und streng durchgeführte Kunstlonu nicht
beobachtet, wie sie denn aberhaupt dem Gedankengehalt nach zwar
zu Liscows besten Schiiften zu rechnen ist, dagegen in der Kompo-
sition zu den schwächsten gehört.
Es wird daher angemessen sein, auch die beiden erst er-
wähnten im Zusammenhange zu behandehd und die ,tUnparihe]fi8€he
Untersuchung'*^ für sich zu betrachten.
Zeitlich folgen sie sonst in der Ordnung aufeinander, daTs im
Oktober 1732 der „Bn'onfes'' den Kampf eiüti'net, im Juni 1733 die
„UnjmrtJutjmhe Untersuchung'^ zur Abwehr der gegen den ersteren
gerichteten Angriffe erscheint, und im Oktober desselben Jahres eist
die „Stand- oder Antrittsrede*»
Veranlassung zum „J9rtoMfe«'*^ gaben, wie Lisoow selbst be-
richtet, zwei hn Jahre 1732 erschienene Schriften Philippb, die
jySechs deutschen Eeden"^, und sein ^.Heldengedicht auf den König
von Folen''.^ Der wunderliehe Titel „BrünUes der Jüngere'^t ist
nur verständlich, wenn man weiÜs, dafe in den ftSeehe deutsektn
Beden** eine in „der patriotischett Assemblee" 1727 von Philippi
gehaltene (iediichtnisrede abfiednickt war, bei welcher Gelegenheit
er erwähnt hatte, dafs er in dieser Gesellschaft den Namen „BrionteSf
der Jü/ngere^*^ geführt habe. Diese s. g. „patriotische Assemblee'V
welche, wie ans dem 36. Stack des Eamhwrgmken FaJbrio^ zu er-
sehen, in Phiuppis Vaterstadt Merseburg ihren Sitz hatte imd welche
' Brionte* der Jüngere, oder Lob- Rede <***/ den Eoch-Edelffebohrcrun und lloch-Gelelirten Herr»
Bf». D. Jthum Smtt PMUppt, SßlHMltktm Fnftitort» dir duUaOim Birti»«aMt um/ Ar ütuMrrität SaU«
trir aurh f'fmr*üehiti»i'hen InuittilriniHrten Adtmcttfm eff. rtc. niicft denm fie^ftn flnrr natürttchm, männ-
lichen uiui herxiisehen Beredtamkeit ^hallen in der OeaelUcha/t der kleinen Oeixter in Deuttchlund, von
«rmm muOr^ge» Wts^tdt dhttr tuUrtiekm QeaiUtdmft. Vm. 64 88. ». Stm^iaiHig 8. 127*. 18S1L
^ f^ch^ ,l''itl<c'i'- n- len üfter allerhand auserlesene Fülle naOk ät» lUgtln «CMT iMlSrKcAm,
tiiännlicAen und heroischen Beredsamkeit. Leipzig 1732. 152. SS. 8*'.
* Dff trSfMtt Timptl der Elm «luf Yoreehunff, mmd die im JtabMf« der 6§S^c»«Ugkelt etkgOeglm
Wünsche ror dem höch.it heylückten Antritt dfis hoh' i f,l.tt'-r\ S'u foni'üir f. % Threr Königi, Majestät in t\thlen.
etc. Friedrichs Awjusti den Ornfse», in einem ögenüleh ahf/eietenen MeUtnffediehte esm ti, Majf 1733
»IkrutUerUkänigst vvrgeeteUel. 1732. All.
ißtmunttM^ Voncd« 8. 17ft 22 It aiiA «aeb eljentl« Im Anhang 8. Ith 814 f.
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— 59 —
durch die einfache Thutsaclie. dafs sie eiiRii PiiiLirpi zum Sekretär
ernannte, am bebten charakterisiert ist, spielt in den Schriften des
letzteren eine grolto Bolle. Sie war eine BchwftcUlclie Kopie
der ,,Hainburger patriotischen Gesellschaft", deren ursprüngliches
Bestreben die Namen der Mitglieder geheim zu halten, hier ins
Lächerliche übertrieben wird.*
Die Lobrede beginnt, den Eingang von PHyjppis Kede Von
den Beckten der AkadenUacken Freyheit*^ („Es lebe die uuschätzhahre
Freiheit!") parodierend, mit den Worten: „Es lebe der Herr Professor
Philtppi!" und dann wird in Phtlipp» bester Manier Phiuppib Lob
angestimmt, stellenweise unter wörtlicher Wiedergabe des Ori-
ginals, uui* mit einer kleinen den Sinn im Ue^euteil kehrenden
Änderung: .
Hatte Prujppi z. B. in der Gedächtnisrede (S. 24) gesagt: „Es
breche also nunmehro ohngehindert die verborgene Wehmuth meines
Hertzens aus der Quelle der Pihrebietigkeit hervor, und ohnerachtet
solche dero allerseits hellen Gemüths-Augen bereits unverborgen ist ;
80 yermenge sich doch mein Trauer-Ton mit den Klagliedem des
gantzen Landes und erföUe die Luft mit lauter gebrochenen Seu&em,
mit einem bangen Ach! mit einem wehmüthigsten Geschreyl" etc.
so parodiert Liscow:
„Es breche also nunmehr ungehindert die verborgene Freude
memes Herzens aus der Quelle etc. hervor, und ohnerachtet solche
deio etc. bereits unverboigen ist, so vermenge sich dochmeinFreuden-
ton mit dem in dulci jubilo aller, so die Verdienste des Hrn.
Plrof. pHiLippi kennen, und criuile die Luft mit ehiem hellen und
Vgl. ffamburg. Patriot 86. 59. nndlS. fItQok; dort komnit Nuns BUtOXTSS «nent vor.
B. wird auf ein Bewcrbangmchr«i1»i'ii wm rinc ^cwImo Aramintc eine Ml»ichUKi|rp Aatwort ertollt.
Uaraaf b«>zleht Bich vennutürh die Aunteninfr PhilippIs in ^t'icfro ein großer Windbeutel'' 8. :W8.
„In der patriotischen Assenibloe habe mich Immer gencimet BlUOKXES, der JQuKcre. Die Ursuch
abor, d«ra nleh alao ««nonnct, weif« aUmand bataar ala der •h«mabllir«Hanbur-
glteh« Herr Patriot."
Vgl. auch „S^x:hii ilttttxch* HtiUn' 8. 17 Anin.
Cbrigaw tat dl« Angabe alcher staiht b«bb seauui, denn wie aaa «taMm «af der KtelfrL Bi-
bliothek zu Drc.Klrn 1k fiiunichcn Manumliript PHlLlPPla an« dem Jahre \'iV^ hervorjreht, fniirtn rr
froher den Xamcn JEPHILANDBO. vgl. SCHHOBB v. CABOLSFKUM Archie X. S. 112f. und JJuvthury.
I. S. l«ff. n. 8. 58f.
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— 60 —
deutlichen Vivat ! mit eiueni freudigen Hoch ! mit einem frohlockenden
Jubelgeschrey" etc.^
Allein im weiteren Verlaufe der Rede sieht Liscow sich ge*
nötigt, im InteresBe des Lesers, auf die Durchführung der Stil-
einheit zu Terzicbten und zeitweilig die Parodie fallen zu lassen,
um m' (laim nur hin und wieder, wo eine besonders drastische
komische Wirkung erzielt werden soll, — z. B. wenn er nach
Philippis Anweisung, der ßedner möge den Eindruck seiner Bede
zu verstärken, womöglich „durch die Kunst eüie Ohnmacht oder einen
andern herzbrechenden Aifect annehmen**, vor Freuden auf einem
Beine zu hüpfen be^jinnt etc. (Sfinimlmuf S. 142. 152.) — wieder
aulzunehmen. An die Stelle der Parodie tritt das ironische Lob,
eine Form, welche allerdings vor jener den grofsen Vorzug voraus
hat, dafls sie dem Schreiber weiteren Spielraum gewfthrt und vor
allem Monotonie und Schwerfiflligkeit leichter vermeiden kann.
Allein dieses ironische Lob selbst tritt uns in dieser Satire,
wie jichon erwähnt, in einer neuen und besonderen Fassung entgegen,
und diese Figur in der Figur wird von Anlang bis zu Ende streng
durchgeführt, so dafs trotz des Fallenlassens der Parodie die Satire
als Ganzes doch eine Stileinheit aufweist.
Auf Grund seiuer „Reden" und meines ..Heh1eii(iv<]ivlif(\s'^ fühlt
die „Gesellschaft der kleinen Geister in Deutschland" sich veranlafst,
durch emes ihrer Mitglieder Philippi als einen würdigen Verfechter
ihrer Ideen preisen zu lassen. Jene Gesellschaft, welche Liscow
treffend mit der unsichtbaren Kirche vergleicht: „Sie ist in der
ganzen Welt nusgebreitet und doch kann nieiimnd sngen, siehe hie
oder da ist sie! . . . . Kie hat ihre Mitglieder unter allen Stünden,
aber dieselben sind von so grofser Bescheidenheit, dafs sie lieber
sterben, als sich kundgeben.*'
' Alli pliii'."* iiijirfil T.isrow Iii cinor Beinorkuiitr zu 'lii s, r Stt^llo (fiunimlun i S. 1:11'.. 1 1") f.)
bcsoudurs darauf aufmcrkaain, n enn der I<oior „biet einen Untentchieü ia derScIireibert" bemerke, «o inOge
er wiHen, dslk der Verframr «btor" PHILIPPI nstihsuahraen «tndi«. Man kSnnte daher veratieht aein
anzuiK-tinica, dar» er auch nur „hior" eine Paro<lie beabfi.lniirt Ii,i)m . Djis« igt jedoch 9ich<>r niclit
der Fall. Der gani« erat« T«U dar Lobrede parodiert TBlLims Stil, antl wenn bei dieser Gc-
icgonhalt LISCOW dM amdraiMIeh auMpiioht, a» wird daa nar ttot Radnleiu auf d)a faat n & rt-
liehe Emflelinanv Im Zitaaimiwntiaiige gaaelialian saln.
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— 61 —
Wie man sieht, eine fßr satirische Behandlung änfserst firucht-
bare Idee. weUlie Liscow aneli in sehr geschickter Weise auszu-
beuten verstanden hat. Angeregt scheint er dazu zu sein durch
jene kindische Geheimniäkränierei, mit welcher Phiuppi von seiner
„patriotischen Assemblee** oder ^stillen Todtengesellschalt zu Friedens-
' bürg" zu schwatzen pflegte: ^Ich bin dieser Gesellschafft so zu sagen
ihr Secretair gewesen, der ilire meisten Aufsätze entworlTen. Wo
aber ihre üesellschaliteu gehalten worden, oder noch gehalten werden,
habe ein Gelübde gethan, es nicht zu sagen.'* (Seclis dmtsche
Beden. S. 15).
Eine geheime Gesellschaft, deren Mit|;lieder sich nicht nennen,
deren Sitz unbekannt und deren Sekretiir ein rnii Ti'ii, ist das natür-
liche Urbild der ,,Geäelischaft der kleuien Geister'.
Nach Liscow sollen zu ihr gehören: ,,alle Tyrannen und
blöde FtLrsten, alle Postillanten, alle Enthusiastische und
zanksfichtige Geistliche, alle Rabulisten und Zungen-
drescher, alle Quacksalber, alle Marktschre yer, alle alberne
Weltwcisen und alle redunten. " {..Stand- oder Antrittsrede'' .tlamm-
lung S. 338. 365.) Aber charakteristisch genug fiir ihn selber, wie f&t
die Zeit, in der er lebte, besch&fUgt sich Liscow nur mit jener Spezies der
kleinen Geister^welche er späterunter dem Namen der ^elenden Scriben-
ten" zusaniinengefarst bat; und nit lit ininder bezeichnend iur Liscows
Eigenart ist, dafs er von vornhereui den elenden bkribenten auf dem
Gebiet der eigentlichen schönen Litteratur wenig Beachtung schenkt,
und vorwiegend seine Satire gegen die populärwissenschaftlichen
Schriftsteller im weitesten Sinne richtet. Erst der nähere Verkehr
ndt den lUGKiMjii.\:s i'ührte ihn auch auf das belletristische Gebiet.
Es ist äufserst beachtenswert, wie dieser Mangel von Interesse
an der zeitgenössischen Dichtuifg bereits im Brimtes zu Tage tritt
Ja man kann ihn schon in den Pamphleten gegen Siybus
spüren, der in seiner Eigenschaft als Dichter ganz unge-
schoren bleibt.
Auflallend aber ist es, wie im Briontes, wo aufser den „Bedm^
auch das ^Heldengedicht'' Puilippis den Stoff zur Satire hergegeben,
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^ 62 —
Philtppi der schlechte Poet hinter Philippi dem elenden Kedner
zurücktritt:
„Ich habe den Ilm. Piof. riiiLiPPi nur als einen grossen und
ganz besonderen Kedner Torgestellet. Aber, meine Herren, er ist
noch mehr als das. Er ist auch ein Poet. Ich berufe mich des-
falls auf das vortreffliche Heldengedicht, das er verfertiget hat,
und bechune nichts melir, als dafe mir nicht die Zeit vergönnet,
mich iu demselben gebührend umzusehen Ich b(>f:rnüge
mich demnach, nur Überhaupt zu sagen, dafs die Poesie des Herrn
Prof. Philippi so heroisch ist, als seine Beredsamkeit** etc. (Samm-
lung S. 173 f. 189 f.) „Er giebt sich alle Freyheiten, die einem
Manne von seiner Art zukommen können. Abschnitt, Sylbenmaafs
und Füsse sind bey ihm gar verächtliche Sachen, und seine einzige
Sorge gehet auf das einige Nohtwendige in der Poesie, ich meyne
den Reim. Dieses muls ihm nohtwendig die Hochachtung aller
Kenner erwerben, die den Sinn des Sprichworts: in fine videbitur
cujus toni, gebührend einsehen, und nach Art der Oclisenkäufer,
aus dem Hintertheile eines Verses von dessen Güte zu urtheilen
wissen*" u. s. w.
Von dem Inhalt seiner Dichtung wird bemerkt, es sei zwar
„eine gemeine Sage,, dafs die Poeten nicht gemacht, sondern gebohren
werden," allein dieselbe werde durch Philippi, der zweifeHns kein
geborener Poet sei, der allemal, wenn er dichten wolle, geradezu
seiner Natur Gewalt anthun müsse, glänzend widerlegt. Phiuppi
zeige der Welt, wie thöricht das Wort des Ho&az sei :
Tu nihil invita dicas taciasve Minerva 1
Man hört Boileaü:
C'est en vain, qu'au Paniasse un temeraire auteur
Pense de l'art des vers atteindre la hauteur;
S'il ne sent point du del l'influence secrette,
Si son astre en naissant ne l'a form^ Poete.
u. s. w. (Art j)octique I v. 1 ff.)
* BexciclinciKl fUr 1'iiii.iFri ist, irie er dies aUcrdings uicht selir gcachiuackvoUc, aber JeUcu-
iiills dnutteeh« Bild m1bvent*n<lT Indem er Un ^CkartAttr dir itirfwii Gmdir Mhr Dmkktugi m f ^
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— 6:i —
Die Satire schliefst mit einer feiei liehen Apostrophe an I'iir-
LiPPi, die durch ihre beizende Ironie alles Vorher;^a'hende übertritt,
und 60 mit dem Ende zugleicli auch den Gipfelpunkt der bei dieser
Gelegenheit gegen die Nichtigkeit und Jämmerlichkeit Philippis ge-
richteten Angriffe bezeichnet:
..Lebe demnach, theurer PjiiLrprr, und vollende das grofse
Werk, das du angefangen hast, zerstöhre das J^eich der falschen iie-
redsamkeit; und erweitere nach der Gelegenheit» die dir dein Amt
giebt, die Glänzen nnBerer GeseDschait, die dich als ihren Aug-
apfel hoch hält. Lafs die Spötter immerhin schwatzen. Man habe
dich zu einem ausserordentliclien Bekenner der deutschen Be-
redsamkeit erkohren, um durch dein lehrreiches Be} spiel die Jugend
auf eben die Art beredt zu machen, als die alten Lacedämonier
ihre Kinder durch das Exempel trunkener Knechte zur Mäfsigkeit
anfikhrten. Diejenigen, welche wissen, wie unentbehrlich du der
Welt bist, werden nicht aufliören, tür dein Wohlseni zu seufzen,
und die Gesellschaft der kleinen Geister, die dich als ihre vor-
nehmste Stütze und ihren eimsigen Trost in diesen betrübten Zeiten
ansiehet, wird nicht müde werden, deinen Ruhm bey aller Gelegen-
heit auszubreiten.^ {Smmlanff S. 179. 195 f.)
Diese Apostrophe leitet -.m/ iiciiurlich hinüber zu der zweiten
Schrift, in welcher die „Gesellbchalt der kleinen Geister" ihrer für
Philippi so unbequemen, unbegrenzten Verehrung für ihn Luft
macht, zur Stasnd- oder AntrittS'-Beäe.^
Die Sathre zerfällt in zwei Teile, die eigentliche „Skmd- oder
Antrittöicdc,^ welche von Bhiijppi heniüirt. und die daraut von
Ljscow im Namen der Gesellschaft erteilte „hö/licke AHtwortr Die
rftle {Cicero etc. 8. 2:56, vorher au« dem Munudkrlj)! nt>'»<*<'r!ickt In LT8C0W« Stund- odm- Antritf^rf^t*.
SumtiUun'j 8. 'i'li. ä49) behauptet, Liscuw habe Bt lu U v Idun^edtcht mit einem OrhRcii kAufi: r
» stand- otUr AntriHn-Rede, welchf der (S. T.) Herr D. Mi. Ern»t PAilippi ö/entlkhfr Pnfmot
der deuU 'h'-n \\'J,!reit'-:t.>„'it :u llilU- , den 21. bfcruilitT 1732 in der CfsrlUchußt tUr lUinen Geinter
f/eÄalten, »umint der Ihm darauf, int A'umem der gantMH Löbl. Ge*elUckaJft d«r kleinen Geister tan dein
(8. T) Bitrr» B, G, Jt 8. F, M, mü A«Ut*len dtr Onetttehttft stwoi^lemt» ASjUeke» ÄMtiort.
Auf Beffht unil Kosten der OeneUnchußt der kleinen G^i^^n- Tvrn T^ruck he/ördert.
EXSEQVIAS PHU.U'l'O gVOI COMMOÜVM EST UUJ, lAM TKMl'VS EST, OLLVS DEFEKTVU.
171». 7C. 88.. a». Amnifiiiv 8. 318 ff. 337 ff.
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— 64
Entstebungsgeeclnclite der Schrift ist bezeichnend für den Mangel
uu lilterarischem Anstandsgefühl, welcher jener Zeit eigen.
Liscow erzählt treibst {Sümmluny Vorrede Ö. 20 f. 2ö f.), dafs
die ^lUde vom Charakter der klemen Geister** zusammen mit noch
6 andern ähnlichen Inhalts unter dem Titel: „Sieben neue Versuche
in der deutsehen Seredsamkeif^ , ebenso wie die später zn erwäh-
nende Schrift: „(Tlciche Brüdir gleiche Kappeti" von seinen Ilam-
i)nrger und Leipziger Freunden aus dem Manuskript, für welches
Puiuppi an beiden Orten einen Verleger suchte, abgeschrieben und
ihm zugestellt worden sei, und dafs er keinen Anstand genommen,
von diesem Glücksfall ergiebigsten Crebrauch zu machen. Hinter
PiiTLii^pis Kücken wird gedruckt, nnd di**ser sieht mit Arger und
Staunen tich widerlegt und aufs neue angegritteiij ehe er noch selbst
seinen ersten Widerlegungs- und Verteidigungsversuch an die Öffentr
lichkeit hat bringen können.
Freilich durfte er sich nicht beklagen, da er es kurz zuvor mit
dem uns di iu (iorrt^ciiEDSchen Kreise stammenden ,,Smdschu ihoi
der 6 Schwestern'' genau eben so gemacht, und das Manuskript
mit seinen Anmerkungen dazu unter dem Titel „WmderseUsames
Finäettsind'^ hatte drucken lassen.
Heutzutage würde ein solches Verfahren kaum entschuldigt
oder gar verteidigt werden können, Li^oow und seine Zeitgenossen
urteilten anders. Wie im wirklichen Kriege galt auch in der
litterarischen Fehde jedes Mittel, dem Gegner zu schaden, für er-
laubt Vor einem Manuskript-Diebstahl schreckt selbst ein Mann
in der Stellung des Grafen Mantbüffel nicht zurück, der einmal
ganz unbefangen au Guitscuki) das Ansinnen stellt, in den Leipziger
Druckereien unter irgend einem Vorwande Nacliirage nach einem
gewissen Manuskript J. J. Langbb zu halten, und ihm dasselbe zu
^erschaffen; und weder Gottsched noch seme Frau nehmen an
diesem eigentümlichen Mandate Anstofs, sondern bemühen sich an-
gelegentlich Makxeüffels Wunsch zu erfüllen I*
1 V. fir. T. HAMTJNJVFfil. an OonsCHSD von 15. Nov. 173S. Tft M«h DAXIIL 8. S71L
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- 6b -
Mag man nun aber auch Uber die Art, wie die ^ Stand' oäer
Antrittsrede'' zu stnnfle frekommen, urteilen, wie man will, picher ^
ist, dafs dieselbe zu dem Witzigfcteii gehört, was Liscow je geschrie-
ben; jene „frde Idealität der Heiterkeit", welche in manchen
seiner Schrien mit Recht termiM Wird, lieirscbt hi^ Von
Anfang bis zn Ende, und- träte nicht zuweilen LiBCOws alter Fehler,
einem au sich guten Einfall durch ennüdcndes Wiederholen und Breit-
treten die beste Wirkung zu nehmen, stüreud zu Tage, die „Stand-
oder AntriUsrede'' wäre ein Meisterstück ironischer Satire. £r hat
sie selbst als gifitagste"- seiner gegen FBitiPi»^ gericbteten
Schnften beoseichnet. Aber er hat recht, wetan ^r hinzufügt,
PiHMi i i habe damit „nur empfangen, was seine Tbaten werth waren."
Diese Abfertigung war eine durchaus verdiente, nur wäre zu wün'sdien
gewesen, dafs. es auch die letzte geblieben, und dadurch das Wort
auf dem Titel wabrgemacht wordten wäre: „Exsequm J^tj^fN» gwn
eommodam est vrty jam iemptis est, ' ottus defertwr.* Von Stand ' an
war l'iiiLiPPi in der That tot. und alle später gegen ihn geführten
Streiche trafen nur einen leblosen Kadaver. .
Bekanntlich war es in den gelehrten Gesellschaften stehender
Brauch, dafs das n^n eintretende Mitglied eme Antrittsrede hielt,
worauf aus der Mitte der 'fKbrigen ältem Mitglieder mit einer Rede
erwidert wurde. Au diese Sitte knüpft Liscow an. Jene y,Bcde
vom Charakter der kleinen Geister'', in welcher Philippi in seiner
thörichten Manier über seine Gegner, die ihm unbekannten kleinen
Geister, herg^diren; wird* mit Jabel als eine Antrittsrede in dieser
Gesellschaft begrüftt , durch welche > allein schon er sich als
eines der würdigsten Mitglieder, ja als ihr natürliches Oberhaupt
erprobt hätte; und die Höfliche Änttvort"^ Liscows ist dann ganz
im Ton derartiger Erwidernngen gehalten. Wieder eine frucht-
bare Idee» welche Liscow in^ der geschiektesten Weise auszu-
beuten weifs. Es ist übrigens bei der unverholilenen Ge-
ringschätzung, mit welcher er, wie wir später sehen werden,
das Treiben der deutschen Gesellschaften in Leipzig und Jena be-
trachtete, nicht unmögUch, dafs ihm bei dieser Persiflage der Auf-
LraKAm, Liacow. 5
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— 66 —
DAhmeceremonien auch eine kleine Bosh^t gegen jene Vereinigungen
nicht ganz ferne gelegen.
IMe Vorrede, in welcher berichtet wird, Wie die Gesellschaft
anfangs iineins gewesen, ob sie die beiden Reden drucken laRsen
solle, und wie ächliefslich nach drei Tagen und drei Nächten
heftigen Streites, die Veröffentlichung mit 777 gegen 365 Stimmen
heschhffisen word«i, ist datiert L . . . den 21. Mttni 1733 und
unterzeichnet: C. A. V. £. Secretarius der Gesellschait der kleinen
Geister.
Diese Spielerei mit den Buchstaben, hier wohl mit Beziehung;
Cavel (auf dem Titel, wie es scheint, ohne Sinn) ist vermutlich Ter-
aolalst dutch Philippis Grübeleien Ober das „Sekreibm des Bit^s
Clifton," aus welchem letzteren Wort er ein Anagramm von
LißcoF herausgeklügelt liatte. {Cicero etc. S. 301.)
Die „Dankrede'' Philippis ist ein durchaus verunglückter •
jürnmerUcher Versuch auf dem Gebiete der ironischen Satire; so
wenig kennt er sich selbst, dafs er es wagt die Bute, mit welcher
er eben gestrichen worden, mit zitternder Hand gegen seinen Züchti-
ger zu schwuigt'u. Aber ein Streich von der Hand des Meisters
genügt, und das^ gefährliche Spielzeug liegt am J^den.
Man merkt der „höflichen Aniwort'* Lmoowa in jeder Zeile an,
mit welchem Behagen, mit welcher ttbermütigen Laune er sich
seiner Aufgabe, den tollkühnen Gegner zu bestrafen, unterzieht. Er
liebkost ihn scheinbar mit sanftem Schmeicheln, und unversehens
brennt auf der schmerzenden Wange ein Backenstreich.
Giebt es etwas drolligeres und boshafteres zugleich als den
Eän&ll, als Motto die Verse aus dem Vmtoiii voranzustellen:
' „Venisti tandem? tuaque exspectata parenti
Vicit iter durum pietas? datur ora tueri
Nate, tua? et notas audire et reddere voces."
Die äußere Form anlangend, zeigt die Satire dieselbe Ver-
mischung der strengen- Parodie, welche, der Entstehung entsprechend,
besonder.-^ am Eingaiif^ sich bemerklich macht, und einer freieren,
zwanglosen uouischeu Behaudlungsweü^e. Die Ironie aber ist duich-
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— 67 —
weg festgehalten, so dafs man auch bei dieser Schrift wie beim
^Briontes'^ von einer Stileinheit sprechen kann. Im übrigen
rharakterisiert sie sieh, wie schon erwähnt, als direkte Fortsetzung
des Briontes. die Apostrophe, mit welcher jener abgeschloesen hatte,
wird hier wieder aufgenommen und mit Behagen zu einer um&ng»
reichen Bede erweitert. Jede der beiden Satiren gleidit dem Akt
einer Komödie, das Ganze zusammen ist eine echte Farze, deren
Geist an ähnliche satirische Produkte der Genieperiode erinnert.
Der Inhalt der „Stand- oder AiUriUsrede*' selbst läfst sich am -
besten bezeidmen als eine aus dem näher erläuterten Charakter der
Gesellschaft der Ideinen Geister und den Schriften Phiuppu — es
werden bei dieser Gelegenheit aufser den früher erwähnten auch
der gegen Wolf*' gerichtete Mathematische Versuch von der ünmög-
Uekkeit einer ewigen Welt und die Thikringische Historie als Belege
herangeaogen — gefolgerte Bewej^sfOhrurg, dafs Phiuppi nicht nur
ein ausgezeichnetes Mitglied der Gesellschaft, sondern ihr gebornes
Oberhaupt, der König der kleinen Geister sei.
Natürlich hat Thilippi in seiner ^Dankrede'' gegen jede
Zugehörigkeit zu dieser kompromittierenden Gemeinschaft protestiert.
Lifioow weist ihm mit der grdfoten Liebenswürdigkeit und Herz-
lichkeit nach: gerade durch diesen Protest habe er an& neue
bewiesen, dafs er ein kleiner Geist sei:
„Spotte, schilt, höhne uns aus, so viel und lange ea dir
beliebt. Drohe, poltere, wüte, tobe, verstelle deine Gebehrden, dafs
wir alle vor deinem Anblick erschrecken: du bist ans darum doch
lieb und wehrt. Wir kennen dich besser, als du vielleicht selbst. .
Du bezeigest dich in deinem Spotten, in deinem Zorn, mit
einem Worte, in deiner ganzen Anrede, als ein Ausbund und
Master eines kleinen Geistes."" {Sammlung S. 8ö9 f.)
„Du sollt unser König seyn: du mufst unser König seyn, du
magst wollen oder nicht. Glaube nicht, dafs die Verachtung, welche
(hl ^egen uns bezeigest, uns zum Zorn reizen und bewegen werde,
unsere Walü zu wideiiufea, und dir die Thüre zu weisen. Wir
kennen dich: Wir haben dich zu unserem Oberhaupte erkoren: Da-
6»
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— 68' —
bey bleibt es: • Du iiuigst iioeh 80 hart daraiif bestehen', 'daib du
kein kleiner Geist seyst . ». . Bein« Behriften'bezengen
das Gegentheil, und eben dieser merkliche Mangel der Selbst-
erkenutnifs macht dich in unsern Augen gro& und ehrwürdig.^
(Sammimff &. m. 41B.) . - :
Auch die>„'kl einenOeister,* heiföt es weiter, ,amd dem Grade
nach eben so sefar ron einander imtersehieden, als die giosseii, nnd
man kann sie ftijrlich in drey Classen theilen. Einige Glieder
- unserer Gesellschaft, geben sich für kleine Geister aus, und sind
es nicht: Einige geben sich dafOr aus, und sind es auch. £inige
hergegen sind es; und wisse es nichi**
• Diese dritte Art ist die ;,aUefbeste'*. »Die maeht den Kern
unserer Gesellschaft auft. Und diesen Ruhm kann ihr auch der
Feind nicht rauben. Selbst uni>ere Verfolger bekennen, dafs der-
jenige der grösseste kleine Gßist ist, d^r es nicht wissen
will.'* 11. s. w. (& a: 0. S. 882. 414.)
Hiermit war das höchste Ziel erreicht; alles was. nach dieser
glänzenden Ahfertigung eines aufgeblasenen Ignoranten, der sich in
eine Stellung hiueinzustehlen ge\^iifst» welche ihm schlechterdings
nicht zukam, noch vorgebracht werden mochte, konnte nur eine
Absehwächnng sein, ' msofem eine Verschftrfiing der Ironie in per-
sönliche Gehässigkeit naturgemllfs ausarten mufete. Ltboow hat zu
seinem eigenen Schaden leider die nötige Selbstbeherrschung nicht be-
sessen, sondern hat auch die Polemik dann noch fortgeführt, als sein
Gegner 4n den Augen der unbefangenen Zuschauer auigehiHl hatte,
ein Gegenstand des Spottes zu sera, als ihm weiter nichts mehr
gebfihrte, als Mitleid.^
Zwischen den Briontes und die Stand- oder Antnttsrfde fällt
aber, wie erwiihnt, noch eine Schrift, die gauz besondere Beachtung
* Mosheim, «Ur kcineswcps pejrcn PHTLIPPI besonders günstlp pestlmmt i«t -— noch am
18. Dezember 1734 (der Brief ist zum Teil abgedruckt bei DAMZKI. ü. 94 f.) iicbroibt er au tiOTTSCHED:
JtBium Itt In CWMinCM «bau ao «Ürnd« Tartchtltali «nd mharlMh, ab «r la Ball» ftwaica.* —
fiodet wohl den trcffcndaton Ausdruck fOr <?1ne allg-cmctnc Stimmnnfr, wenn er noch PHILIPPIa Vcr-
trtibang von H«Jle veraicbeit, «r habe «henllch Mitloiden" mit PHIl.l7n. tot wabr, er versiebt
iich «nd mAdit Schnitscr. AlUin «r itt vor iteta elend fenng, and »«n darf Ikn daher
stellt mehr krAnken." {Brüf am 'ßtUtehtd «an Ii. Sipimbtr 1714.)
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69 —
verdient, sofern sie über Libcows Auffoesung Yon der- Aufgabe einer
Satire bt tleutsame Auiöchlüsse gibt, und daher neben der Vorrede
•zur Sammlung, welche diese prinzipielle Frage gleichfalls berührt,
die Hauptbaflis iflt>. auf welcher die &onstniktie& der Utteraiischeii
Persönlichkeit Liscows sich aufzubauen hat
Es ist das die ^Unparthepische Üntermu^mng, oh die Satyre
Briontes . . . . eine straf Imre Schrift setß . . . .- bey welcher Ge-
legenheit gezeigt wird, dafs H. Prof, Fhäipjn die Schrift: Gleiche
Brüder gleiche Kst^ßp^ ete. immögUch gemadU habe» körnte.'* • Sie
erschien, wie schon frfiher bemerkt, im Juni 173S.
Schon der Titel zeigt, dafs wir e;^ mit keinem einheitlich
komponierten KnuBtwerk zu thnn haljun, die Satire zerfällt in zwei
nach Form und Inlialt völlig verschiedene Teile; der erste erörtert an
der Hand des i^noi»fe« prinzipielle Fragen fiber Aufjgaben uiid
Grenzen der Satare, er ist eine Verteidigungsschrift, nicht des
Briontes allein, sondern überhaupt der ganzen von- Ifiscoir einge-
haltenen Methode des An^niffs. der Verwendunp: der Ironie in der
batire, die persönliche Polemik gegen Phiuppi tritt daher hier sehr
zurück; dagegen wird in dem zweiten nur ganz äufserlich angeflickten
Abschnitt, welcher sieh mit der PniLippischen Schrift: „Gkiehe
Brüder" beschäftigt, der Boden prinzipieller Erörterungen Tcrlassen,
und aufs neue der direkte Angrilt gegen den persönlichen Gegner
wieder aufgenommen.
Leidet die Untersuehimg an sich schon an B'ormlosigkeit im
ganzen, so zeigt sie auch innerhalb der einzelnen Teile eine- solche
Unsicherheit in der Wahrung des einmal angeschlagenen Tones,
ein solches Schwanken zwischen Ernst und Ironie — bald wird
das gegnerische Argument direkt widerlegt, bald ironisch parodiert
— dafs die Schdft^ was die ästhetische Form anbetnfft, einen ent-
* Unpartheijischfi Untersuchung tkr Fra>if : Ob die Mannle &afpr«i Brimtet dtr Jüngerer
oder liA>-Rfiif auf den Jim Dr. Joh. En$t Philipiti, Pruj'eyor der Deutaehen WohtredmiMt an/
dar Oniefruitüt Halle mit enUettUchen JUUgiona-SpdHereffe» anffffüHet und eine Kfm/harf Schrift tyf
Reij tcelcfi'f Gfi'yrnfi^if zugleich nufffnr-''u'ti tieft ti^zf-inH wird, 'hifn dtr Ilerr Profr^xvr Phitippi
die Schrift: Uieiche Mrkder, gkiche happtti etc. unmöglich gemacht haben könne. Leipzig 1733.
141 BS. ff>.
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— 70 —
flcbiedenen Rfickschritt beiseichnet, und deshalb nach dieser Eich-
tuug hin zu Liscows schwächsten rroduktcn gozülilt werden mufs.
Ganz anders aber wird das Urteil ausfallen, wenn allein der
Inhalt in Frage kommt Da ist die Schrift geradezu als epoche-
machend zn bezeichnen.
Für alle, welche damals eine polemiscb-satirische Ader in
sich verspürten, sprach Liscow^ in dieser Schrift geradezu „das er-
lösende Wort."^
• Niemand hat das deutlicher geföhlt und klarer auagesprochen,
als BoDMBR an der bekannten Stelle (in der Vorrede zu Bbsitiitoees
eritiseher Diehtkmst.):
„Der Geschmack an critischeu Schriften ist bei der deutschen
Nation noch nicht so wohl befestiget, dafs man nicht uüthig hätte,
sie mit Vorerinnenmgen über gewisse Functen einzufOhren, wiewohl
man mit der gröfsten Begrflndmfs hoffen kan, dafe er in knrtzer
Zeit insgemeine durchbrechen werde, nachdem der unerschrockene
Hr VON Liscov in dem philosophischen Werckgen: Unpartheyische
üntersuchtmg etc. das allgemeine Recht der Menschen zu critisieren
80 voUkommen bewiesen hat» dafs die Deutschen ohne Zweifei zu
diesem Geschmacke nunmehr genugsam vorbereitet sind."
Das Hauptergebnis der UnjpartJwyisehm üntersuehung läTst
sich etwa so fassen:
1) Wer für die Otlentlichkeit schreibt, mufs sich gefallen
lassen, öffentlich gerichtet zu werden.
2) Die schärfste Kritik einer litterarischeii Leistung ist er-
laubt, so lange nur der Kritiker in seinen Ausfällen sich streng auf
die litterarischen Leistungen des Angegriflenen beschränkt, und
etwaige aus dem Privatlebeii seines Gegners wider denselben zu
verwendende Argumente zu gebrauchen verschmäht.
Mau sieht, es ist der Versuch einer Abgrenzung des Begriffes
der berechtigten Satire gegenüber dem Pasquill.
Vgl. uaOki CWlMCA* K«fwel« wr Au/amkm «lir ilmMiM 8frtiet4, OMtbwiM. 1744.
10 Stlkiik S. 882 ff. U SM<& 8. 427 ff. 1« 8Mek 8. 00 ff.
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— 71 —
Der (iedanke war zwar nii ht neu, aber es war durchaus not-
wendig, dafs er in dieser Weise einmal wieder ausgesprochen
wurde.
Zimftchst war es iQr Liscow dringendes Bedüifius geworden,
sich ein für allemal von dem Vorwurf illoyaler pasquillautischer Po-
lemik zu reinigen, dann aber mufste auch endlich Front j^einacht
werden gegen eine unleugbar krankhafte Tendenz, welche gerade ni
der besseren zeitgenössischen Kritik zu Tage trat. Man scheute
sich die Wahrheit offen heranszusagen, alles und jedes sollte mit
Handschuhen angefafst werden; man wollte niemanden wehe thun,
und bildete sich ein, die christliche Moral verlange die Schonung
des Gegners, während das eigentliche Motiv für diese zarte Rück-
sichtnahme auf die Gebrechen des Nebenmenschen weiter nichts
als die stille Hoffimng war, gelegentlich auch auf Schonung
Ansprach erheben zu könnra. Ein jeder scheute sich, den Stein
aufzuheben, weil er sich selber in seinem Glashause nicht sicher
fühlte.
Um nur ein Beispiel zu nennen!
Niemand wird GonaoHBDs „eritisi^m Beytragm*, in ihren
ersten Jahrgängen, den Vorwurf machen kOnnen, die Grenzen einer
mafsvüUen Kritik^ je überschritten zu haben, und doch fühlt sich
Mosheim als Präsident der Gesellschaft wiederholt veraulafst, zur
Vorsicht und lindigkeit zu ermahnen. ,In der BeurtheUung anderer
Schrilfben, sie mögen so übel gerathen seyn, wie sie wollen, wird
meines Erachtens hinfOhro etwas mehr Behutf^amkeit nöthig seyn.
Die einfältigsten Leute haben ihre Anhänger, die offt einen schäd-
lichen Krieg erheben." (Brief an Gottsched vom 4. Febr. 173:^
bei Dakzel S. 91). — Ein andermal berichtet er, daTs man sich
bei ihm ttber die Beyträge beschwert habe: «Ew. etc. werden sich er-
innern, was ich ehedem wegen dieser Schrifft gemeldet. Die klein-
sten Helden finden ihre Anhänger, und ich hielte daher davor, dafs
1 Hatten doch lelbct die ^vermmfügm Tadterinnm" GOTTSCHKü In Kdni^berg pcRchadet,
■well „darinnen vlol f^atyrm urider Leuthe In Könlfrsberp" (gefunden worden (!'. Br. .1. V. v. KOsins
an GOTTSCHKD vom 22. Oktober 1728. Schon im Mai desvclben Jahres hatte bocK sich veraniafst
gvlttUt. OOTTBCHBD in «nMlioen da« BatinnidmibciB m Immb, bii er In rickenn Amt« wir«!)
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man von keinen elenden und schlechtgerathenen Sclirt9):en in diesem
.sonst Wühl ersonnenen Wercke etwas sagte" (ü. Brief an. Gottsched
vom 22. April 1733.).
, Diese^^ ^cheu vor Utterarischer . Polemik verrät ein Biief
ST0UJB8, 4j^ Begründers, der «teutschea GesellßchaA" zu Jena, der
offen ausspricht: „Und bin ich der gftntzlichen Meinung, dafs wenn
die teutschen Gesellscliatften taiiren sollen, keine von der andern
in öffeiitUchen Schrifften schlimm sprechen müsse. Wollen
wir einander ein und uidern Mangel oder Fehler zu erkennen
ge()en, ao kao es ip vertrauten Briefen geschehen..** (U. Br. an
GoiTSCHBD vom 18. April 1733).
Diese Neigung zu litterarischeü iSehutz- und Tiutzbund-
nisscn, diese Verkenniinp der Aufgaben der Kritik, weiche die
Polemik als etwas Unfeines Geistern niedem Ganges überliefß,
barg in der That eine grolSse Gefahr, für die junge au&tiebende
Litteratur in. sich; nämlich, dafs gerade das eintrat, was man ver-
meiden wollte: eine Verrohung der litterarischen Polemik iil)eiliau}>t,
weil so dies Gebiet ein Tummelplatz zu werden drohte für den
skandallüstemen litterarischen. Pöbel, der sich durch keinerlei
Fesseln des Anstandes gebunden weiTs, weil, ihm dies Gefiihl selber
fremd ist.
Es ist das Verdienst Liscows durch seine .. Unparthcyische Unfcr-
suchung'' in weiteren Kreisen das Ansahen einer rückhaltlosen, streng
sachlichen Kritik ^wieder hergestellt zu haben. Gerade . in. einer
Zeit, wi€i diese, war es notwendig,, dafs hin und wieder recht derb
zugegriffen wurde, , und es war gar nicht so schlimm, wenn, wie in der
Polemik der Schweizer gegen Gottsched, vielleicht bisweilen
das Mafs d:es Erlaubten überschritten wurde, Ileformbe strebungen
sind eben nicht durchführbar ohne eine gewisse Bttcksichts-
losigkeit.
Das Recht, für welches Liscow in den oben angeführten Sätzen,
iu bezug auf litterarische Kritik im allgemeinen und Satire ins-
besondere, prinzipielle Geltung beansprucht, hat er freilich nicht
aus sich selbst herausgeschOpft, auch hier steht er ganz auf den
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— 73 —
Schultern des Mannes, der wie kein andrer seine litteraiische
£ichtung beeinflufst hat: Boileacs. Es ist kein Zufall, daf» diesem
auch das Motto entlehnt ist» das der Satire .vorangestellt ist:
. «Qui m^prise Ootin, n'estime point son Roit
Et n'a, Selon Cutin, ni Dieu, ni foi, ni loi". (Sat.IX.v,305f.)
Es i.st diese starke Beeiutiussung Licows durch Boileau bisher
nie genügend gewürdigt worden, was um i^o mehr beheniden muh,
als Liscow nie ein, Hehl daraus gemacht, und Tor allein in der
9 ünparike^sfihm ünfersuokung*' sich ausdrücklich iviedetholt auf sein
französisches Vorbild berufen hat. Dagegen ist er vom ersten Tage
seines Auftretens mit Swift verglichen, als Schüler Swifts be/( iclinet
worden, obwohl sein innerer Zusammenhang mit diesem ein weit
losererer ist, als deijenige mit dem Franzosen.
Freilieh lag der Vergleich mit Swift fOr die Zeitgehossen
nahe: zu derselben Zeit, wo man in Deutschland Swift kennen
lernte, trat Liscow^ auf, und hätte auch nicht das „Schreihcn des
Bitter Clifton'' direkt an das englische- Vorbild enunert, der Um-
stand, dafs beide in ProFa schrieben und dafs sie vor allem sich der
Ironie mit gleicher Meisterschaft durchweg bedienten, forderte zu
Vergleichen heraus und liefs die Verwandschaft beider, respecüve
die Abhängigkeit des Deutscht ii von deiu Kugläuder, inniger,, unmittel-
barer erscheinen, als ^sie es thatsächlich war. . ' !
Vermutlich war es gerade der eben aus England zurackgekehrte
FniieDRicK voK Hagsdorn, der noch nicht wieder- im hoimischen
Boden Wurzel tasten konnte und mit Freude iu den Satiren Liscows
manches, was ihn an Swift erinnerte, entdeckte, welcher am „Brinnfcs''
die „swifiische Erßndmtg*^ rühmte uiid meinte, Puilip?i werde am
Ende ndie Gesellschaft der kleinen Geister** für «aus England in
Deutschland angekommene Gespensterchen** ansehen.
Durch diese einseitige Betonung des englischen P^influsses seitens
der Zeitgenossen, durch den Ehi'entitel des „deutschen Swilt", den
sie ihm, Bodher an der Spitze, erteilten, hat sich offenbar auch
die litterar-histonsche Forschung verleiten lassen,, die äufsere
Anlehnung Liscows ah Swift, die ja klar zu Tage liegt, zu über-
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schätzen und dadurch den ganzen Charakter Liscows als Schriftsteiler
zu verrücken.*
Und doch führt ein genaues Studium Lisoows zu dem Besultat,
dafs er allerdings formal nicht nur durch Swifp, sondern vielleicht
auch Arbuthnot und Pope beeinflufst worden, dafs er aber
sowohl seiner ganzen Weltanschauung nach, wie besonders seiner
Auffassung von der Aufgabe der Satire voUständit^ unter der Herr-
schaft BoiLBATTs Steht. Und darin ruht auch zum Teil das Geheimnis,
warum Lisoov so schnell vergessen wurde. In dem Mafee, wie der
Nimbus des Originals verblafste, verlor man auch das Verständnis
und das Interesse für die Kopie.
Zunächst seien aber einige Bemerkungen über die Entstehungs-
geschichte der mpartheyisehen üntersuckuf^ vorangeschiekt; sie ist
bezeichnend fttr die Schwierigkeiten, mit welchen selbst ein so vor-
sichtiger Satiriker wie Liscow zu kämpfen hatte.
Weil Liscow im „Briontes^^ die Gesellsrliaft der kleinen
Geister mit der unsichtbaren Kirche äufserst witzig verglichen und
noch an zwei andern Stellen die Bibel in vielleicht nicht allzu
ehrenvollen Zusamm^ange erwähnt hatte, sollte die Satire mit
„Religionsspöttereien" angefüllt und demzufolge strafbar sein.
PniLiPPr, wie alle kleinen üeii>ter in ähnlicher Lage, die in ihrer
Persönlichkeit die Allgemeinheit beleidigt halten, rief nach der Polizei,
jedoch vergebens. Das sonst in diesem Punkte keineswegs zur
Nachsicht neigende Oberkonsistorinm in Dresden land trotz Denun-
ziationen keine Veranlassung u gen die Schrift einzuschreiten.
Aber die Beschuldigung war einmal aus^gesprochen, sie war es gegen
Liscows Satire nicht zum ersten mal, und, was die Hauptsache,
auch aus Lisoows Freundeskreise war die Warnung laut geworden,
er möge in Zukunft dergleichen anstdfsige Anspielungen unterdrücken,
um nicht den Feinden Waffen wider ihn in die Hände zu geben.
* BBUno (8. ?6) lat nwliiw Wlrnnt der dnilg«, der mwoM mnf das mumlKracIi mMotrer-
fende in einer Parallele Liscows nUt Swift hinffewiesen , ala auch die Ahhtiifdpkelt des ersteren
von dtCMm nicht ao aUrk betont wiaaen will. Allein er hat Ar aelne Anffaaaong keine Haehfol^
gefunden.
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♦» A ii
'•■ T»'C
R5iry
— 75 — ^
>iry j
In den „Niedersnclmschm Nachrichien'' vom 27. Oktober 1732 hatte
ihm der Rezensent, — der walii scheinlich kein andrer wie Hagki>orx
war — zugerufen: „Nur möchte sich das beredte Mitglied der
kleinen Creister, dieses lassen ins Ohr gesagt seyn, da& es sich der
Redensarten, die eine schlechte Ehrerbietung für die Schrift und
Theologie an den Tag legen, enthielte ' u. s.w. {Sammlung S.734 f. 818).
Liscow empfand also das drmgende Bedürfnis sich über die
Frage, inwieweit seine Schrift vom religiösen Standpunkt aus
aostöfeig, nicht nur mit seinen Gegnern, sondern auch mit seinen
besten Freunden öffentlich auseinander zu setzen. Um sich leichter
bewegen zu können, schreibt er in der Holle eines unbeteiligten
Dritten, welcher unparteiisch den Inhalt des „Brionks'' prüft und
demzufolge sich gezwungen sieht den Verfiisser zu yerteidigen.
Die Verteidigung geht davon aus, dats man die angeblichen
Beligionsspdttereien mifsverstanden, weil man das Wesen einer
Ironie nicht begrifleu habe. Die anstöfsigen Stellen seien im Zu-
sammenhang ganz harujlüs, und der Spott treffe nur Philippi.
Man kann nicht sagen, dafs diese Beweisführung sonderlich geglückt
ist, sie ist vor aUen Dingen nicht überzeugend; und em unablässiger
Wechsel zwischen Ernst und Ironie verrät auf Schritt und Tritt,
dafs der Schreiber selbst nicht überzeugt ist, und dafs jenes in Ab-
rede.steüeu meist au und für sich recht harmloser Scherze nur eine
widerwillig den Besorgnissen vorsichtiger Freunde gemachte Kon-
zession ist.
Viel bedeutender ist der zweite Abschnitt, streng im Ton einer
theoretischen Deduktion gehalten, indem, ausgehend von dem Eiiah-
ruugssatz, dafs jeder in einer Satire Angegri£fene geneigt ist, die Hilfe
des Staates gegen den Angreifer anzurufen, ein für allemal ein Ein-
grdfen der Obrigkeit zurückgewiesen, und auf diejenigen Fälle
beschränkt wird, wo ein wirkliches Pasquill vorliegt. Entgegen der
herrschenden Auflassung, welche in jeder Satire, die sich gegen
eine bestinmite erkennbare Persönlichkeit richtete, ein Pasquill sah
und demzufolge fär den Angegriffenen polizeilichen Schutz verlangte,
fordert Libgow seinerseits , da(b der Satiriker im rechten Sinne
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nicüt ¥on der Obrigkeit ia seiner nützlichen Thfttigkeit behindert
oder beschränkt werde.- '
Er unterscheidet sehr richtig zwistiien verscliiedeneri Graden
der Ehie; nur für die Aufrechterhaltung und den ISchutz des unter-
sten derselben, der nichts als einem Mangel an Schande be-
stehet und eigentlich der ehrliche Käme genannt werden kann^, hat
die Obrigkeit einzutreten. ' Der „ehrliche Name** kann nur durch
eine bürgerlich strafbare Handlung verloren gehen. Wer einen
. aadem einer solchen strafbaren Handlung aufserhaib des regehnäfsi-
gen Prozesses beschuldigt, mufs darauf gefafst sein, dafs die übrig-
keit ihn, als Pasquinanten^ zur Verantwortung zi^t.
Die eigentliche Ehre aber, die Ehre im engem Sinn, welche
„aus der Beobachtung der Kefieln des Wohlstandes und der inner-
lichen Tugend, und also aus Thaten, dazu uns die (Jbrifrkeit durch
die Gesetze nicht verbindet, entspringet," hat keinen Anspruch auf
obrigkeitlichen Schutz.
Wie man sieht, steckt - Liscow in der Theorie die Grenzen der
»
erlaubten Satire noch sehr weit, viel weiter als wir sie heute für
berechtigt anerkenuen. Hält er es doch Fogar fiir erlaubt über
körperliche Gebrechen zu spotten, hat auch gegen Verhöhnung
eines Menschen wegen seiner Armut im Prinzip nichts einzuwenden^
w^n er auch hinzufügt „Ich bekenne, es stehet sehr geringe einen
ehrlichen Mann durch den Vorwurf seiner Armüht zu kränken.**
l'ür ihn ist die Materies ridit'uloruui noch genau dieselbe,
welche Cicero {JJe oratore) für den Kedner abgegrenzt hatte: ea
facillime iuduntur, quae neque odlo magno neque miscerieordia maidma
digna sunt.*' (Sammlung S. 232. 251«)
Allein anderseits mufs anericannt werden, dafs in seinen
eigenen Satiren Liscow nie alle aus diesem Satze ftiefsenden Kon-
sequenzen gezogen hat; wie er denn auch streng ireunnunen nur
eine Art der Satire i^ennt, die litterarische, deren Grenzen er nur
in wenigen Ausnahmefällen nicht respektiert hat.
Dieser litterarisohen Satire widmet er auch in seinen Erörter-
ungen einen ganz - besonderen Abschnitt, in weichem er geradezu
Digitizcd by G«.jv
— 77: —
sein Programm entvickelt, jenes Programm, das dön Zdtgenossen
merkwürdigerweise wie etwas neues earschien, während es weiter
nichts war als die Aufwäimung von Ideen des so viel gelesenen, so
viel übereetzteii Boit.eau.
Da es sich hier um die Klarstellung der pnnzipiellen Auf-
fassung L18COW8 von den Aufgaben der Satire handelt, wird es
passend sein, die darauf bezüglichen jLiifeenmgen in der Vovrede
zur Sanm^Umg und inMer neuen Vorrede zu den ;,B€merhingm in
Form eims Briefes'' gleich an dieser Stelle iiu Zusammenhange mit
zu behandeln. . • •
Ich habe schon früher darauf hingewiesen, wie geflissentlich
lüBcow es vermeidet, sidi an wirklich .grofse Fragen zu wagen,
Männer yon eigentlicher Bedeutung anzugreifen. Wir sahen, dafs
diese Abneigun^^ zum fjrofsen Teil in seinem Naturell hegriindet
lag, man darf aber dabei nicht übersehen, da£s er, indem er seinem
Naturell folgte, dies bewufst that und aus seiner Neigung sein
künstlerisches Programm abstraliierte.
ftldi verlange ttberdem/ sagt er in der neuen Vorrede (S. 528.
582), „nicht berühmt zu seyn, und gebe nichts um einen Ruhm,
den ich lueinem Feinde zu danken habe. Ich will lieber andere
durch meine Widerlegung bekannt und berühmt machen, als durch
die Widerlegung grdsser^ Männer berOhmt werden. Mich deucht,
ich habe mehr Ehre davon ^ dafs man meiner dunkeln Gegner uur
bekannte Schriften um meiner Widerlegung wiHen, als dafs man
meine Widerlegung um der Schriften willen meiner angesehenen
Gegner lieset."
Das ist aber genau der Standpunkt, welchen Boilkau in der
9ten Satixe (y. 191 ff.) vertritt:
„Et je serai le seul qui ne pourrai rien dire?
On sera ridicuJe et je n'oserai rire"?
Et qu'ont produit mes vers de si pemicienx,
Pour armer contre moi tant d'auteurs furieux?
Loin de les d^erier, je les ai fait paroltre;
Et souvent, sans ces vers qui les ont fmt connoltre,
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— 78 —
Leur talent dans l oabll demeureroit cach^.
Et qui Bauroit sans moi que Gotin a precb4?
La Satire ne sert qu*ii rendre an fat illustre.
C'est une ombre au tableau, qui lui donne du lustre!'
Der Abb^ Gotin ist für Liscow iu gewissem Sinne zum Ver-
hangois geworden.
Die Selbsteharakteristik Boiliaüs {^^eX, t. Slff.):
«D^posez hardiment: qu'au fond cet homme horriUe,
Ge censenr, qu'ils ont peint si noir et si terrible,
Fut un esprit doux, simple, anii de Vequit^,
Qui cherchäDt dans ses vers la seule verite,
Fit» Bans £tre malin, ses pliu grandes malices,
Et qu'e&fin sa candeur seule a ledt tous ses Tices.
Dites, que harcele par les plus vils rimeurs
Jamais, blessaiit leurs vers, il n'effleura leurs moeurs."
kann wörtlich von Liscow gelten. Man wende nicht ein, dals er
seine Au%abe leichter genommen, wie Boiliav, daXs er mit sdner
Satire einen ernsten Zweck überhaupt nicht Terfolgt, sondern dafs
ihm nach seinen eigenen Worten, „die Lust, die mit der Zeugung
geistlicher Kinder verknüpfet ist"» einziger Endzweck gewesen.
Llscow hat mit Lessino jene Neigung gemein, die nicht ganz
üei von einer gewissen Koketterie ist, die eignen Leistungen vor
dem Publikum immer als Bagatelle m behandeln.
Es stehen dieser Änderung andere gegenüber» welche be-
zeugen, dafs er selbst nicht immer das Satirenschxeiben als blofeen
Zeitvertreib angesehen: ,
„Da nun ein böser bcribent die Majestät der gesunden Ver-
nunft, als des unsichtbaren Haupts der gelehrten Welt, beleidiget:
PO kann ein jeder Gelehrter ihn desfiEdls abstrafen, ohne daf^ er
* Der tu dm (olin n U u brldeu Vcri^ou lioiLEAlTs «UBgcaprocheno 0«dAnke:
En loa blämaiit cnriii, J'ai >lit ce q^ue J'en croi,
Et Icl qui in'nn repreud, cn j><>nHO autant quu nioi.
Andet ■Ich lut ir&rtlich bei Liscow eiui?« Seiipn weiter, wenn er von MANZKL «a^: „Sria«
Bchriflcii ^i'fallen mir niclit. Ich habe dieses mit den niflisteB gemelu, die sie geleeeu bal>en. Nor
unterscheide ich luich darin von audcru , dafü ich aafrielitig sage , wa« sie alle gedeukeu."
(AmtmiMMy 5. 580. IMS.)
._^ kj o^ -o i.y Google
— 79 —
sich über Unrecht beschweren könne: Ein solcher Stümper ist.
80 zu reden, vogelfrey." (Sammlung S. 240 f. 260.) Er ist sich
zwar bewiifst, dafs eine Satire in den allerseltensten Füllen die Be-
kehrang des Angegriffenen zur Folge habe; denn .ea Ist lichter»
dafs ein Gameel durch ein Nadel&hr gehe, als dafe ein solcher
Schwärmer klug werde." Wohl aber soll und kann sie seiner An-
sicht nach andere von der Begehung ähnlicher Thorheiten ab-
schrecken: ,Die gelehrte Welt muTs diesem Unfug so viel wie mög-
lich vorbeugen, und ihr gerechtes Mifsfallen Ober das Yet&hren der
bösen Scribenten so emstlich und nachdrücklich bezeugen, daf^
andere sich scheuen, diesen Verächtern der Vernunft und Feinden
des guten Geschmacks nachzuahmen." {Sammlung S. 253. 272.)
£s ist dieselbe respektable» iiüchteme Auffassung, die sich
m dem Verse Boiui^us ausspricht:
„Tout doit tendre aa hon sens."
Was LiSGOw von Botlbait unterscheidet, ist, dafs bei ihm aller-
din^rs mehr das Temperaint las Naturell mitspricht, als bei dem
Franzosen. Die Satire als solche hat für ihn einen besonderen
Beiz, ja ein Gegenstand, der sich nicht satirisch behandeln läfst,
lockt ihn überhaupt nicht; und wenn er trotzdem einmal sich auf
ein anderes Gebiet wagt, spürt man den Zwang, den er sich an-
thut. Für BoiLEAU ist die Satire nur eines der Mittel, durch
welche er sich mit dem Publikum in Verbindung setzt, und durch
welche er seine Zwecke zu eixeichen weifs; Lisoow ist diese Yiei-
sdtigkeit versagt; die Satire ist die einzige Form, in weicher er
auf die Menge wirken zugleich will und kann. Verbietet die
Würde des Gegenstandes oder die Achtung vor der Persönlichkeit
die i^atirische Behandlung, so schweigt er heber. Und so kommt
es, dafs lascow vielleicht ein wenig mehr, wie der Franzose, Ge-
wicht darauf legt, dals die Satire Sache des Temperaments sei: «Der
Vortrag der Wahrheit ist willktthrlich ... Ein jeder mufs in diesem
Fall seinem Naturell folgen. Wer so gesinnet ist, dafe er zum
Lachen siiricht: Du bist toll; und zur Freude: Was machst du?
der enthalte sich des Scherzeus. * (Sammlung S. 2ö4. 274.)
— 80^ —
In allen wesentliclien Punkten aber tritit er voliig mit Hoileaü
zusammeiii Wie diesem, Üehk Liboow in der Satire alle Galle; er
ist schärf; witzige stellenweise in sehker Ironie Ansctieinend grausam/
alMST'^ wird nie eigentlich bitter, getöfi«(ig. Er ist ToUkommen im
Hecht, wenn er sich zu seiner Verteidigung ausdrücklich auf Boileaüs
V^e (Sat. IX. V. 209f.) beruft: • •
: „En biftmant ses äcrits, ai-je d'un style afi^ux
' Distil^ sur sa vie nn vadn dängereux?* -
Für die Yerteidigung s^ner 'Absichtien ist eben Boileau sein
unerschöpfliches Arsenal. Jene Ausffthmngcn ftber' das allgemeine
Recht der Menschen zu kritisieren, das in der .^Unpuf ihtyisrhm Unter-
suchung" so weitläufig erörtert worden, sind weiter nichts wie üm-
scbreibiingea BoiLKAuaober Ideen, uiid man kann nicht sagen, dafs
Liscow s^ Vorbild in einem wesentlichen Punkte ergänzt habe.
Im Gegenteil, es gelingt ihm nicht einmal, die mustergültige Präzision
der Ausdrucksweise des Franzosen zu erreichen.
. Um nur ein Beispiel zu nehmen.
Wenn Lisoow (SammUtn^ S. 207. 256.) zu seiner Hechfeitigimg
sagt, die Art, wie er Philippis Schriften angegriffen, sei nur „ein
allgemeiner Brauch degenigen Freyheit, die alle Welt hat über ein Buch
zu urtheilen," so macht er kein Hehl daraus, dafs dieser Grundsatz
BoiLiiAU entnommen. Er citiert (iSat. IX v. 169 ff):
. . . de bUmer des vers ou durs, ou languissaas;
Die choquer un auteur, qui choque- le hon sens : '
De railler d*un plairänt, qui ne s^t pas notts platre;
G-est ce que tout lecteur eüt toujours droit de fiiire.*
Fährt er dann aber weiter fort: ..Ein jeder, der schreibt, unter-
wirft sich durch die Herausgebuug seuier Schrift dem Eigensinne
seiner Leser. . Qui scribit multos sumit judices, alius in alterius Uvet
ac grassatur ii^emum, sagt der heilige HnmOKTMüsEp. 29 aid Präsidium
üiaconum. Wie kann es also ein Scribent Obel nehmen, wenn man
von seinem Buche seine Meynung sagt? Hätte er doch dasselbe un-
gediuckt lassen und für sich die VoUkommeuheil seiner Gebührt
in aller Stille bewundern können. Sobald er sein Büchlein ans Licht
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glebt> mnfe er es ihm auch gefollen laesen, dals nutn es lieset und
nach Befinden davon nrtheflet. Die Obrigkeit kann ihn wider die
Urtheile seiner Leser nicht schlitzen, noch ihnen eine Freyheit nehmen,
die sie, wie die Juristen reden, titulo oneroso besitzen. Wann ich
ein Buch kaufe, so erkaufe ich zugleich das Hecht, davon zu sagen,
iras Ich will. Ich kann es loben, wenn es mir gefallt, und es aufs
unbarmherzigste richten, wenn es mir abgeschmackt scheinet*': so
ist das auch, wenn Lisoow sich hier nicht ansdrflcldich anf ihn
beruft, weiter nichts als Boileau, aber durch die Überset/'un<j; in
Prosa und die Liscowschen Zuthaten keineswegs zu ^eiuem Vorteil
Yer&ndert. Man veigleiche:
„Dte que rimpression ikit ^clore un po^te
n est esclave n^ de quiconque Tach^te:
n se soumet lui-nißme aux caprices d'autmi,
Et ses ecrits toiis seuls doivent jiarler pour hii."
Die darauf folgenden Verse: „Un Auteur ä genoux etc.'* kann
man dann wieder bei Li8cx>w an der angefülurten Stelle nachlesen.
Es wttrdexn weit fahren, diese AbhSngigkeitLiscows vonBouLKAüs
Auffassung im Detail ]su verfolgen, die gegebenenProhen mögen genügen.
Nur das eine mufs noch an dieser Stelle zu Liscows jjunsten
betont w erden, worin er sich selbständiger zeigt. Das ist die Energie,
mit welcher er jeden Eingriff der Obrigkeit in litterarische Fehden
snrttckweist: „Die Gelehrten mfissen ihre Hindel, die sie miteinander
haben, unter sich ausmachen. Die Obrigkeit mischet sich nicht
darinn, es sey dann, dafs es, wenn es zwischen ihnen von Worten
zu Schlägen kömmt, nöhtig sey, Frieden zu gebieten. So lange es
nur darauf ankömmt, ob eine Lehie wahr oder falsch, oh ein Buch
gut^ oder schlecht geschrieben sey, sieht sie dem Streit gelassen zu,
und ma&et sich keiner Erkenntnis darüber an. Solche Streitigkeiten
gehören vor die Obrigkeit nicht. Sie lassen sich durch einen Macht-
spruch nicht abtbun Will man sagen, die Obrigkeit könne
doch beyden Parteyen das Stillschweigen auflegen: so gebe ich zu,,
dafs dieses ihr ein leichtes sey. Aliein sie würde durch ein solches
Gebot alle Untersuchung der Wahrheit^ und alle Bestreitung des
LmSMAMH, LISCOW. 6
— 82 —
Xnthuras aufheben, das Aufnehmen der Wissenschaften hindern, die
Vernunft unterdrücken, den Irrthttmem und Thorbeiten Plats machen,
und hey niemand, als albernen und bösen Scribenten, Dank verdienen.*
Es liegt freilich ^e bittere Ironie darin, dafe ein Mann, der
so tapfer und fiiKch für die Freiheit der Wissenschaft und ihrer
Lehre eintritt, sich selbst seine Gegner immer nur in der niedrigsten
KUsse zu wichen för gut befunden; dafe er mit Absicht denBie&en
ans dem Wege gegangen und nur mit ZweigMi angebunden, dafs
er, mit solchen Mitteln und Gaben ausgerastet, Befriedigung darin
finden konnte, weiter nichts zu thuu .,als dieBlöfse gewisser Leute
aufzudecken, die so schon offenbar genug war." (SarnnUmg,
Vorrede S. 5. 6.):
„La Satire ne sert qu'ä lendre un &t illustre 1"
Nur in ganz loekerm Zusammenhange mit der eigentlichen
UnpaHheyisehm UfUerguehtmg stehen die am Schhife hinzugefügten
Bemerkungen über Philippis Autorschaft der Schrift „Gltwhe JBrüdpr,
gkiche Kappen."' Wir wissen von Liscow selbst, wie er Kenntnis
▼on dem Hauptinhalt dieser Entgegnung Philippis auf den „BriotUes"
durch Freunde erhalten, und wie wenig Anstofs er daran nahm,
von diesem GlüdcsfaH in nach heutigeh BegiÜsn nicht gerade loyaler
Weise Vorteil zu ziehen.'
An und für sich ist diese Abfertigung der elenden Schaiteke
Philippis, in welcher der Beweis geführt wird, die Schrift sei so
thoricht und jammervoll, daik selbst ein Philippi sie nicht geschrie-
ben haben könne, sie stamme offenbar aus dem Lager semer er-
bittertsten Feinde, ein kleines Meisterstttck feiner Jxmde. Nnr
wird mancher Leser versucht sein, wenn er die bodenlosen Albern-
heiten, zu denen Philippi sich verleiten lassen, hier, wenn auch
nur in einem Auszuge kennen lernt, dem ironischen Verteidiger
recht zu geben, der meint, ,es gereiche dem Verfasser des Bri-
onies zu schlechten Ehren, dafs er sich mit einem solchen Menschen
abgegeben, als der Iii. Prof. I'hilippi seyu müsste, wenn er die
* Di« ffiBM Sebrlft PHUFfn lit »lifadniAt Im AbIumc* ra dm ' BilirlMb «rwlliDtaa
L.iyui<.LU Oy VjOOQle
— 83 —
Schrift gemacht hätte, die üntor semem Namen herumgebet; well
ea eine schledite Kulist, über einen solchen Mensehen Meurter zn
spielen." [SanfnauHsr, S. ^8. 288.)
Sieht mau aber von dieser Nichtigkeit des Objekts ab, so
mufB mau bewundern, was Liscow daraus zu machen verstanden:
wer ld>erhattpt Sinn für Humor hat, kann 8ich dem Beiz derSitua»
tioD» dafe PhilipI»! gegen PutLiPPi mit dem Brustton iilnigster Über-
zeugung in Sdhuts 'genommen urid auf liebeTcUste und Yiiterliciiste
Weise vor fich selbto gewarnt wird, nicht entziehen:
„Der grosseste Feind, den er in der Welt finden mag, ist
derjenige, der die Kappen gemacht hat. Den verfolge er, wider
den eifere er, mit dem kämpfe er, bis er ihii zu Boden geworfen,
und Kitr Erkenntnifs -smer Thorhe&t {gebracht hat. Dieser Unglück-
selige hat ihn durch die elenden Kappen weit gröber beschimpfet,
als der Verfasser des Urion f es durch seine Satyre. Ja, wo dem
Gerüciit zu trauen, so ist eben der Verfasser der Jtaj/^ew Schuld
an allem Verdrufs, den der Hr. Prof. Philippi einige Zeit her
ausstehen mfkssen: £r hat> wie man sagt, meht nur zu der Satyre
Bri(mtesy sondern auch zu allen den beissenden GeuBnien Anlafe ge-
geben, mit welchen man den Hrn. Professor gequälet hat.
Der Hr. Prof. Philippi rette demnach s^ine Ehre wider diesen
gefährlichen Feind, und lasse den Verfasser des Briontes zufrieden.
Fasse er< einmal ein Herz, und greife den Verfasset der Kapptn
emstlich an. Hat er diesen Feind besieget, und unter seine Fflsse
gebracht: so kann er versichert' seyn, dafe er durch' dessen Nieder^
läge die Quelle seines Jammers verstopfet.'* (Sammlung S. Hll. 334.)
Mehr in liiscows als in Philippis Interesse wäre zu wünschen
gewesen^ es mit diesen drei Satiren sein Bewenden gehabt
hätte. Leider hat Lisoow bekaontlidk diese Enthaltsamkeit nicht
besessen und ist noch dreimal wider einen Gegner hi die Schranken
getreten, der schon mit gebrochener Lanze im Sande lag.
Doch ehe wir diesen nicht ganz würdigen Ausgang der Fehde
mit Philippi näher ins Auge fassen, bedarf es noch einiger Worte
über die mehrfach erwähnte, zwischen das Erscheinen der Stand-
6*
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— 84 —
üäef AnträUrede und der Unpartheyisehm ütUersuekung fallende,
Episode der ^SoUiaea ^ütmpüns*, welclie mit der Scblufswendung
des Streites mit Philippi die unerquickliche, persönliche Zuspitzung
gemein hat. Die Sottiseft champettes danken ihre Entstt Innig einer
der vielen TaktlüMgkeiten i'niijppis, die aber schlechterdings uicht
an die Öffentlichkeit gehörten, und zu deren an den Prangerstellung
L18COW vwmlaTst zu haben, wahrscheinlich das zweifelhafte Verdienst
Fribdbioh ton Haukdobns ist. (vgl. SammUmg^ Vorrede S. 28 f. 87ff.)
Der grobe Scherz würde heutzutage keineriei Beachtung mehr
verdienen, würfen nicht seine Veranlassung wie seine unmittelbareu
Folgen einiges Licht auf Liscows Verhältnis zu Gottsched.
Bisher, ist allgemein angenommen worden, dafs beide
sich bereits im Sommer des Jahres 1729 kennen gelernt hfttten,
als GoTTSOHBD, Tou einem Besuch in seiner Heimat zurück-
kehrend, in Lübeck Ka t machte. * Aus dieser persönlichen Be-
kanntschaft ist, in Verbindung mit einigen Äulserungen Liscowa
in der Vorrede der SammUmg über die Entstehung seines Konfliktes
mit Philippi, geschlossen worden, daik jener erste Angriff auf un-
mittelbare Veranlassung Gottschbim geschehen.
km der Korrespondenz Joachim Fbibdrich Liscowa mit
Gottsched geht aber zweifellos hervor, dafs bis zum Erscheinen der
Sottises champetres, resp. der dagegen gerichteten Schrift Puiuppig
y,£Mi$es jfakaiies'* Gomcmm weder mit Liscow in Verbindung ge-
standen, noch auch über seme PersönUehkeit im kteren gewesen.
Vielmehr veranlagten erst die SiMises champüres, die im Sommer
1733 erschienen, Gottsched zun k hst mit dem Jüngern, dann auch
mit dem altern Liscow anzuknüpfen.'
Die Klatschgeschichte, weldie den SMses ekan^ires zu
Grunde lag, hatte sich abgespielt mi Hause der Frau ton Zibolbr,
1 Jedoeh ntebt, w1« CLASBKir (8. 12) will, dainal« telioa .mit telBer Junten Vnn". Gott-
scheds VcmiAhlung faud bekanntlich erit 1735 itatt. Vicllcteht woimu: Oottschko wAbrcnil
dieies Aufcnthaltos bei dem Rektor VOM SERLEN, dc^r lu einem (unircdr.) Hriefe vom C. Oktober
1742 leinen Buhn an 6. empficltlt und dabei tchreibt, „liat mein Häuf« vormahla der Ehre dero
OCfenwart uml ioh dero Gewogenheit genossen" etc.
■ Aach DANEEI. ^OotUchtd und teint Zeif S. 232 ff. erwAbnt nocli der Lebende von
GOTTSCIIED« Zusanuneutrcffcn mit LlSCOW 1729, all eine« (uuwidcraprochcaoii} Gertichtes, trotaileui
nt d«D Bewcli Hat die UatielttlKlMH der Attmlmi« Id Rliidaa hatte.
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- 85 -
mit der Fuilippi freundschafüicben Yerkelir imterhielt, und welche
in dieser AfEUre eine nicht gerade sehr beneidenswerte Rolle spielt,
die BoUe einer verunglückten HeirataTennittlerin fOr einen Paiuppi.^
Nun war bis zur Verheiratung Gottscheds Martawe von
ZiEGLERs Haus dej Sauunelpunkt der schöngeistigen Leipziger
Kreise, vor allem Gottscheds und seiner Schüler i die jungen
Gott8<diedianer zilumten ihre Poetenröfslein und sangen den
Buhm WtsiAsvss, und ihr Herr und Meister gab selber den Ton
an. Man nahm sie als MitgHed in die deutsche Gesellschaft auf
— das einzige weibliche Mitglied ! — und 17:3.'3 ward sie auf Gott-
8CUM)B Veranlassung in Wittenberg zur Dichterin gekrönt.*
Es konnte daher weder ihr noch ihren Freunden angenehni
sein, in dieser Verbindung mit Philippi gleichsam an den Pranger
gestellt SU werdeui zumal derselbe diesmal wieder Oottbohbd als An-
stifter des Streiches witterte, und sich beeilte, in seinen „Sottises
galantes"' diesen aufs gröbste zu beschimpfen, (das Nähere bei
Helbiö, S. 18 f.)
Mochte nun wohl auch Liscow und Haobdoirn die Absicht
mcht ganz fbrns gelegen haben, bei dieser Gelegenheit Frau
von ZiBOLBR und ihr Treiben dem Spotte preiszugeben', sicher
hatten sie diesen Ausfall auf Gottsched weder gewünscht noch er-
^ An und fOr sich lag froülch fOr die Zeitgenouen in diMcn Heiratsvennittelungen kein«S'
wcgt otwM AoatttMe««. Der Pfurer JOBAMH AkdbbAB GrAMSR in iMmitta itellt In Mbien
Brii fon an GOTTSruEDs wie<Ii rliolt an Fr«« G. rlas ^lun crnstliafte dringemlo Ansinnen, Ihm eine
geeignete Lebcnsgeflhrtin auszusuchen und ihm dann Nachricht culionuuen zu lassen, Uar» er akh
dl«« Ib« WwAHm kttmie. I>«*Un«lrabllcliat« Mite« «tat- In 4ncaer Bestehw« wltdwPliium« der tat
Jahre 1T;^C von Krfurt ntis sich ebenfalls an Frau HriTTScnEn mit <\pr Bitt«^ tim AuMkunfl ntxr c'iw
gewisse Madem. BRA.YEII fo Daiu^r wendett „ala die mir ein guter Freund vonn halben Jahr zur
Heyralh v«iv«««Miiffea, feh nttcb, wenn tto nnr den xelinden Theil von Mndanmna LellMB- nnd 6e-
mlltllV-SchOnheiten, samt fimlcrii ■V'i-irtbf ili.-n liÄttc, Yurwiz ^'enug besÄKse, «•ine Kiisc hin zu tluin. . .
- ■ Am 23. Aug. 1733 srhroibt der derzeitige Delc&u der philo«. FakulUt zu Wittenberg Jo-
RAHlt OOTTFRlliD KRAU8B m GOTTSCHED, die IwToretelienden PvooMtloQen betreffend: „Yleneleht
finden Ew. HochEdlen auch etwan jemanden, der die Luuream Poeticam uunflhnir, wozu wir doch
Iber noota dum nnd wann liiebbnber geAuMlen, Bomalil eleh die Kosten nur auf 14 Thir. belauften."
INe Krtonng fand «n 17. Oktolier deHetben Jahre« atntt. IM« anf dlea«n Vorgang bezOglieben Diplome
WtA Gedichte i^ab dann 1733 der damaln b<>l OOTTSCHBD in hohen Gnailcn stclKtule, spater aller-
dlB^ ▼•n Ulm («ahc mit Unieeht), als milihlg«« Sulfiektf deeavonteite JACOB FMWBICB LAJiPBBCBT
beraii«. {aummtmtg Omr Sekrt/im md (hiteM», vOeka «»/ dfa potHtdie Krttnmg der . . . Flrvue»
CHBI8TIAMK MARIANK VON ZiEOLBR . . . wftrHpet iMMHiin. Leipzig. BheitKOPF 1734 m.
Portr. 104 88. u. 11 Bl. ) Das WittenberglaclM Privileg war von FBIBDBICH AUOU8T L wihrend
seines Belchsrikariata verliehen und Tttn KABIt VI. bestiUigt worden.
• LiRCOW In der Y«R«de der AnuMfinv (8. 29. 88) balunptet alkfülaf!« wenn «r fewuftt
Digitizec i:y ^üOgle
— 86 —
wartet Joachim Friedbica Liäcxyir» welcher nach Hamanns Tode
die Redaktion des Maanhurgisehm Com^^onäenkn übemommen»
nahm GerTSOHicD wider seinen Widersacher nachdrttcklich in Schutz,
in einer Rezension der Snttiscs fjaJcwffs, die im Hamhurgischm Cw-
respondenten vom Juni 1733 (No. 101) erschien (abgedruckt in
der ßkfmmkmg S. 754 ff. 8B9 ff.). Unmittelbar darauf mufs Gott-
BOHiin an den jüngeren Lisoow geschii^n und eich bedankt haben»
denn das Antwortschreiben des letzteren, das auf GorrsoHnns Brief
bezug nimmt, ist bereits vom 9. Juli 1733; es ist der erste der
im Anhange mitgeteilten Briefe des jiinpjern Tiiscow an Gottsched
und beweist zweifellos, dafs vorher keinerlei Verbindung zwischen
den LiBoows einerseits und Gottscrbd anderseits stattgefunden.
Gheistiait LimwiG wird hier noch mit keiner Silbe erwähnt. Offisn-
bar aber hat Gottsched, wie aus «T. F. Ltsoowb zweitem Brief vom
13. November desselben Jahres lieivorgeht, sich nach dem Ver-
fasser der Satiren, dessen Name allerdiiin^s nachgerade ein ötlent>
liebes Geheimnis geworden, erkundigt und um einige Exemplaie
gebeten. Daraufhin schreibt dann der jüngere Liboow: „det Yer-
fafser dieser Faeetiartm ist ohne Zweifel Ew. HochEdlen längst
nicht mehr unbekand. Es wird dahero ohnnöthig seyn, ein Geheim-
niss aus einer Sache ferner zu machen, die es nicht inebr ist, in-
soudei'heit gegen Ew. HochEdlen, von deren edlem Gemüthe ich
versichert bin, dafs sie es nicht zum Nachtheil meines Bruders
öffentlich werden bekand machen. Dieser eben ist es der bif8>
hero mit denen Hr. Philippi und Sibvbrs sieh nicht fco wohl, als
einifieii aiuleren guten Freunden eine Lust zu macheu gesucht. Er
lebt in Lübeck iu dem Hause des Hm. Dom-Dechanten von Tiiiexen,
hatte, (Ufa Fnn V. Zieolkb di« ToiAlfcatUchiiiig AlMlneliBiui kSnaM« «r ni« dl» Bud dan
^pbotfin liatmi wardfl. Diese N«lv«at M aber mn wo mnwthTttktbJUHmr, als WMVOOm aieli
offenbar über die Frau lästig machte, iler 17.19 von Ihr sohreilit: „<\al de« If^e« dea Graft« et dea
Muse«, dont clle ^it la quatri^me et la dixi^me il y a quelque hiatrc«, a paMtf h Tag* de MiDWrva"
(HBLIiia, S. 48); im Zusammenhange klingt die Stelle noch boahafter. JOR. GBOKO KAMAmi,
Haokdokns ehemaliger Lehrer, der sie von Leipzig luv genau kannte, schrieb bei Iketr
AMfn«>imc in ilip d< iit»rhc GegelTscluift frcrndczu an GOTTSCHED (20. Sppt. 17^1) „die Frau VOM
ZieuLKU Italica Hie eiumuhl In die OescUschafft aufgeuooioien. Ja! Jal Hoch man muA das beste
d«»k«Q. «• wird «Ml «MMelife iMMam aAUan.*
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— 87 —
welcher ihm die Auf&icht über seiue beyde Süef- Söhne die jangea
Herren von BbOmbsbn seit einigen Jahren zu gönnen beliebet** u. b. w.
(Vgl. oben S. 40.)
Auf den weiteren Inhalt der kurze Zeit recht lebhaften Kor-
renpondenz, welche mit einem Briefe Joachim Friedrichs vom
29. Januar 1735^ ihr Ende erreicht zu haben scheint, wird noch
zurttclczukonunen sein«
Zwischen dem Erschemen der ^S^md' oder Antrittsrede*^ und
der vorletzten gegen Philippi gerichteten Satire, dem „gtaubwUr'-
(Jüjeyi Bericht'', liegt fast ein ganzes Jahr. Alle Welt glaubte, die
feaclie sei nun abfiethau und Pktlippi nach Verdienst gebrandmarkt.
LiRcow selbt, wie er in der Vorrede sagt, wollte mit der Stand-
oder Antrittsrede seine Angriffe gegen Philippi beschlierseu. Sein
Bruder war jedoch die indh^ekte VeranUissung, dafs er den Streit
noeh ehmial wieder aufinahm. Am 25. Mai 1734 erschien nämlich
von Joachim Friediucu im llarnhurgisciim Corrc8jmid(tiffm}me Rezen-
sion von Philippis Maximen der Marquisc m» Salle -, in welcher
Philippi als »ein zum Bathos gebohrener und durch Uebung darinn yoU-
kommen gewordener Redner und Poet* bezeichnet wurde. Das war
zuviel fftr diesen, und schon wenige Tage darauf (am 1. Juni) sandte
er eine Beschwerdeschrift an den Hamburger Senat (abgednickt in
Philippis Cicero etc. S. ?>81 iT. und nacli dem Original bei Ltboh
S. 80ff.), in welcher er verlangte, man möge gegen den „Studenten
Lisoow, der nichts als ein Zeitungsschreiber ist", einschreiten und
«wo' er sich dergleichen weitw unterfinge, emem vernünftigeren die
Verfertigung der gelehrten Articul in denen Hamburgischen Zeitungen
auftragen, und in dertselben Weise auch gegen die ..Nndn-mchsisehen
yachrichten'' vorgehen.*^ Diese Beschwerde blieb, wie Liscow
' Auch abg«dnickt bei DABZKL S. 2M, jedoch mit iler Jahreszahl 1734. So steht aUordlngs
tan Oilgbialt «Imr m tot swelfeUM aar «In 8ehrelM»h1er J. P. Lnoow*. Vgl, dl* Annerknnr Im
AabKBg.
' Dtr Marquisin VOM SABLl^ Hundert venrnnßtigf Maximen. Mit 3C6 moraliichen BiUlnüften
trtSiUirt . . . mm» dnn ftamttiittctmt UtraflKf, CM mtit «imw immAriJH an ... dt« Awii t<M
Zirai^EK . . . htfikilet Ptm Dr. Jon. EBK8T Pim t:tt I ■ ipz.ip, 17^4. I^'A S. u. IS RI. S".
Die Kexention ist abgedruckt ta der SamnUunj) 6. 7ö!) (. M^ f. Vorher geht die sehr lobende
KeMUiOD dM ^AmHlemelm «dir tffo Kmmt nt hrMm» mm» Am Hkifl. dn Buffl übtnittt mtä mti dtmt-
«dkcn .Aflqgifliii wraatari" (toi» BchwABI). Tgl. andi i. F. Ufl€OW m QomCBBD Tom 28. Mst 1734.
^ kj, i^cd by Google
— 80 —
sich vorsichtig ausdrückt, „auf gewisse Maasse nicht ohne Wirkung.'^
Wahrscheinlich erhielt der jüngere Lisoow die Weisung, sich aller
weitern Angriffe gegen Philippi in seiner Zeitung zu enthalten,
Jedenftlls ist er seitdem viel Torsichtiger. Freilich war Phiuppi
wohl wenig mit der Art zufrieden, in der der schlaue „Zeitungs-
schreiber" bei der Ankündigung seines „Cicero ein grosser Wind-
beutel" im Hamburg. Correspondenten xoni 4. Februar 1735 aller-
dings sich jedes Tadels enthielt, dafür aber, ohne eine Bemerkung
hinzuzufügen, die Stelle aus dem Sünibca Uber den Cbbuüs ab-
druckte. (Sammktng S. 764 1 849 f.)^
Ltsoow beschlofs sich und seinen Bruder zu riehen und dem
unverbesserliilien hämischen Denunzianten den Gnadenstofs zu ver-
setzen, im Pommer 1754 erschien „Eines berühmten Medici Glaub-
würdiger Berieht vm dem Zustandet wdchem Er den {8. T.) Hm
JProf, PhUippi dm JiO. Junii 1734 angetroffeH. Merseburg 1784."
An und für sich war der Einfall gar nicht Abel, wenn auch nicht
mehr neu.* Liscow hat gehört, dafs Philippi von einigen Offizieren
eine derbe körperliche Züchtigung erhalten habe. Er läfst nun in
sehr drolliger Weise den Ai'zt darüber berichten, wie durch deu
Schlag au& Haupt Philippis „Gehirn ganz umgekehiet, und just in
die Ordnung gesetzet worden, in welcher es sich bey Leuten von
gesundem Verstände befindet*", . . . „eine so entsetzliche Ver-
rückung" habe der Herr Professor aber nicht iUx'rstehen können,
und sei, unter herzlicher Bereuuug aller seiner literarischen Suudeu
und aufrichtigem „Bekenntnifs von der ScheuMchkeit seiner
Schriften," am 21. Juni 1734 sanft und selig verschieden.
Die kleine Schrift ist Sursert geschickt gearbeitet, einheit-
liche Idee, gut durdigeführt, gedrängte Darstellung und unwider-
■ Wortreicher, aber sehr viel zaliaier itt Ute RezensiOB der gc^jen PHliarri aud d«a Sohta-
■ptelprlBilpsl HfltiLTO frerlehteteii Sohiift: ^GlSdt om/I dgm Oerm D> JOS. BIMST PHItim . . . «&•
ge.fuMitt riui THOMAS M\ Kri KW 1 rsLH, C'MniuUini) '■i-^nml von 'Soritia, den 5. Mer: 1735, vml gedruckt
SU Niret^rg, im April ixt guluchten Jahres.' iu Xo. S8 des Hamburg. Corretpondmten vom 3. Juni
178ft: 41« Schrift enihalM mshr. itt d«r Titel «adeut«, «il«iiik MillMr d«nea bla und wieder wohl «a-
gobnchten Wahrheiten, 'lic ilfiiji ui^'on, an den die Schrift v:<:-richtct ist, betreffen, ntnU'f niuii" ii. g. w.
. . . „wu der Herr VOM FKLDtuUillEUf, etoe derer sich unterredenden PenuMtea mit frauxOeiscben
Woiten vortrl^ ksn man nieht «nden als lehrrriehe MudlMii mMhaii.*'
^ y^i. da» unter No. 8 des Anhaugi^ s <ii r SummUaig «ae dea yUdm, JUSHolr. t«ib 19. Uta
1733 abgedruckte ,8chrtUeK «iim pekhrtem Meuicu»'*.
._^ kj o^ -o i.y Google
— 89 —
stehlich packende Laune zeichnen s!e vorteilbafb Vor manchen seiner
früheren aus; sie ist A^egen der Drastik der Situation, in welcher
der Heid vorgeführt wird, diejenige, welche von allen Liscowscheu
Satiren heute noch auf den unbefangenen Leser den unwidersteh-
Hchsten Lacbreiz ausübt.
Aber trotzdem bezeichnet sie einen Bttckschritt Liscows^ ein
Herabsteigen aus der Sphiiic der litterarischen Satire, in die
niedem Regionen litterari.scheu Klatschbasentums. Zwar wird der
Schein einer litterarischen Satire noch in soiem aufrecht erhalten,
als Philippis alberne »Jfomlt^cAe Büdmsse^ zu den Maximen
der Marquise ifon 8atiU in ihrer ganzen Scheußlichkeit an den
Pranger gestellt werden, aber jene Prügelaffaire, die mit Philippis
öffentlicher litterarischer Thätigkeit gar nichts zu thun hatte, die
weiter nichts als eine Skandalgeschichte war, bildet doch den
Grundstock und das g^bt der kleinen Schrift den Charakter kleinlicher
Skandalsucbt. Mochte Philippi seine Prügel verdient haben oder
nicht, jedenfalls war es schon hart genug für einen Mann in seiner
Stelhinjj;, einer solchen BehanilhuiLi aus*!;eset/t zu c^Liu, und den tief
Gelvranktea noch obendrein utientlich verspotten, konnte nicht die
Sache eines Mannes sein, der wie Lisoow seinen Stolz darin setzte,
sich nur an die Leistungen seiner Gegner zu halten und ihre
Persönlichkeit stets aus dem Spiele zu lassen.
Aber wie wenig Liscow selbst ein Gefulil davon hatte, wie
naiv er in dieser Hinsicht noch war, zeigt eine Änfsemng von ihm
in der Vorrede der Sammlung über jene Brutalität, die Pmuppi,
fast gleichzeitig mit. dem Erscheinen von Liacows Schrift, von den
Händen des Königs Fsibdriob Wilhblm sich hatte gefallen lassen
müssen: „An die andern Schläge, die der Herr Prof. Phimppi
kurz darauf von höherer Hand bekommen hatte, habe ich nicht ge-
dacht. Ich hielte es für nied(?rtia(:htig, über einen Unfiül zu spotten,
der einem jeden ehrlichen Manne hätte begegnen können,
und bekhigte den Herrn Prof. Philippi von Herzen."'
• AusfOhrlicheii Ober dir-sc nrsehichteii bei HKLnirt , S. 2" f. und (nicht panz penau^
UlKSCBIüa a. a. 0. Die Motive fOr <li« MiMiaadlaiic PuiLlPPli siad vielletclu darin zu aucheu,
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— 90 —
Nach unserer modernen AuifasMiiitr sind beide Fälle nur wenig
von eniander unterschieden, beide mal ersclieint der Betroffene nur
bedauernswert und niemand, der etwas auf sich hält, wird ihn oben-
• drein verspotten.
Fttr LiBcows ehrliche, gerade Natur ist es jedoeh be-
zeichnend, dafs er nur dagegen sich verwahrt, als habe er spotten
wollen über eine si hnaidliche Beleidigung, wider welche der Belei-
digte sich nicht wehren konnte. Jenen Zwischenfall mit den beiden
Offizieren betrachtet er nur als eine verdiente, durch die Unver-
schSmtheit seines Gegners hervorgerufene Züditlgung und nunmt
daher keinen Anstand ihn mit Behagen und Laune auszubeuten.
Philipp! ist aber um diese Zeit in der That nur noch ein
Gegenstand des Mitleids; deutliche Spuren einer Geistes.störung
lassen sich nicht verkennen. Seine Stellung in Halle war schon
lange fast unhaltbar und hätte er nicht an dem Kanzler ton
LuDBwiG einen Beschützer gehabt,^ wttrde er sicher schon viel froher
dem allgemekien Hohn haben welchen müssen. Erzl&hlt doch
Liscow, daf« die Studenten ihm den „Brionies^ mit ins Kolleg
gebracht und in seiner Gegenwart einander daraus vorgelesen hätten.
Schon im Sommer 1733 hatte Fhilippi sich daher an Mosheim ge-
wandt, mit der Bitte ihm bei der neuen Göttinger UniversitSt eine Stelle
zu verschaffen', und es schehit auch, als ob er mit vorgeschlagen ^
worden sei'. Er nahui dies für eine förmliche Berufung . kam in
Halle um seine Entlassung ein, und machte sich, nachdem er die
mehrfach erwähnten Prügel in Empfang genommen, Ende August
1734 nach Göttingen auf den Weg. Allein dort wollte man erst
üafs Ph. sich «lurch seine ititte um EatlaMung gegen da« strenge preufpischc Mandat vom 22. April
im vtiguBen iMtte. Vgl. ROSSUDI, Orbiduitß 4ir lAifwnNfit O^Hmum IB6S 8. 41.
1 Am 5. .Tmil 17S5 schreibt »Icr Hiillonscr Prnf. RöltMKR an Mf NOilTAf SKN u. a. „Woher
er (V. LL'i>EWiU) Uie Nachrioht habe, weirs ich nicht, doch vcrmuthe Ich, dafs solche ihm Herr Dr.
PüIUPPI sncMcbilelieo hab», dem dra n«n Cntalor dar grtweito Pstron iit^ und iha btjr
aller Oclcirenjicit dcfrii llrct" etc. V^rl R<"isSLKK, Grundnmj der UHiriT\!tJt fJötiinym, S. 2J7,
' «Herr FuiLlpn mag immer aus der deutschen GeMlIachaA wegblieben; Er hat mich er-
•ttebet, ihm ebicn Pbus in GOtt innren la Tvnchallen. lob wolto, diJb lob so itaik von Minw FAbIgkolt
iinil lie.icheidcnheit QbcneoKet w&re, um ihm ohne Widerspruoh mabioi GvwitWM blfirin dteacn Sit
ktaaen." (U. Br., M08U£Ml« «u GorfSCUSO 3. Juni 1783.)
' MVtoUelf ht MhiMleb«lt «r aldi «benao vietcebUoh -wie Dr. PHfLTPPl, d«r dem wmiderlleheR
Schlurü iiiiicliot: Ich bin in Hannover vorposchlagen, daher wordc iili iiiich OOttinf^en gemtaiWienlODi*
CMOHUEI}! au QoTTBCHEU 15. September 1734. Z. T. gedr. bei DAKZEL S. 178.)
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— 91 -
recht nichts von dem arg kompromittierten Menschen wif^sen, ver-
gebens bestflmte er GaBAtrmt und Münohhausbit mit Eingaben und
Lobgedicbten. Man bedeutete ihn, er habe nichts zu hoffen, liefe
ihn aber yorläufig ungestört sein Wesen treiben; als er jedoch gar
keine Miene machte die l'niversität von seiner unangenehmen
Gegenwart zu befreien, vielmehr zu Beginn des Jahres 1735 eine
alberne Wochenschrift „Der i^fieye^A:^* herauszugeben begann, rifs
die Geduld, man gab ihm das consilium abeundi und schaffte ihn
aus der Stadt. ^ Am 1. April 1736 meldeten die „Hamhurgisekm
Bericht^*, das Organ Philippis, das ihm stets bereitwillig seine
Spalten geöffnet, in einer Korrespondenz an> iii)ttinfren vom 26.
^läiz lakonisch: „Herr Doctor Thilippi hat schon t^eit 8 Tagen
diese Akademie verlassen, und weife man nicht, wo er sich von hier
hingewandt hat."
Man niufs annehmen, dafe diese letzten Vorgänge Philippi
auch den Rest von Besinnung, den er noch besafs, geraubt haben,
um zu verstehen, wie er die unglaubliche Thorheit begehen konnte,
nicht nur in den „Hambwrgischen Beriehfm wm gelehrten Sachen''
Yom 22. Oktober 1784 Ko. 85. (abgedruckt in der Sanmhng S. 760,
845.) „zur Steuer der Wahrheit" yerkünden zu hissen, er sei noch
am Leben, sondern auch glei(hzeitig eine fönnliche „Verteidigungs-
schrift" in die Welt zu setzen, in der er dvn Beweis zu füliren
versuchte, er sei noch nicht gestorben, und sich in den heftig-
sten Schmähungen erging gegen die Urheber jener Nachricht, in
denen er semen ehemaligen Kollegen Wibdebubo und den jungen
Samuel Gotihold Lange zu erkennen glaubte.'
') Naberem bei KOsslek a. a. O. S. 100, 102. Hamhurgiiteke Berichte «on gdtlarUn Sachen. 1734
5*. M (96k Oktober), M (23. N«T«]ilwr), 96 (20. NovomW), 96 {90. V»v.) und HIRBCHIW» a. m.
O. f. '2f?. „Hr-rr PllTT.irrT Ist In OnttiriMn chtn so elend, verflchtllch und Ucherlich, al« ei'
In Halle gewesen. Herr HoIT-Kaht TKKUEK «chrcibt mir g«alcru, daf« er nicht gar ■»eit von der
YmwelManf «atfenict «»jr.* OCoSBEU m GOTTSCHED 18. Deeimtor ITM, mm Tdl gedr. M
DamZBL, S. 94 f.) „Herr Dr. PPHILIPPI iat »o IRchcrMch in Göttlncrn. nln er jnmahliä anderswo
gewesen. Mau legt es Uuu so naliei da£> man ihn nicht weiter dulden will, als es seyn kann, allein
er will nielita ▼«tMebea. BiAilier »elifttM Ich Ibn noeh giefen ebM gewsliamiB Wcgiehallbiiff: mlwr
ich weifs nicht, ^^ie lauge er mir das Vermögen. 1^n xn MbOtS«!!, Mlber iMSeO WinL" (MOSRHM
an eoTTSCHED, 9. MAra 1735, z. T. bei DAMZEL. S.96r.)
■ Vgl. oben ft. fi2. Aam. LAKU -wbd Iii der erttea der ,fiitrittiatm Aqriapm* Halter den
MADten BBRMOliAUe BABBARDB, eis Verbreiter »ifc» ffhntbtoMiten BtriOkUf^ engegrifha. Denen»
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^ 92 —
Hierdurch F>ah sich Liscow noch einmal — und jetzt wirk-
lich zum letzten mal — veranlafst Reinem alten Gegner die Wahr-
heit zu sagen; im Frühjahr IT^-^oUefs er die ^Bescfteidme Beantwortung'^
drucken, in welcher er trocken erklärte, Philippi mdge sich
sträuben, wie er wolle, er sei im vergangenen Jahre zn Halle ge-
gestorben, und „das Ding', das zu Göttin gen unter der Gestalt
und dem Namen Putlippis herumgehen solle, sei zweifellos nur ^ein
Gespenst "; der Teufel, als ein abfiesagter Feiud aller guten Anstalten,
m(jge wohl seine guten Gründe haben, warum er sich in Philippis
Gestalt in Göttingen sehen lasse; er werde aber sieher eines Tages
plötzlich mit Gestank verschwinden.
Er schlofs mit dem effektvollen Citat aus MoLifiREi
„iJisparoissez donc, je Vous prie
Et que le Ciel par Ba bonte
Comble de joye et de sant^
Yotre defunte Seigneurie.*"
Dieser letzte Abschiedsgrufis an Prilippi ist, abgesehen von
der glücklichen Schlurswendun-r, nicht so gelungen, wie der .^MerJc-
würdige Bericht''. Die lustige Idee, einem Lebendigen zu beweisen,
er sei tot, ist viel zu breit behandelt, der Wits stellenweise frostig
und an den Haaren herbeigezogen. Das Ganze macht mit einem
Wort nicht den Eindruck einer frischen Improvisation aus einem
Gufs, sondern nur einer mühsam zusannneniiestellten Sammlung
magerer Witze über einen dürftigen Gegenstand, der der Mühe nicht
verlohnt.
Die bescheidene Beantwortufig ist das letzte, was Liscow gegen
Phiuppi geschrieben; die Satire Von der Nbfkwendigheit der elenden
Seribenim, in der Philippi ja auch eine Bolle spielt, neben Sivers,
EoDiGAST und Manzel, erschien in erster Autlage bereits 1734.
Die journalistischen Angriffe im „Bamburgischen Corre.^pfnulcnten''^
auf die wir im nächsten Abschnitt kommen, hören gleichfalls mit.
batla •kh danult Mlnw OcMiidhelt w«gen lUMb Erftirl^ wo PniMlTl maaelrarM Baktmila, u. «.
die ZÄUNKMANNIK [Ilamhxir.i. Benchf,' 1734 Ko. 86) Iwmft, lMg«b«B, OOd ll«tt« VtfmiltllOtl
die Lucowsclic äaUro von HiUle mitgebracht.
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— 93 —
wabischeinlich sogur noch etwas vor dem Erscheinen der „bescheidenm
BeamUttortunff* auf.
Die weiteren Schicksale des wunderlichen Mannes gestalteten
sich in der That so traurig, A&ia selbst Li8C0w meinte, mau dürfe
seiner „ohne Sünde'* nicht weiter ' spotten. Von Götliugen wendet
er sich zunächst nach Halberstadt, von dort bittet er — freilich
vergeblich, — den menschenfreundlichen Mobhkh um Aufriahme in
Helmstedt.' Dann folgen verunglückte Versuche, sich in Halle und
Jena wieder festzusetzen. ' An beiden Orten erhält er das consilium
abeundi. Ein Versuch^, in Erfurt „unter Gottes Schutz und der
Begiemug'* Ostern 1739 Vorlesungen ttber römisches Recht und
„praktische Übungen in gebundener und ungebundener Bede'* su
halten, mifsglfiekt ebenfBlIs, denn im Oktober desselben Jahres taucht
er in Leipzig auf ,,mit einer grofsen Last von Schmieralien, die er
alle drucken lassen will." Dort hat man aber keineswegs Lust,
„einen solchen Abschaum der Thorheit, den drey Universitäten fortr
geschaffet haben, m dulden" (Gottbcbbd an Maktbvvrl 24. Okt
1739. U. Br.)*, und trotsdem er öffentlich kein Ärgernis erregt, wird
er Anfang Februar 1740 „auf hohen Befehl" nach Waldheim, „nicht
als ein Übelthäter, sondern als ein Narr, das Gnadenbrot zu geniefsen",
(Fr. Gottsched an MANTfiUfFBL 6. Febr. 1740. U. Br.) gebracht.
1742 von dort entlassen, erscheint er „in Gestalt eines halben
Bettlers" in Dresden, aber obwohl er inzwischen zu der Einsicht
gdcommen, dafis er „bisher nicht viel gutes geschrieben,"^ ist er von
1 ,Dflr elend« Dr. PllLim, der, wie bdcaniiU «eyn wird, von GMSliigen weffeeeluiffat
iPOrden, hilt »ich jetst in Halbersta<U anf. Er hat mir von rlnraiis geschrielwn, tind gebeten, dafs ich
Um ia meiu UauXit uetanMu mOchte, Ich habe ihm aber erustllcb surQckgeichriebeB, dafs er biuKUiro
"welMr werden, dte Fe<ler felA alederlefwn, «ad von hier weirldeiben inAebt«. .... Doraiif lurt er mir
die Acta •ßines Proceiaes In OOttingen zug^and, damit ti^h ncAnp VnttchuW Rrkrnnen mOchte. Ich
kano nicht leugnen, deXs Herr 6EBAUEB in einigen Dingen zu hart mit ihm Terfahren und Dinge
irteder lim in Honnover «nteeROlien, die nnerwieaen eind. Oerh eel»« TfaevlieH Iftltt Ihm nlffende
!■■(« Rohe." (Mo^HKiM n. Cn iTSCiiKn 27. April 1735 z. T. gedruckt bei DA»ICL A, M n. 178.)
* EanthurgiKker Cotrenfiondent 1739, Xo. 102 (27. Janl).
* Brlefwedieel doe OorrdCHBOeehen BhepBon mit IUKTSOTFKL glebt nmneheilel
Detail«. Fant in Ji'dein Briefe wird von ilcm „Plmntaslon" berichtet, und MAN i kI FKEL offen und ver-
Meokt ugegangeo, seinen EinflaA in Dresden aufzobietea. um die SntCeroung de« uubeqaemea^Oofltea
«t Temnlaamn. Anf MAMTKUVCBL* wiederholt«! Betreib en der AnigvleireBlielt eehelnt denn eneh die
«ndltChe Wegsrtniffuiig PhILIPFT» crfolct t» sein
* U. Br. Chb. L. V. UAOKbOftK« an Fr. v. nAGKDOiul, 3/4 Sept: 1742 (LAPPBliBliKä«
AMHMlni^).
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— 94 —
semer Schreibwut keiDe8we|;8 kunert, und konnte er schon bisher
für einen Phantasten schlimmster Sorte gelten, so zeigen sich Jetat
unverkennbare Spuren des Wahnsinns, ,J)ie Begdn md Msucmen
der edlen Beimschmiedekmuit'* , Altenburg 1743 (die VoiTede ist
Dresden, 29. Dec. 1742 datiert) und lUißhr poch das konfuse,
Manuskript gebliebene, Opus:
VAsrt 'de B&M-mats, das ist, Herrn' Pekr CUmrs . . . noeA-
ffdafsene Edde Ikrüehte einer Fürire flicken Sdesenheity Schaarffen
Witzes, und Guten GeschmacJceSy in Allen Schönen Wissenschaften;
nebst Nachdenklicher Zuschrift und fünf msgetheilien Blumen-Buchets
. . . 1744; (die VoiTede Altenburg, 21. December 1743, unter^ieichnet
D. Johann EbnstPhilippi^), sind Ausgeburteu eines völlig zerrütteten
Geistes.
Efaies aber ist in ihnen beachtenswert: die Art, wie er sieb
über Liscüw aussi)richt. Mag es nun die Folge der Unterstützungen,
weklie ihni Liscow nachweislich in diesen Jahren zukommen liefs,
oder die Polemik desselben ^egen GboTTsoHBD, den Pniuppi bis ans
Ende glühend geha&t hat, oder wirklich ein unklares fiewulhteein
seines geistigen Elends sem, er erkennt die Bedeutung und die
Überlegenheit seines ehemaligen Gegners reumütig an. (Dazwischen
kommen lianu iillerdings wieder win-e Ausfalle '^egen den Verfasser
des „Brionies'' und die „Gesellschaft der kleinen Geister"), Schon
in der „Beimaehmiedßktmsif' (S. 15) wird der Veriasser «der uberans
lustigen und artigen Schrift: Dk Jifo^kwiadigheii der denden Seri-
henten'' gelobt, noch nachdrücklicher aber und vor allem mit deut-
licher Beziehung auf die frühere Gegnerschaft in der Art de hons
niots ' S. 260: „Lifs ja auch von ernst- und scherzhaften Schriften
und die Vorrede zur Uebersetzung des Longins; lifs die Vorreden
zu denen neueston Auflagen der Gedichte des Herrn von Bjessbb,
Ganitzbns, Kbukibchs ete. Von jedem dieser angezognen Werke
sage ich billig: Lifs und koffs Fällt dir aberbey
denen Wörtern Lüs und Kaufs ein gewisser Nähme ein: so halte ihn
* Da« M«a(ukript 340 8& 4». befindet sich in der kgl. 0. Bibliotliek zu Dresden (sign. P. 265)
VwH. Jrrilte /. XJtaratMrsBKiM!«*. IX. S. 112 1
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— 95 —
in allen Ehren, denn er straft zwar etwas scharf, aber er meynta
doch gut Die Schläge des Liebhabers meynens nicht bose, spricht
König Salomo ... Eben der den du etwa vor deinen Feind hälst,
ist zugleich ein Liebhaber eines gesunden Wizes; ein Liebhaber der
Wahrheit und guten Geschmacks, ein Liebhaber der Eichtigkeit,
dails ein Schüler seinen Lehr-Meister nicht über die Gebühr erhebe
und gar zu einem Abgott niachei ein Liebhaber endlich der Frey-
heit, damit keineMonarchia litteraiia universalis aufkomme und sieh
welche /u ;iil{i(meinen Schriftlichtern aufwerffen, grade als wenn sie
alles verstiiiideu, über alles zu richten genügsamen Verlag im Kopte
und Befugnis hätten; sie allein denWiz vor sich gepachtet und alle
andre ihnen die Belustigungen ihres Gemüthes und Wizes bittweise
erst abpachten mfisten. Vor solche schwülstige Geister also sind
die Demüthiger nöthig und heilsam."
Es ist fast erschütternd, dafs der unglückliche Mann zu dieser
Erkenntnis erst kommt» als Wahiisimiiger in einem lichten Moment.
Wie wunderbar war die Äulserung Lisoows in dem „MerbitnirdigeH
Bmdii^* wahr geworden, damit PniLippr zur Vernunft gelange,
müsse sein Gehirn „ganz umgekehret werden." Die weiteren Schick-
sale Phili ms sind in Dunkel gehüllt, er scheint um 1750 in Maugel
und Elend gestorben zu sein.^
Keine der bisheiig^ Schriften Liscows bat eine solche. Ver-
breitung erlangt, wie die letzte seiner gröfseren Satiren, welche
noch vor der i,3e8eheuknm Bemtworhrng'^ zu Ende 1734 erschien:
Die Satire Von der Vortrefflichkeit der elenden Scribenten* Sie galt
und gilt zum Teil heute noch, nicht nur als das beste Werk Liöcows,^
sondern als ein Muster der Satire überhaupt; ein Urteil, dem nur
bedingt beigetreten werden kann. Vor allem erklärt Sick ihre
groCse Verbreitung nickt so sehr aus dem tiefem Gehalt, als viel-
* Vgt. HlBSCmro O. fl. 214. Satn PovtMdi CBTBAMO m. 174$) vof 4«r .JlriM»
tekmiiMniiut.'
* DU Kortr^ftMMl uitd IMlamdlgM i$r JQmdm Saihntt», griuMA $rwkmm «nt
***** Hmtlm. Dteun iarisBei mwn «dlmci ladlctnm or» «llo .... 1784.
110 88. 8».
* V«L HAtAKM Aidbanoff dvIKlNr in mIimb Bii«f u SixirBB <17S7} M AftaaUR, «tTmi-
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— 96 —
mehr aus jener Eigenschaft^ die Babbvbrs Satiren so tiel Anklang
finden'liefe: der verbältnismärsig seKen hervortretenden Zuspitsong der
Satire gegen eine bestimmte Persdnlichkeit. Viel ausschlierslicher
und energischer wie in irgend einer der Mheren Schiifttii Liscows
liclitet sich der satirische Angriff gegen eine ganze Kategorie, und
wenn für gewisse Eigentümlichkeiten der „elenden Scribenten'*
SiYsna, Philipfi, Rodioast mit Namen als charakterisliscbe Typen
angeführt werden, so geschieht es nicht so sehr, diese MSnner
aufs neue blofszustellen, als vielmehr aus Bequenihchkeit. Mit dem
Namen „Sivers" und dem Namen „Philippi" halte das Publikum
schon einen ganz bestimmten Begriff zu verbinden gelernt, der einer
Erklärang oder Umschreibung nicht mehr bedurfte. Aach in den
Augen des Publikums waren jetzt diese Leute, was sie Ton Anfang
an in den Augen Lisoows gewesen, kdne Individualitäten mehr,
weiter nichts als klassische Typen einer ganzen Gattung.
Aber nur für den überüächlichen Leser der Liscowschen
Schriften zeigt dies Verfahren einen wirklichen Bruch mit der
bisher von ihm befolgten Methode des satirischen Angrifb.
Zunächst wissen wir, dafs der Plan zu einer derartigen Satire
einer der iiltesteu Liscows war, schon im Beginn seines Streites mit
SiVERß entstanden. Schon in der „ Vitrca fracta" heifst es [Sammlungy
S. 86 f. 89): „Ich will mir aber vorbehalten, diese bishero noch nicht
erkannte Nohtwendigket und Vortrefflichkeit der elenden
Scribenten in einer eigenen Schrift, so gründlich zn. behaup-
ten, dafs, wofern noch ein Fünkchen Redlichkeit in unsem Feinden
ist, diese Unplückseligeh öffentlich in sich gehen, und aulhören wer-
den, uns ferner zu kränken." Die besten Gedanken für die Aus-
führung dieser Idee aber hatte er sich schon vorweg genommen,
durch das, was er im „Brionies* und in der „Stand- odär Antrittsrede'
über die „Gesellschaft der kleinen Geister" gesagt. Die „elenden
Scribenten*" sind s. z. s. nur eine Sektion dieser grofsen (ienieinde ;
und da Liscow, als er die „kleinen Geister" charakterisierte, immer
' HiLLtUK und MANXKi. fohlen noch in den beiden Einzelausgaben Ton 17M a. 36. Ihr«
)I«aicn lind «M Min Hradroek tat 41» B am mlu nf hlasagsfOgt.
Digitlzcd by Lit.jv.'vi'^
doch diejenigen von ilmen im Auge hatte, die „elende ScribeKien"'
sind, so konnte er thatsächlich, als er mit dieser aU^temeinen- Satire
noch einiiial auf tk ii Gcfienstand ziii ückkttin, wenig neues mehr vior-'-
bringen. Es ist ihm nicht gelungen, wirklich neue Gesichts!;i)unkte
fftr die bereits ürilher behandelte JBdaterie za finden. Seine Ausfilh*
Ttingen gehen, nur in die Breite, Inium irgendwo in die' Tiefe. Gei^de
in: dieser Satire, in welcher er gewissennalben die' Sonime «setner
bdsberigen Erfahi mitjen auf litteraiist hera Gebiete zieht, macht
sich das Miisverhaitms geltend zwischen Liscbws formaler Ge-'
wandtheit^ und seinec Aimnt an eigentlichen Ideen. » Die Sitbrs'
iitid die FniiiiFPii lassen flin. nicht, los» die «kleineu Geister^, mit
denen ^er nch allein abgibt, rächen sich, sie riehen ihn unvennerkt
zu sich herunter. ' '
Insofern ist alsso die letzte Satire keineswegs» aiis ein Fort-
schritt, zu bezeichnen,
' ; Aber auch nach der formalen Seite. hin scheint das hohe Lob,'
das .gerade der „V^rtre^Uehkeit der denäm Scribmtm'*^ vor allen-
aadem gespendet %ini, nicht zntrefEend.
In allen bisherigen Satiren ist doch wenigstens der YerBUch
zu einer künstlerischen Ausschmückung des an und für sich trocke-
neh satkischeQ. Themas gemacht;, sei es, dafs, wie in der j,Vürea
frasta\':'Aeai „Brumtes''. iL eine Art Fabel zn Grande igelegt^
sei es, dafe auch nur eine zweite Person fingiert wird, an.
welche, in Briefform, sich die ganze satirische Ausführung richtet.
Die yfVortrcff'lichheit der dcnäm Scribenten" ist dagegen ledig-
lich eine schlichte» theoretische Abhandlung, die freilich in gewissem
Siisne sich: glatter, liest, wie jene Versuche einer poetischen- £in<<'
' 'RpllÄtifiK': Witz Tnn ('fn Nchlprhtpn Si-rihr-nten, die den Eseln pUchen, welche zwar
u«ge*elit<3lit zur Mosik Mieii, ans deren Knochen niou ab«tr die b«*ten FlOten mache, doh CrKRVINVS
bewMilten hororgiBhobeB wmI Daiwh. «Ii. ^/Im «inslg«» futen" bwefohaat, ItS. keiMtwcgi dm
Orlginalcinfall LiSCOWs. Schoo tfOBBOr (»NfIcAc «mNcAM. kleri682. 8. 112} ««t dte lük-
gtscbickiea gekrtUinten PofiteB" ,'
«I>a meliwt mein Freund, ea a«y die Knnit veiMneA
; Wenn man die Fsel an Poeten kr&hnet. ■• . ' '■
Doch wiR«e darii aacb aufR des Esels Knochen
l ' . ■ Ihe betten Pfeifibi ofltmahls »eia gebrochen. " *•* ' -> • " ' < •
bTSVASK, LiBPOW. 7
— 98 —
klMdmig, dafür aber viel monotoner wirkt, und die ursiirOngliclie
Frische der weniger sorgfältig komponierten, aber reaUstiBcber kon*
zipierten Satiren schriuTzlich vermissen läfst. Liscows Stärke ist
zugleich seine Schwäche; das zeigt nichts deutlicher, wie gerade
diese letzte Satire, wo er darauf verzichtet, die Gegner peradnlich
anzupacken und za Boden 2a werfen, und es vorziebt, nur bier und
da von allgemeinen Reflexionen ausgebend, ein Strdflicbt auf sie
fallen zu lassen. Ihm ist nur wohl, wenn er Mann gegen Mann
'Steht, wenn er seine Angriffe, die auch der Allgemeinheit gelten,
auf eine bestimmte greifbare Persönlichkeit richten kann. Er ver- -
leugnet auch hier nickt den Eklektiker. Man beachte, wie er sich
von allen Seiten mflhsam die Steine berbeisucbt zu dieser abstrakten-
Erörterung — Plintos, Cicero, Verqil, Ji venal, Horaz müssen ihre
Gedanken heistedem, wie Montaigne, Balzac, Fontünelle und Du
Fresny ; — wie wenig selbständig er ist, wenn es sich um eine rein
theoretische Frage handelt In dieser Satire tritt diese Schwäche
am stttiksten zu Tage, bemerkbar macht sie sich aber ^eich-
falls in der „ Unpartheyischm Unkrsuehmff^ bei der Brörtmng von ■
Wesen der Satire, wie auch in einigen Ausführungen der gegen
Manzbl gerichteten Schrift.
Mit dem Sommer 17^, in welchem die letzterwähnte Schrift
gegen Makzii. erschien, ist Lisoows Thätigkeit als sathischer Pam- .
phletist abgeschlossen.
Doch erst im Jahre 1789 entschlofs er sich die bisher einzeln
gedruckten Satiren in einer Sammlung zu vereinigen. I>afs diese Samm-
lung aber nicht alles enthält, was er bis dahin geschrieben, unterliegt
keinem ZweifeL Wahrscheinlich stammt die oben erwähnte Schrift
gegen LOscher aus dieser Zeit, sicher die Schrift von der Unnötig-
keit der guten Werke (1729) und das von Hblbio zuerst ver-
öffentUchte „Daiiksagungs 6( lu t iben - an die deutsche Gesellschaft in
Jena (1734), auf das wir ncn h zurückkommen Nverden.
Aus dem Jahre IVd'id stammt femer noch eine Übersetzung
ans dem Französischen, fiber welche Lisoow in einem Briefe
an FuBDRiCH von HAasDOBN, datiert aus Preetz 1. Januar (?)
Digitlzcd by Lit.jv.'vi'^
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1739, belichtet; ,Moii freie toob aura iait voir ma traducüon des
Dialogues des moris ttu» tour mmtfetm. Je vou8 prie de In live et
de m'en dire votre sentiment. Car fähr cela je ne saurois avoir
l esprit en repos de ce coU U. Bi vous trouvez, que ma traduction
est toleraUe, fiutes en Borte» qne Mr. Hbrold l'imprime. Mr. Lb
VtwBE le flouhaite ardemmeiit'^
In dieselbe Zeit füllt ^Em kriHseher Gommenkeir über eine
Stelle des Virgils.'^'' Dagegen sind in diesen Jahren zwei Satiren
gedruckt worden, von denen jedenikUs die eine Liscow mit Unrecht
zugeschrieben wird.
Die erste iiteht unter dem Tttel: yt^uuug enies SeJMbens'
van der GUickei^heit der Wörtfvrselker* mir dem Motto: -
Ridentem dicere Teram, qnid vetat?
in Gottscheds ^Critii^ehen Bcf/frägm". 1782. S,ö4ö — 564. Hans Schrö-
der, derselbe, welrbn in den Schtesw.-Holst'Lauenhurg. Froviimal-
heriekktv s. Z. so eifrig daför eintrat, Joachim FftnoMiicR Liaoow sei
der Satirenschrdber gewesen, glaubte in diesem Aüfeatz ,'eine bis>
her unbemerkt gebliebene Satire von LmcoW aufgefrmden fn.
haben, und liefs ihn daher mit einer Einleitung versehen in Win-
frieds (N. I). HiNSCHs) „Ruitim und Blüthen'' (Altona 1026) 8. :i0~6ö
wieder abdrucken. Allein so Überzeugend er auch nachgewiesen,
dafe die Satire gegen Caspab Abiii.8 ^dammbrng eßi^er noch niehi
gedruckter Chroniken*^ etc., gerichtet sei,* so sehr ist ihm der Beweis
von Liscows Autorschaft mifsglückt. Seine Gründe für die^ Echtheit
sind eben so wenig stichhaltig, wie die, welche Schmidt von Lübeck,
der um sein Urteil angegangen, in einem angehängten Briefe vorbringt.
* fftuf Jrrw. ISOß. Jnnl R. !20. T)a« Oriplnnl war ImtHI» 1709 <*r«chi«>ncn unter dem Titel:
„Dialoffue* de* Mord ä'un tour noureau, pour l'inntruction de* Vivan*, sur ptu*ieur* mutiert* impor-
«Mitii. k Ia Hay«, cb« T. JOBVSO«. 1TO0. <*. Bariad tngmiHmi «DMo|p»swk«iMAUnOS «mal
EniAI.KA, AruLKlTO Ud COBNELICS AOKJl'PA, IIELIOOABAI. und moGEXEP, JULITS CAESAR
niul MABCUB Ji;H.BltUT08, CAUOUI<A und Nbbo. Vgl. Kurltt Ifaehrieht von den Biehem vnd deren
ürMberm la d«r Sioulieliai BiiiltothA IX. <J«Ba 1740) 8. 20S& blBOOm Übwwtmnf wlMiBt
nicht ift'dnu'kt wnnlfn tu nein. Von dem Original urthcllt STOLLE (Anleitung zur JJixtfirie 'ter Gt-
lukrtheit. Jena 1727. 8. 145.) MSoaderikh schciiit dieier Aoonymm in Dingeu ■« die götUictie Vor-
■elniNff md die Obrigkeit twtrelliHt, «leb elien nieM gmr elmrbieag sa «rwetnn.**
* XeMf Trent ISOfi. April 8. 268.
* D&8 bezeugen achon giei«hMltige (Quellen vgi. OÖTTESi JuUebemde$ gelehrU* Europa I. (1736)
n, 452.
7»
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Aiideisei^ aber > ini& zugestanden weiden; . dafe Im d^r/ da^-
maligen irrigen Annahmen -Ais babe seit 1729 «wvpclien- Li8C0w->iind'<
Gottsched ein Verkehr bestanden — Schrouem si)richt gar. von
Liscows „Freunde" Gottsched — ^ und angesichts der Thatsaefae, •
d^.^f e8,:liier mit einer treckt ges<;biclcten Na&haäinung der'
LiBoow8chen Manier zu Ümn haben ^ der IMumMefai. sehr: Tek-.
zei^idber ist. , . ' • •• •
; OfTenba,r ist der Verfasser angeregt worden durch LtsooWst
„Vitren fracta"; darauf deutet auch Gottsched in der Aniiitrkuiig : ,
„Die Ueher^chrift könnte etwa jemanden auf die Gedanken bringen^-,
daf^.der njBuliche Veria.88e;T Ypn^er „VUrea fracta*^, oder ein
anderer Yon dieser. Sehnig . Urhi^er :da¥on My^*^
Lisoows Stil in die^ Sehrtft ist bis auf dier Kleinsten Eigen-
tümlichkeiten treu kopiert, vermutlich istder Aufsatz aus Gottöc he Da"
qj^jerm bcliuierkreise JiervorgegangeD; Gegen Liscow als Verfasser.
qijceGjien. freiUcih rnnr änfi^e Grande, aber , sie sind um bgk ge<«
wichtiger: ;!) dafs nachweislich erft geraome ZeU später IiiäooiR<
mit 6oTTa(»ED-in Verbindung getreten ist /2) dafis' der- Aufeata-r
niclit mit in die Sammlung aufgenommen worden ist. Wäre er von
X/Tscow gewesen, so lag gar kein Grund Vor, ihn auFzuschlieLsen.
Für die li^ntetehung des Aufsatzes im GoTTäOHispBphen.Kreise spricht
andrerseits s^hr vieles« Gerade hier wird in den Jahren ITSS^^lTSfi*
das .ironisch satirische . Pamphlet, wie es in den Schriften Idsoowa^
yorlagj m einer besondem Zeitung eifrig gepflegt, in den „Keu^'
fränkiscimi Ztäungen von gckhrten SacJien'^^, von denen iii den
Litteraturgeschifhten zwar nirgends, desto mehr aber in dem Gott-
BOHKDSchen Briefwechsel ans jenen Jahren die Bede ist Das Bhitt
ist nie in den Buchhandel giekommen, und ward nur als Manuskript
gedruckt den Stunden und — Feinden* zur Erbauung .mitgeteilt.'
Öffentlich ist ihrer, so viel ich sehe, nur im „Hamhurgisohen^
Corrcspondenten^^ gedacht, in dem der jüngere Liscow, welcher von
GrOTTScHED die Exemplare zugesandt bekam, jedesmal das neu-
erschienene Stuck besprach. Der vollständige Titel ist:
I SmowIw «. d. K. 0. »Ulothck 1& Dradtn.
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XeufrankischrZeitüngm \von' Gchhrte)! Sarhrm \Ävf das Jahr 173 S\
(34, 35, 36.) \Darmnef% alle die ■ sinnrnclu u J£infülk'\ der hmtigm
.Ghäkkiften die in mdem\ ZeUum^m -mciU Maum haben, \der gcSankn
Wdt' äur ,BdiisHgmgi\- enthaUm sitid]' Erfites (tweytes u. s. w.)
Stfick. : |Leipng, auf Kostea der Bcherslkafteii Gesellschaft.) Bruckts
Bernhard Christoph Brbitkopf.I 8®. (Vom 6 Stück an ist auch
auf dem Titel das Datum der Ausgabe pednu kt.)
. Die. dnzelDeii Ötücke erschienen nicht in regelmäfsiger Folge,
k « V ••
flOiidera - wunden zur ' Feier .der Geburtä-. res^. Namenstage von
Gottsched und seinen jungen Freunden ausgegeben.
1738 erschienen, vier Stflcke/ welche dier Reihe nach J. G.
LoTTER, öTEiNWEUK, Lamprkcht uud J. G. KRAUSE in Wittenberg
gewidmet sind.
- 1784 erschien das secliste bis zehnte Stttck; GoTtacHfl»,
J. H. Wekklkb,,' X F. Mat, Chr. D. t. Boalau iind jBirau' v. ZihghiER
gewidmet
1735 erschien nur ein Stück, Frau Gottsched gewidmet.
UM macht „das zwölfte uiul lezte" den Beschlufs:
, Allen über die Vorurtheile des Pöbels erhabenen Geistern,
denen wir gern Ein Bhitt dieser Zeitungen zugeeignet hätten, wenn
sie nicht entweder als Nicodemiker das Licht gescheuet hätten
oSßi uns Ihren Namen nach, nnbekamit gewesen wären; ^ird dieses
Blatt gewiedmet von den Verfassern.* '
Jedes IStück besteht aus verschiedenen Korrespondenzartikeln,
welche teils persönliche Anspielungen auf den Gefeierten, teils
ironisch satirische Ausfälle gegen alle <liejemgen, welche in irgend
einer Weise das Mife&Uien Gottscheds und seiner Frennde sich zu-
gezogen, enthalten.'
Das Bemühen, Liscows Manier nachzuahmen, tritt an >ielen
Stellen zu tage, auch fehlt es nicht an Anspielungen auf seine
Schriften.
* OOTTHCUED h«t, wie es Rchoint, aiirh tiiennml »ich nach »eiiier W^clsc au Uiutergruude ge-
balteii, Bm ofHiMI Jede Tellrahnie ableugnen «i ktanen. Anf dt« WUm pM^ert m thn jedoeli
zuweilen, daf» die Anpr-fTrifTenrn ihm rlic rtrrh'fen Wahrheiten OHnr rüe .Vfu/r. 7.. iiii fSfsirht «Hpen,
die er uatQrlich mit guter Miene eitiKtecken mur«. So schreibt Ihm einmal der Weimarer Hofprediger
Digitizcü by
t
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So wird im dritten Stücke unter Leipzig eine ^Lithographia
^fusica■, das ist, die steimrm: Musü:k o(jkr die singenden Sfrhie
um Xe^iMT}^'' angekündigt, zu der Liscows „Vitrea fracta'' offenbar
die Anregung gegeben. I>er Autor, heUst es, bo£fe, seine Er-
kUbüing des singenden Steines werde ^zum wenigsten so viel Bey-
M unter den Geehrten finden, als was unlängst von einer ge-
brochenen Fensterscheibe \ur physicalische Muthniassungen gegeben
worden: Also hoffet er auch, derjenige Gelehrte, so in Lübeck der-
gleichen musicalische Steine gefunden, werde ihm hiervon seine
scharffsinnige Gedanken xvl entdecken nicht unterlassen.*'
Im 4. Stücke keifet es unter Leipzig:
„Nachdem bisher so viele Stachelschriften wider die kleinen
Geister unserer Zeit hier und dar lieraus^itkuniinen, dafs die grossen
Geister fast überdrüssig worden sind, sie alle zu lesen, hat sich ein
würdiges Mitglied in der Gesellschaft der letzten, ttber einige seiner
nnwUrdigen Brüder, nicht ironiscb, sondern in allem Ernste, in
folgender Schrift beschweret: UmorgreifUche, doch wahrhafte Ge-
danJcm, iihn' die eigene Einsidd in seine Verdienste und den Aus-
l/ruvii ilcr.sdben in solche WortCf die sich wohl ftach jemty aber
nickt nach diesem ncA^" etc.
Im U. Stück beifst es unter Weimar: ■
„Allbier ist neufieb eine Schrift unter nachfolgendem Titel
zum Vorschein gekommen: Magnus Uber, magnum m(dum. d. i. Gründ-
liche Ahhandlung vm der untrkminten Venire flichkcit der grossen Scri-
heiiten kleiner BücJier, darin diese höclist niiisUehe GaUwug der
Gelekrten utieäer die UetHosen ürtheOe ihrer Feiitde wol^me^neitd und
MoehärHeUich gerettet wird, 8. 8 Bogen. Der ungenannte Verftsser
ist durch die sinnreiche Vertbeidigung der elenden Scribenten auf-
gemuntert worden, sich der Nothdurft derer anzunehmen, die von
COLRK, der im 8. Stoek« sngeirrlffeti, «m ScUofii elBM freuBdaehalllleheii Briefei: «llu tchrenit
Ihnen hier ond andrrwArta A\t yeu/ränkitchen ZeilmgeH m* ab wAm8le derVerfaRser derselben. Weil
non dieses ft»r niclit zu dero Ehre Kercichele, so hübe schon etll«lw iMbi bey Gele^nlieit d«a Wort
Tor E«r. etc. gespruchen. Was gegen mich Uarinneu elnKeflusseo« latswnr iMMh&ftig. aber aaoh Ufipleeh
«nd eteAlttr gemig geratlMB.'' (U. Br. «. OO-rriOHBO 29. Jm. 1784.)
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— 103 —
der ekeln und undankbaren Welt jenen auf eine nnverantwertliclie
Art an die Seite gesetzet werden**. Folgt ein» AnkOndigung im Ten
YOn IiISC0W8 „Eltmän Scrihmten.'*
Auch die unter Gottscheds Leitung stebeuden Kednergesell-
scbaften verleugnen den Einflnfs der Lmoowecben Satire nicht
I^eter ist freüieh nicht zn verapttren in der 17S6 von Joravn
' HARBOfü gehaltenen- ditrftigen Rede „ Vm dem KitiUtm der Soiirm**,^
y'ohl aber zeigt sich ein Bestreben, seinen ironischen Ton zu treffen
in manchen Heden A. G. Kästnkks; „Dass ein Redner die Wolf fische
Fhihs«^ nicM verstehen dürfe'' (1738), „Das Lob der Irejr
ffeigterey**t eme iramsehe Bede (1740)» und allerdings sehr viel be-
scheidener in einer Bede J. B. Carpboys ,tDie Noikwaiäigkeit und
das Lob des Prtdens.'' {1741).*
Noch klarer liegt die Sache bei der zweiten, Lißcow neuer-
dings zugeschriebenen Satire.
Nach G. EiTNXB („Christum Gün^s Bioffrapk and dk Oott-
«dkedMUMT**, Programm des Magdalenen-Gymnasinms, Bredan 187^),
soll Lnooir der Ver&sserdes „Gesprächs swisehm Johmn Christian
Günther im ReieJte der Todten und einrm XJngeimnnten im Reiche
der Lebendigen''^ sein. Allein die ilypotese ist durchaus unhaltbar.
Die Schrift ist ebenfalls, wenn auch nicht auf direkte Veranlassung^,
so doch in unmittelbarer Umgebung OonscionB entstanden, trotadem
dieser in der Vorrede zum 8. Bande der eriUsehm Beyträge den
Verfasfier nacMrOcküch d^avouierte und „freywillig ' erklärte, dafs
er „gar keinen Theil daran haben möge." Die Schrift kann nur
von einer Persönlichkeit herrühren, welche in Leipzig und speziell
im GoTTSOHBDschAn Kreise zu hause ist. Nur eine solche kann zu
dieser Zeit über die Vorgifnge, welche Gottscbbd zur Niederlegnng
< Prrßh^ ittr Bfrfihiiinkeit, wftch« in rintr GntlUchaft guttr ftnulll Wlilir dtT A^ftStkt 4k
Bnrn Pro/. QotUcked* tind abgelegt mirdtn Lcipsig XIM. 8. 377 ff.
t Mmu Tt6hm der BtnäMoidtHt. hOrmig 1749 8. »Iff. 4M CT. 5t»ff.
* GMfträch* turixchen Johann Chri»*ian Günthtn auf Sehlentm. In dm Reicht der Hidfen,
ümi «jwm ümgmanmitm m dtm Htitin der Ishmdigm : In 1et^ekem Befd« du A'raffn* 1739 t» Bmimu
^tdnuldm MmHtmf tfwtMKmr IM 6<y ifinsr MtgtnMt IAn> Gtdmitkm mbrr «M9§ Uil Mmid »
4mMA( Dieter und Dichterinnen erö/nen. Neknt riner Zueiffnung an Seine Uoehedeln, den lüm D, MfM«
kM* im »rtttau. Dm «nte StQck 17a». IM s. Ko. (Kgl. Bibl. UwMn. A, : 70W.}
* Dagegen spfteM •. B. 4w AmMXL s<igtu SVMK. CS. ».)
._^ kj i^ -o i.y Google
— 104
fdies ! I^niimts der deatechen' GeeeOi^cluift . .«teanUffiiten, üo genau
imtefTichtet geweacfki sein.^
Auf 60TT8CHBD8 nächste Umgebung ytekt die VerlierHichuug
der Frau VON ZiftoLKR, der Weihrauch^ der Frau Gottsched gestreut
. wiitl, die offene Parteinahme für ihn selber gegen die deutsche Ge-
seUschaft, der^ gelegentliche Hieb g£gen deh Dresdener Hoiprediger
HABfBftOBR*, einen Hauptgögner Gottschum, und Vor aUem der
maTsloB bo«häfte Ausfiftll geg«$n KONto, vielliHoht riebe« dem Hallenser
Lange und dem eben genannten Marpbrger die von den Gott-
schedianeru der strengen Observanz meistgehafste Persönlichkeit.
• Kur :einer, der mit den Leipziger Verhältnissen - ganz veirtraujb,
konnte jsndlich in gewisse Details der Leipager chronique »iand»-
leuse 80 eingeweiht sein, und vor allem dieselben wichtig genug halten,
• um^ ihre Weiterveübreitun^ durch den Druck zu Terftntassen. Es
liefse f^icli noch eine ganze Reihe von Äufserungen und Anspielungen
anfuhren, welche geradezu die Möglichkeit ausischUefsen, d&fs
. i4800w der Ver&sW sei.
Zum Überflulh wurd auch iii einedta bald darauf erschienenen
Buche* em andrer, nändich ein M. As'iov StbinhAubr als nmtmiiis-
lieber Urheber des ,/rr.s;>r«V;Ä6" genannt. Wahrscheinlich freilich
ist diese Notiz ungenau und vermutlich jener Johann Wilhklm
: Stbinacsb aus Naumburg gemeint, welcher 1737 Mitglied von
GoTTSCHBDs Vertrauter Bednergesellschaft,^ 1738 Magister wurde,^
1739 Leipzig verlieTs und darauf, wie aus sciinen Briefen an GrOTt-
8CH2D hervorgeht, einige Zeit HanslehTer im Elsafs ward (vgl. oben
S. 53, Anm.). Von dort beabsichtigte ihn Gottsched 1742 nach Bern
' CARI. Heinrich LANUR lnl.Obeck. der doch mit G. in regelinAf i rKOVtWIMMlden «Mht,
IM Booh im J«DUWr 1739 g»iu im unklaren Ober .den bctemdeiideii Sduitt." ,
* „MAHBKKOSn" stellt Im Orlsriunl, das ist J«doeh swtfiblioa efn DiiickMi1«r.
* J. C. N(KMBITZ), Vemünßtiffe ii,-<Uinkrn üher all^hanti jn»tori»chf, CritiJxAe und }foruii'che
, Uaterien, Seclitter Tlieil. (Frankfurt «. Mala 1745) 8. 146: „Wenn ea wahr iat, waa der Autor dea
Ocvprteh« xwit«lieD JOli. Christ. GOmthbr «tc. welclier der M. Amton StkiHSAUBr aejm
•oU," etc.
* Nevt Probtn der BeredMontkril, welche in einer ÜttetUchaft puter Freunde unter der Au/-
$iekt 8r. HochetU. des Herrn Pro/. Ontttched* ubgelegl worden. Zum Drucke l»el&rdert ron eiaem
lOtgUiHlc der GeMllteluft. Lelpil« 1749. 8. 161 ff. (AbMltladarede «n C. O. BkDOBO
In dem amrehAngtan littgUadwir w il cl ml« ■Ulit Ct uter Nr. 6S. (KlaTlKB, dttr 1786 dn-
trat, liat die St. 43.)
* UtHt tMm «. «. w« 8. 217 ff. die BcglftAiirttiMehuagaHMlo v«n i. F. Wv^aoffOL».
Digitizcd by Lit.jv.'vi'^
~ lOö —
zu entsenden, um daselbst mit Hilfe der deutschen Gesellscliaft den
Gottsehedianismus einzufahren und zu hegen (vgl. Danzbl, S. 239).
Der I*lau zerschlug sich aber uud er ist dauu später m frauzösische
Kriegsdienste fjetreten.
Dafs GoxxscHED den Verfasser des Gesprächs öffentlich des-
avouierte, dagegen mit Stxikaübr in eifriger Korrespondenz blieb,
darf nicht Wunder nehmen. Einerseits mufete Gottsched um seiner
eignen Existenz willen jeden Verdacht ablenken, als habe er yorher
um die mafslos kompromittierenden Ausfälle auf König gewufst,
•anderseits aber mochte er auch wirklich mit manchem in der Scihrift
lücht einverstanden sein, -so der geringschätzigen Behandlung
SoHWABEs und der blutigen Verhöhnung Stoppbs; auch die Polemik
gegen die deutsche Gesellschaft war ihm vermutlich zu scharf. —
Dafs aber nirgendvri m Deutschland gerade dies an den Pranger-
steilen der skandalösen Vorgänge im KöNiGSchen Hause mit mehr
Jubel begrüfst wurde, als im Kreise GottschsdsS ist billig zu be-
zweifeln. Übrigens spricht auch noch fttr Stbikauiss Autorscliaft,
daXs er aus Naumburg gebürtig, in welchem der Verfasser des
^Gesprächs" ebenfalls nach einigen Andeutungen sehr genau be-
kannt atm mufs. .
* AvB Dresden berichtet am 1. OkUjbcr 17.Si> ein GottachedUner, oia gewUter WüKOT: „En
fA«t k«li» Tsff Toilwy, im wir ntebt somudimb im den Herm Prolbiiar OOTtMaiBD «aieakm;
«h«!<iii(lcrlich, da wir Ufrlich dessen erbauliche Schriften Ircpn. It7«nrt hat nus ehi gvttir Freund dns
»0 verhaste Gei^prich iwiscliea GCJCCl:^ und einem Unbekandteii im reiche der Todtcn heimlich
vendiaffet, tramlt wir wu nieht wtmSg die Zelt vcftrdben. Ckuits DreJMen lit davon vellt Und «tu
jeder will oa lesen."
Dar« Dbrigeiis KöNIOs Frau seit Jahren schoa in dem übelsten Rufe stand, beweist eine
, Stelle In «teetti'<«iiii«draektatt) Pftof» niBDE. T. HAOSDOMe au aetnen Brndcr, v«i» 6w Ittn
17?f2: ,.nic passn>.'p bftrfffcnd Herrn KÖmO in nrn.nTpn stielt auf lic T^ntpftic sfintr Frjiucti, die flcu.
elurlicheu Manne wthrcnd Seines Uierseyna manchen Strich c/a 6 Gebot gemacht" etc. (LAl'PEN-
uiyiii^Cü Ly Google
Iii. Juuiualistiöclie Thätigkeit bis zum Jahre 1739,
Die Mehrzahl der selbständig eu Satiren Liscows ist bekannt-
lich in Lübeck entstanden; nur die letzten Schriften gegen Phiuppi
und die „No^aoendiglceit der elenden Scrtbenten'^ Men bereits in
die Zeit) in welcher Liscow, im Dienste Mathias von Glaüsbnhsibis
sich abwechselnd in Mecklenburg und Hamburg aufhielt. Aber schon
von Lübeck aus bat er stete Fühlung mit den Hamburger litte-
rarischen Kreisen unterhalten, hat er vor allem eine eifrige Thätig-
keit in den Hamburger Zeitungen entfaltet; und es ist merkwürdig
genug, dafs er es so lange in dem litterarisch toten Lübeck
aufigehfllten, während die Nachbarstadt überreiche Gelegenheit zu
besserer Verwendung seines eigentümlichen Talentes zu bieten schien.
In wenigen Städten Deutiichlauds herrscht in der ersten
Hälfte des 18. Jahrhunderts eine solche Bührigkeit in der Jour-
nalistik, wie gerade in Hamburg.
Eine Geschichte des Hamburgischen Zeitungswesens in dieser
Epoche ist noch zu schreiben. Keine andre Quelle ist so reich an
Fingerzeigen für die richtige Würdigung der litterarischen Zustände
im damaligen Norddeutschland.
Und so berechtigt in gewissem Sinne auch das geringschätzige
Urteil FftiBDBiOH yok Hagbdobkb über die Hamburger Litteraten
und besonders den Herausgeber der Hamhmtgisehm Berkhiet Kohl^
1 TS. T. HAaXDOBN. Werke^ «d. ESCHMBI;«!. V. 8. 31, 34.
L.iyui<.LU Oy VjOOQle
— 107 —
sei« mag, wonn er die Hamburger Journale mit dem Mafse der
gteicbzeitigen periodiBchen Litteratur in Ens^and mifet, so ist doch
jedenfalls gerade in den meisten hamburgisctien Zeitungen und Zeit-
scbrifteu jener Tajje eine frische Unbefangenheit des Urteils, sowohl
mit Rücksicht auf die einheimische wie auf die Litteratur des Aus-
landea, und dabei eine unleugbare Gewandtheit in dem, waa man
die Technik des JoumalismuB nennen kann, anzutreffen» wie kaum
irgendwo in jenen Tagen im Binnenlande. Die mtemationalen Hau-
delsheziehimgen der Stadt bleiben nii ht uhuc Emüiifs auf die Ent-
wicklung des geistigen Lebens. Studiert man in den Kontuis
den Kurszettel der JLondoner Börse, so verfolgt man in den Kedak-
tionszimmem die neuesten Erscheinungen des engUschen Bücher-
niarktes.^
Einer der Bedakteure des Hamhur^ischm Corrcspondenien,
Lampeecht (1736 — 40), ist sogar selber in England gewesen, und
als völliger Anglomane zurückgekehrt; er wird nicht müde, zwischen
den Verhältnissen hier und dort Parallelen zu zi^en, welche alle-
mal zum Nachteil unserer Nation ausfallen.'
1 ■
' Xiedertächsitcke ZtiUngt» von ^fhrtm Suehm 1729, Mo. 49. (20. Juni):
Londen. „Ein gelehrter Comcdiant hat eine freUrucktc Antwort mf die Vorrede dci Herrn
POPE, die er vor aeliier SdtUfln der Wecdw de* Shakespkar ireaeuet, mitKetheilet. Dieter
ComwUaut Tertheldijrct tlle alten .\etenrfl. welche die Stnckc iHobcs Porten atifpefohret. A,iil>i'v hat
er in dieser Autwort die Fehler der Edition de« Herrn VWH entdecket, und eluipe neue Erl&uUruugen,
'dl*- 4M Lelm im tBAKBWBAK «ad die thMtiatiedi« Blilerie Mteer Seit betveflln, bejrfelNnMlit.'
Hamhurrj. Cnrrnpondetti 17.34, No. «7. <\. .Twnn:
London: des berUhmtea 8HAKE8PEAIU aftmiutliclte theatralische Werke eiad allhi« in 7 toI.
In eetwr mof Sabaeriptloii mit denen Noten dee Henn TBSOBALO innmneaKednietrt worden.
* Z B. JJamhurg. Corr«*pemdemt 1737, Nr. 40 (9. Mar«) frelcif^'ntlich einer Deiiprechungr
Yon Samukl KKiaaTt Baeb Obir 4m Jüi/mÜuitt du DnmmM» im EnfUimd (Obenetninff von Thbodob
AtoOIiD) werden die Eagllnder feprleeen «Is „grtftekeeetlinte Vttton", adlexn allen Zelten den Werth
der Wiascnachaften orkauut luul dits^UKu uiit> r ^ich wachsen leeion*; Eufrland sei gegrcuwlrtig
„dM Beleb de« gruten Gejichmackes." Über da« Buch sellist: „In dem iranzen Vortrage berreebt da*
FniOi welches die gesunde Vernunft giebt, nn<l das einem En^Under so el^n ist. Er eebrelbt, was er
dankt, und er denkt allemal wenn er xrhroibt.*
Hamburg. Curretptmdent 1737, Nr. 57 (9. April). Rein Buch sei so anifefelndet worden, wie
seiner Zeit der ^HuaAurgiteh» Palrtot." Wie anders sei daarefcen in Entstand der Sptctator ^ewQrdlgt
worden «denn die engUiehe Nation fand naeh Ibrer ««rc^krten Einsicht aoeleloh da« Oute, wdehei
derselbe so reichlich vortnip und sie sähe in der Kliipheit diese« St ribenten ani ihrem Volke ztipleleh
ihre allgemeine Ehre. Diese Neigau); tiietist aus einer wahren Liebe zum Vaieriande, welche bet uns
In Ibier GuSoae nedi lange nietat bekannt fenn« fit. Xan natentust nnd bdohnt In Ingtand einain
Mann, der »ich herfOrthnt, und dip»e<i kluce Volk rechnet sich das Loh mit zu, welches ein Welgrr
bejr ihm erlaugt. Wir hingegen suchen oft dci^enigcn zu untcrdrQcken, welcher uns die besten
DiMifie toietet.*
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•
Freilich" ist bei dein hlnfigen W^ch^el der '^BiedaJ^ an
eine eiuigeimafsen prinzipielle Haltiinja; des Blattes nicht zu
denken, noch weniger darf man erwarten, dafs die ahgedruckten
Artikel durchweg einen gewissen Durchschnittsgehalt, sowohl
wak die 'Gedanken, wie was die Fdrm anhuigt, zeigen. Viel-
mehr läuft neben gutem und mittelmäfsigem viel elendes ^etig
mit unter.
Diese Ungleichiiiäft^igkeit tritt nirgends starker zu tage', als
gerade im gelehrten Artikel des Hamhurgischen Correspondent^kj
der sonst zweifellos, schra mit •Mcksicht auf den grofsen liOser-
kreis des> Blattes in ganz Europa, von allen hambürgischen Zeitungen
did vomclhmsie und einfluf^ichste war.
Allerdings haben liiri hk ], Jie Redakteure in lu Jahren wiederholt
gewechselt. Nachweislich der erste war Johann Geor(* Hamann ^
zweifellos ursprOnglich ein Tortrefflich beanlagter Mensch, nicht ohne
Kenntnisse, feder- und- sprachgewandt fruchtbar im' höchsten
GfTBde, in seinen moralischen Wochenschriften (Dk JÜb^rone
1728 — .30. Der alte Deutsche 1731. Der vernünftige Träumer 1732
[angeregt durch Moschkrosch]) von einer gewissen urwüchsigen
Derbheit und Frische, welche bei einem Gottschedianer bemerkens-
wert ist FiBCHART und Haks Sachs werden mit Vorliebe dtier^r!
— ^dabei aber zügellos, leichtsinnig und liederlich; am£nde verkonunen*
und im Trunk m Grunde gegangen. Er leitete den Hamhur^schm
Correspoiulenim (i)olitischen und gelehrten Teil) von IViii bis An-
fang 1733.
An seine Stelle trat, jedoch wie es scheint, nur für die Re-
daktion des gelehrten Artikels die Unterschrift des im Anhang
' Vpl. Hamhur t. F-hriffuMterteTiXon. TU. S. 70 ff f^•n. imsi. DANZBL. GottKhed U. 8. Z.
8. 119.- 129, 131. Nekrolog in den UamburgiKhe» Berichten ton sfHehrien Saehm, 1733. Mo. 57
(17, JnU.)
- * Mit dem HAGEDOltHMlieii Haute, to welchem er Bntdwr ^eweeea, war «r sam Schlufs
vftDip zerfallen. Die Mutt<»r ilor hnHon TIAGEPORN «chreibt tii einem (undatierten, wRhniehcinlich
ane dorn Jalirc 1732 oder Anfang IISÜ stammenden) an den JOngem Sobn gerichteten Zettei : rDefti
Brvder «ebt mit HAMAM imr sieht mehr «m. Er l«t Ihm viel tn Mee. «ndlaat nur g erlnfMhtnng Ittr
thm. bcy rftroiitrirung auf d<>r Oa^n hat dein Rrader ihm ein ernjithidti. Mher negUgventee' Conifiill-
niciit gemacht. (U. Br. aus LAPPEKBERU* Sammlung.)
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— X09: -T-
abgedruckten Briefes an GwsBqm vpqi 9i Joli 1783);ider jdugere:
LiBOOV, Joachim Ffixdrich, der sptttestOM Juiü- 17ß6 sich zurück*
zog, vielleicht mit Rücksicht auf die von dem Verleger Kö^ig für
das /folgende Jahr beabsichtigte Begründung einer neuen Zeitung,,
der „Frmiegirkn Hamburgischen Angeigen",, dj^ea i^edaktkm er
übernahm.
' Dann folgte von Juni bis September 1736 ein intefregnum, in
welchem ein luib* kamiter, ganz uiiiahiger Skribent m den Spalten
des Corrcspotulentm sein Unwesen trieb. Er ward abgelost bis
zum Sdüufs de» Jahres ebenfalls durch einen IJnbekannten, der
aber, ungleiph geschickter, im grofseq ^und genasen , iti^ffiendes Urteil
entwickelt, naquentlicH in einer stüa, Tersttodlgep Beurteflimg you
BoDMBBs „ Brief wecfisd van der Natur des piretiseheH Geschmacks'^
etc. (Ä Corrcsp. 1736. No. 204 (25. Dez.). Möglicherweise freilich-
ist die&el))e schon aus der Feder Jacob Fbibdrich Lamprkchts, der
im Sommer 1736^ .aus England zinrückgekebrt, seit dem Beginn d^
Jahres 1737 die B^d^ktion des gelehrten Teils Ikbeniahm und bis
zu seiner 1740 nach Berlin erfolgten Übersiedelnng unanterbrochen
geführt hat. Lamihecht, der gleich Hama>'n nebenher eine mora-
lische Wochenschrift herausgab, war wohl zweilollos von allen
bisherigen Kedakteuren der bedeutendste. Vornehmer und mafs-
ypUer, wie Hawaitn, vielsdtiger,. wie. der jüngere Ln^oow^, witsig,
feurig und lebensfirischi wufete er sehr schnell .das; vernachlässigte
Blatt zu heben und bis zu seinem Abgange auf der Höhe zu er*
halten. Seine ganze Art ist am treffendsten gekennzeichnet in
einer gelegentlichen Äufserung über die Methode fler Kritik
(Bomb, dorrcsp. 1737, No. 162 {9. Oktober]ji: »Die Wahrheit ist
Übrigens unsere einzige Begel» nach, welcher w^ alle unsere Beuithei-
lungen abfassen.- Sie leidet keinen Achsel träger und man muTs sie
entweder ganz bekennen oder ganz verläugnen. Die Gülick ist nicht
nur bey der Gelehrsamkeit erlaubt, sondern unumgänglich noth-
wendig- Sie war es, welche den £ngeU|^ndein und 4en Franzosen
* VtktkH «nt 1737, wl« Im Bumbunj. ^hri/tiMkrlmam. 17. a SM «ngtfdMft.
Digitizcü by ^(j^j-j.l'^
— 110 —
die Bahn gebrochen, die Barbarey za verbannen and die Pedanterie
von ihrem Trohne zu reissen. Was hindert uns, ein gleiches Mittel
zu der Vei iilgunf? dieser beyden Missgebuhrten auch in Deutschland
anzuwenden? Die Wahrheit sollte zwar bey den Gelehrten nicht
das Schickt haben, "welches ihr bey den Uni«rständigen. begegnet.
Allein die Gelehrten sind nicht eben allemal diejenigen, welche am
wenigsten Verurtheile, Eigensinn, Stelz und Niederträchtigkeit
zeigen. Es wird uns inzwischen eine Ehre seyn, wenn wir alier
derer ihren Uass auf uns laden, die so gewinnet sind."
Wenn später gegen ihn von selten des GoTrocRnDschen Ehe-
paars in den Bdefen an UASTmtmsL der Vorwurf def Bestechlich-
keit eihoben, nnd er im fibrigen als ein durchans unwissender*
Mensch hinjxestellt wird, der sich in Hamburg unmöglich gemacht
habe, so .^iud das einfach Verleumdungen, hervorgegangen aus ver-
letzter Eitelkeit, weil Lamprecht ofenbar nicht mit genügender
Ansdaner in das grofee Horn des Meisters geUasen. Wie die mei-
sten begabteren jungen Gottschedianer war eben auch er, unter-
neuen Eindrucken, im Yerkehr mit unbel^ingenen Beurteilem, wenn
auch nicht in seiner Verehrung des Lehrers wankend, so doch in
dessen lärmender Verherrlichung mafsvoUer geworden.^
Erst unter seinem Nachfolger Zink kam es wirklich zum
offenen Bruch mit den Gottschedianem, zur entschiedenen Partei-
nahme för die Schweizer. Bis zu dieser Wendung aber, die 1744
einti-at. ist weder unter Hamann, noch unter Liscow, noch imter
Lamprec[it eine prinzipielle Stellungnahme in litterarischeu iragen
nachzuweisen. Zum Teil lag der Grund dafür wirklich dann, dais
sich die UrteOe. noch nicht genügend geklttrt hatten, zum Teil aber
auch, dafs man Scheu trag, durch roifsbilligende Äubemngen die
leicht verletzte Eitelkeit eines d^ Stnnmfilhrer im litterarischen
Deutschland, vor allem Gottscheds zu reizen.
Das gilt nicht nur für den Correspondenten, sondern auch von
der zweiten hamburgischen Zeitschrift, welche ein emotes Streben
> IIIRZEX. AtbrfdU 90H Outlen GedMM. m««nfeld 1883. 8. CCXXVII tteUt dM V«tliIltBki
tiicht ganz richtig dar.
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— III —
nach aulrichtiger Kritik hekundet« die „Niedersächsiathm Noßhinek-
ten'' in den Jabren 1729 — die wöchentlicli zweimal erschienen.
Sie brachten Berichte von den einzelnen Universitäten über Pro-
motioneii u. dgl., längere und kürzere Kritiken Uber die neuesten
EmbeinuBgen auf streng wiBsenachaftlichem und litteiarischem Ge-
biet, aniberdem hie und da kleine selhetlndige Aufeätae, v^reiBzelte
Gedichte.
Beide Zeitungen, der y.Correspondent"' und die ^Ni-edefsuchsi-
schen Nachrichten'' ergänzten sich, und seit der jüngere Liscow die
fiedaktion des enteren ttbemommen, fand auch zwischen den beider-
seiUgen Herauagebem ein reger kellegialischer VerkeSir statti (Vgl.
den Brief J. F. hSBC(fwn aii Gottschfd vom 26. Hai 1734).
Beide verfolgten das gleiche Ziel eim i vorsichtigen Haltung
gegenüber anerkannten Grofsen, wie rückhaltloser Bekämpfung der
notorischen Schmierer und Ignoranten.
Beide xiihlten zu ihren Mitarbeitern Fbifduch von HAOKDOiuf
und den Sltem Liacow.
Es ist wohl die Behauptung' aufgestellt worden, dafs der An-
teil Chr. Lüdwio Liscxjws an den „Hambiirgischen Journalen*
in den Jahren 1732 — 1740 ein ziemlich bedeutender gewesen, dafs
die Zahl der von ihm gelieferten Aufsätze gröfser sei, als die im An-
hang zur Sammlung der Satiren wieder ahgedruekten 84 Anzeigen und
Rezensionen. Eine genaue Prüfung der betreffenden Jahrgänge des
„CorrcsjMmdenten'' und der „Nachrichten^^ gibt aber dafür keinerlei
siciiem Anhalt. Ja noch mehr, auch von den erwähnten 34 Artikeln
gehören keineswega alle Liscow an. äie rühren zum Teil von un-
bekannten Yeriassem, zum TeO von seinem Bruder, zum Teil von
FniiDBicfi vov Haocdobn her; denn mit jener „geschickten* poetischen
Feder, von welcher man einige Stücke nach dem Geschmacke des
* UnprftaclMl V. d. T. ,JtUler»äek»isehe Neue Zeitunf/en ton gelehrten Saeken', Im Verlai; von
WIBMIIO« Erben. R«niaigre1)«T war CnB. Fk. LRtfSHRB. 1731 tritt LEI8SNER surOck. die Zvltunj;
wird n. d. T,: ^tHedenächtitckf Nackriekten wn gelehrte» Neuen Sacken' Im FELOINKRlschen Vertäfle
von J. P. Kon> fortgesetzt, dem es in «Inem Jahre gelingt, die Zeitung derartig hcrunterxuftringen,
daCi LEIBBNEB 173"2 wk'itcr die Redaktion Obornehmen muf* (vgl. din Vorrcile zum Juhri^aagf 1732)«
an deMen Stelle fOr die drei leisten Jahrringe llM-~ni6 CHR. M. UOLTzbkcuük tritt.
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— . 112
Herrn PoNTAiNff hat**, der der jüngere Lisoow in seineia eraten.
Briefc.au Gottsched die „iiecensionen der bevgehenden Stücke" zu-
schreibt, kann kein anderer gemeint sein als e^eii IlAGfii>ORÄ', und .
d|l jier.. Briefschreiber voraussetzt, Gottj^c^hed werde wohl erraten^
variim jsr j^lber sie nicht ge^chriel^ii haben könne» ver-
muten, da^ «1^ die äufserst fiKih^ieicheU|a^^IL BespcecSknngen der
Liscowschen Satiren sowohl im „Correspondenim'' wie in 4^
„Mediraächsischen Nachrichten'' Häu^düen^ Eigentum sind. '
J^vß bereits oben (8. 47) erwähnten Briefe Haosdorns an
WiLX^Nfii Tom ß. QJitober. 11^2 wiegen v(ir, d^» ersjterer sich gleieh.
bdm. Aiifti;eteii Ltboows anf dem litterarischen 8cbaiip}at2 lebhaft
für ihn interjeeslerte. Hit dem jüngem Bruder von der Universitfil^
her befreundet, war er vemutlich durch diesen auf das satirische
l^alent des iiltern aufuierksaui geworden.
Im Sommer 17B1 war er erst von £ngland heimgej^ehrt und
iQOplit^i .zQiqal, anfiugs un^r dein Dm&Qk vereitelter. Hofihimgen und
ernster pekuniärer Sorgen, ohne feste Th&tigkeit und dabei foif dep tftg-
liehenVerkehr mit einer zwar äufserst liebevollen Mutter, der aber jedes
tiefere Verständnis für die eigentümliche Liebens\vürdigkeit seiner
vsoi glosen Natur abging, angewiesen, sieh oft genug, hiniiussehnen in
dieFfepide» in der er sich Freundfi und 4>we)ien sa enii^ein gevu£B^
lu^tte. Die U^tteranseheii Verhältnisse m d^ Vlftterstwlt etsduenen
ihm dOfflig ^nd kl^ Hamanns oeue WoehensehHft ^tJkr. imT
nünftige Träumer'' war für ihn „insipide", ,,seitdem er die mora-
lischen englischen Wochenpapiere gelesen"'; zudem war er persönlicjb
mit dem Herausgeber zeriallen. ?iioch abschreckender schien der Ver-
kehr nutKo^His d^ Bedakteur der „ifiMfi&tir^jfi^^ j9<r(tfA^'''iW^cJber
ijbn |ür sein Blatt, denTummelpla^ der klägfiehsUniTalentlosigk^t«
-r— — ' •■ --r. .
*■ UAOBDOltX cd. £8CHSMBUBa. V. 8.24.
* ftJKinitoivMke AtrfeMt w» «mm ffMrtm AtelAi". nkrabrnr«, im Verlamo du V«rfiuiMn.
1732—1757, ÄufMrtich vorfplurt« die Zeitschrift dieselben Zwecke« wie die fiiitdfr»ii,ch*i*chen tlach-
ri^am\ mtt denen Koul ebeu abfewirtMbaltet bette. F«nBet oihI filnrielitaag-tat dteeeUw« der ]i|hntt
•ber iiiur eine Seoualuug kritiklos suMinnenfenifller Kerreapon^nBarttketi.obne Spar einer ^ioheltr
lichen redaktiouellen TbKtij^keit; uoch farbloser wie Att „C^Jrr«^p^>nttenl" uqiI die ^Saehriehln'^, HHTserdoui
aber mit <(inier, bedenkjlchea Veriiebe iOr Gelehrte vea Schtese PttlUJ'rie. TrotaihMn oder vielleicht
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— 113 —
SiTSRS und Philippi arbeiten u. a. daran mit, — vergeblifh m
werben suclite. Und schliefiFlich konnten Hudemanns (h dich fr. die
gerade damals erschienen^ trotz seiner freundschaftlichen tresinnungen
für den Ver&BFer als Menschen, ihm wenig Hespekt vor den poe-
tischen Talenten in seiner n&chsten Umgebung erwecken.*
^Ich erfobre dafs meini^e*', scbrid) er unter diesen Eindrucken
an meinen Bruder nacli AUdorf*), .und prodencke oft au die acadenii.^t he
Zeit zurücke, da man zwar Sorgen, aber von gantz anderer Art hat,
als die meinigen, auch aus dem Umgange mit manchem Bruder
Studio noch immer sich etwas Trost erhalten kan: wie Du leyder
auch SU Deiner Zeit erfohren wirst. Indessen bedencke ich oft, dafs
wir Fo wohl und fast mehr zum Verdnifs als Eur Freude gebohren
zu seyn sdieiiien, und man vorlieb nehmen mufs, bifs uns der
Tod schlachtet.
Nichts konnte unter diesen Umständen belebender und
erfrischender auf HAasDORir wirken, als das erste Auftreten
Lisoows.
Gerade bei seinem feinen Sinn für künstlerische Foriuvullendung
mufste er sich angezogen fühlen, sowohl durch die Ele^ranz und
Sicherhmt, mit welcher Lisoow die ästhetische Form der Ironie
durchsufuhren wufste, als durch den energischen, gedrungenen Stil,
in dem er seinen Gedanken Ausdruck lieh. Die ftische Keckheit,
mit welcher Liscow gegen die elende Skribentenwirtschaft der Sivebs
und der Philippi zu Felde zog, rührte eine verwcuulte Saite in seinem
Innern, und so entspann sich schnell zwischen beiden ein äufserst
reger Gedankenaustausch, der sich bald zu einer innigen Freund-
schalt entwickelte. HAasDORK tritt in der Hamburger Fresse als
Yerkfinder des neuen Talentes auf, er begrttfst den namenlosen
einsamen Satiriker in Lübeck als deutschen Swift in den ^.Niedcr-
säehsischen ^acftrkhten^' vom 27. Oktober 1732. No. 86. {Samnüu^^
* Frohen fin/jw Oedichtt nnd prwtixchfn Übm*'sttvffm. TTnnihnrp, 1732.
> „Die UuOEMASMichen Gedichte cn lesen rerbieten mir unil dir, HOBATICS und Cakitz.
fli« fted ipakttiwtett nad veriMM aqalwMiw In fswlHwii Stallen." (Fb. V. HAasDOMr in Cbm. U
H. HamburfT, 6. Mtn 17:^.'. V. Dr. LAFrRXnRKQWilim SaiMRilailV.)
* lo ilem in «ler vor. Anin. erwähnten Briefe.
LITZUANK, LiSCOW. 8
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— 114 —
Anhang No. 6).^ £benso rtthrt wabmheinlich von ihm her die An-
zeige des „sich selbst entdecJcmden X. Y. Z." in den „Niedersächs.
Nachr,*' vom 26. Oktober 1733. No. 84 (No. 3 des Anhangs); ferner
die Besprechimg ^et „üt^arthejfischen ünt^suchung'' in den „Nieder^
säeJtsisehen Nadarichten*' vom 4. Juni 1738. No. 43 (No. 11 des An-
hangs).* Ob die Rezension äer „Uf^partheifisehm UnUrsuekung" im
„Hamburg. Correspondmten" vom 22. August 17S8. No. 134 (No. 12
d. A.), die der „Sottiscs champdres^' im „Hamb. CorrJ* vom ö. Juni 1733
(No. lö d. A.) und der „Standrede'' im ,Jiamb. C&rr.'' vom 17. Ok-
tober 1783. No. 166 (No. 13 d. A.) gleiehfalls von Hagbdobn her»
rtthren, wage ich nicht zii entscheiden. Bei dem sichttichen Be-
streben aller Mitwirkenden, die PerFönKchkeit des Schreibers mög-
lichst zu verstecken, und bei dem um diese Zeit zu tage tretenden
Bemühen der andern Liscows Manier zu kopieren, ist es kaum mög-
lich, die Zugehörigkeit der einzelnen Artikel mit unwidersprechlicher
Bestimmtheit zu behaupten.
Zweifellos ist nur, dafs die scharfe Rezension der Schrift
„Abffestrafter Vorwits eines unhesonpenen Critici'' im „Hamb. Corr.''
vom 20. Mai 1733. No. 80 [So. 17 des Anhangs), der ..Krfracf eines
Schreibens aus Güttingen'^ m d(Mi ..Niedersächsischen Nachrichten"'
vom 10. Februar 1735. No. 12 (No. 22 d. A.), die Anzeige von
BosiiGABTs „Corpus juris'' im „Hamb. Corr,"' vom 4. August 1733.
No. 123 (No. 25 d. A.), die Kritik der RonioASTSchen Gegenschrift
im ^Hamh. Gomsp.'- vom 3ü. Oktober ITHH. No. 173 (No. 26 d. A.),
die Besprechung der MANZELschen „J}isstrtatio circulari.s'- in den
„Nieders. Nachr." vom 17. März 1735. No. 22 (No. 27 d. A,), die
Erwiderung auf Makzbls Beschwerde in den „Nieders. Naehr.'* vom
4. April 1735. No. 27 (No. 28 d. A.) und endlich der letzte Aufsatz
' Dio unt«>r No. 4 de» Anhnnr« iler ."fffTJim'«»«? «bircdnifklcn r? Aiizripeu von dni ...ini)i>'rlut>i/en
Über di« ZerHörung Jerumimu'' nnd der „ Vitrfa /racta* könntcu, JcdenfiUls die ent«, auch sehr wohl
vtm HAOKDOinv henllbreB; g«ntd« wegim d«r AiM|il«lnBtr auf SwiVT. Et Ist mir almr aldit s««
luiiv'cu, die Sfcllc zü finiti-ii, wii nie ancrst jjft'''ru('kt »ind. .'^o woit irli sctip, rtihi n sie wedrr im
^Ourrmtiondenten'*, noch in den .AocAricAl««*', auch in den „Geldtrttn Beriebttn' nicht, su denen si«
allardinga {hrem T«n« naeh aehlcaht paaaen wttntai.
* Die Wurmiii^' vor „»■ lipinburcn RelipiouMtiftttiriitn", welche »rhon In der Rezcnniun ileii
BrmUei auigcaprochen worden, und auf die biar noch etnaul Baxng irenonunen wird, i«t gnnda flir
HAOBOOWr 9tHa dMnkterlatlteli. VgL da« QcdMit Anmtrmm hat BacHBinimo m. 8. Ctt.
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— 115 —
gegen Manzel in den „Nieder. 'i. Xachr." vom 14. Juli 1735. No. 54
(No. dl d. A.) vonLiscow selbst geschrieben sind; er hat sich aus-
drflckllch in der Vorrede zur Sammhtng und in der neuen Vorrede
zu den Anmerkungen als Verfasser bekannt. Ebenso klar erhellt
aus der Korrespondenz mit Gottsched, diifs die Anzeige der Soffiscs
galantes im „Hamb. Corr/' vom 2(). Juni 1733. Ho. 101 (No. 16 d. A.)
und die Kritik von Puilippis „Maximen der Marguise von Sahlee" im
,,Hamb. Corresp." vom 25. Mai 1734^ No. 83 (No. 18 d. A.) von
Joachim Fribdrich ver^st sind; und ebenso hestimmt rikhren die
unter No. 2, 19 und 30 des Anhangs abgedruckten Artikel des
^.Corrcspfmflmtcv"' resp. der „Berichte^' von den Gegnern Sivers,
PiiiLirn und Manzel her.
Wahrscheinlich gehdren Liscow aber aufserdem noch der
^Ausjmff eines Sehreibent an den Verfasser der Nieders. Nachr.**
„mederä. iVäcÄr.« v. 20. April 1733. No. 31 (No. 9 d. A.)» und die
Rezenf^ionen von Philippis ..IWiftJrnhcr** im „Hamh. Cornsp."' v.
19, Januar, 1. Febr., 25. Febr. 1735. No. 11, lö, 32 (No. 32—34 d. A.)
Von einem der beiden Brüder mufs endlich die Anzeige von
Phiuppis „Cicero*^ im ,,Eamb, Corr." vom 4. Febr. 1735. No. 20
(No. 21 d. A. herrikhren (vgl. Vorrede der Sammlung S. 24. 32.).
Delixi 11 wage ich über die Autorsrliaft der unter No. 1, 4,
5, 7, 8, 10, 14, 20, 23, 24 und 29 des Anhangs abgedruckten
Artikiil des yfCorrcspmdcvtov' und der „M&iers. iVacAr." bestimmte
Vermutungen nicht aufzustellen. Davon aber, daTs Liscow sich noch
anderweitig als Mitarheiter an den erwähnten beiden Hamburger
Zeitungen beteiligt habe, davon habe ich, wie gesagt, trotz sorg-
filltiger Pri^fung der in Betracht kommenden Jahrgänge mich nicht
überzeugen können.
Nur mit einer einzigen Ausnahme.
In den „Niedersächsisehen NackrichieK" vom 3. September 1733.
No. tt9 findet sich ein „Äusgug eines Sehreibens aus Strafshurg v<m
* In d«a 5SM«r«. Nmtkritim IM noch ein ilcmllcli »ittor ntektloiwlter Znwli gcnacM, dar
tin Anbonv der SnmUung aielit mit BbgedTiikt wonlca.
8*
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— 116 —
24. Julius 1733.^ Es betrifft die am 13. Juli in Strafsburg erfolgte
ProiiKttion Hkrmann Adcilf Lk Fi^vres aus Lübeck zum Licentiateu
beider Rechte. Le Fävre war, wie wir wissen, mit Liscow
befreundet, dieses Schreiben aber erscheint sowohl was die
Energie der Sprache, Stil, und die meisterhafte Handhabung der
Ironie betrifft, den besten Stücken Liscows ebenbürtig, und so liegt
es sein- nahe, an Liscow als Verfasser zu denken. Als Probe mag
der Schhifs dienen:
„Es lehret die Erfahrung, dafs die güUlene Praxis auch die
Stümper nähret, und die beste gründlichste Theorie diejenigen, so
gar zu fest an ihr kleben, darben Ifisset Wer demnach klug ist,
hält es mit jener, und läfst diese fahren. Zumahl da diejenigen,
die sich hestrehen, von allen Dingen den Grund zu wissen, und
nicht wie diejenigen glückseehgen Geinüther, die zufrieden sind,
wenn sie nur von dem blmden Pöbel vor Kern-Leute gehalten
werden, alle Dinge von au&en ansehen wollen, sich ohne alle Noth
eine unsägliche Mühe machen .... Was hat der Herr Le FAvns
davon, dafs er sich bei seiner Disputation den Kopf so sehr zer-
brochen und sonst Sachen geleniet, die ihn so sehr von seinen
Brüdern unterscheiden? Seine Disputation bringt ihm nicht ein
Bephuhn in die Küche, und seine übrige Mühe ist gleichfiiUs ver-
geblich. Er hätte kürtzer zukommen können. Em leerer Kopf,
eine eiserne Stirn, das Lübeckische Stadt - lleclit , und ein wohl-
eingebundener „Mevius'* würde liinlänglich gewesen seyn, ihm in
seinem Vaterlande dasjenige Ansehen zu erwerben, zu welchem schon
so viele vor ihm durch eben diese Mittel gehmget sind.**
Im allgemeinen aber kann man nicht vorsichtig genug sein,
blo(^ aus der geschickten Verwendung der Ironie und aus einer das
gewuluiliche Mafs übersteigenden Gewandtheit im Ausdruck sofort
den Schlufs auf Liscow als VeriiBaser zu zieheu. Gerade in der
Hamburger Journalistik hat er, wie auch sehr natürlich» schneller
Schule gemacht, wie irgendwo.
H01.TZBBOHBR z. B., der Herausgeber der „Ifkders, Naehr.**y
verteidigt in der Vorrede zum Jahrgang 173G das Satirenschreiben
L.iyui<.LU Oy VjOOQle
mit Giünden, die fest wörtlich Lisoovs „ Unpartfieyiscker Unter-
such««^* entnommen sind.
Im ,JIinnhi(rf/isrht')i Corrrspüiidcnten'^ vom 22. Januar 1737
No. 13 gieitt Lamprkcht^ den kurländischen Staatsrat Theodor Ludwig
Lau in derselben Weise an, wie Libcow seine Sivbks, Philippi
und BoDieAST; ja er beruft sich ausdrücklich auf diese:
- „Man siebet aus allen seinen Werken» dals er sich der hohein
Schreibart bedienet, und daTs er eben dadurch von den welt-
beiüh inten Herren P . 0 . . und R . . sehr unterschieden ist.
Allein auch eben dieses hat gewissen klügelnden Leuttu Gelegenheit
gegeben, seine Schrifiten zu tadeln, und sie in der Ciasse der erstem
Helden obenan zu setzen" u. s. w.
Ganz im Stil Liscows ist femer die aus Schwerin datierte
Anzeige*, ein gewisser Gelehrter liabe einen Folianten im Manu-
skrn>t fertig: Vollständiges ScJtelt- und Sehhvpfwörierkxicon, in
fcdehem nicht aüein alle ScheUuförter der Deutschen ^ sondern auch
der Juden f Griechen und Börner und endlich aller itst hlühenden
VtXker nach oHphaheHscher Ordnung mtsammengetragen und mit
etlichen tausctid nemrf'midenen vermehrt sind von Skusmünd
Leonhard Wurm, P. C. L.'* Es wird bericlitet. das Budi enthalte
u. a. ein Verzeichnis derjenigen Gelehrten, „die sich sonderlich in
der Grobheit herfürgethan/ Seinen Namen habe der Verf. obenan
gesetzt und in einer Anmerkung versprochen „ehestens eme Samm-
lung aller derjenigen gelehrten Grobheiten herauszugeben, die er
jemals begangen habe." Die Sammlung solle übrigens „nicht über
8 Bände in grofs Oktav steigen.'' u. s. w.
Ein andermal^ ist es der derzeitige Kieler Ji^ofessor J. M.
KAüffeliv^, der wegen einer elenden gegen Gottsched gerichteten
Scharteke mit Philippi verglichen wird: „Wahrlich es gehöret viel
dazu, der erste unter den elenden Scribenten zu seyn, nachdem uns
* Urkniintlirli ist T.AMniKfllT Selbst Vprfussrr chior Satire, ■l'c s. Z. Aiifst-liun crregtCi
pMoruUsche uiul Satiri»che Sucfirichten aut dem Carliftudti in einem Schreihen an de» Herrn v, U. . , ,
«»jete m» . 17S6. 8v. leti babe aber bisher noch kein ExemplMr denellMii «attadeB kAnnen.
■ natnhurg. C<>rrefp<m>Unl. 1737. l'J. Ulrx. No. 46.
* Ebenda. 1738. 9. AprU. Mo. 57.
* BtMbufger BOtn/ültllerle^hm, Ul. S. 6271.
— 118 —
der Herr P. P. gewiesen, dafs man weder iSc iiaiule noch Verspottung
ln^merken mufs, wenn man zu diesem wichtigen Posten steigen will.
DieBer rtthmliche Mann bat bisher senien unerreichten Platz
wacker vertbeidiget, ganz DeutschUmd bat ihm Gerechtigkeit wider-
fahren lassen, allein er stehet in Gefahr sein ganzes Ansehen zu
verliehren, seitdem Herr Prof. K . . in sich so stark zeiget.'*
Auch Liscows alter Gegner Manzkl giht gelegentlich Stoff für
feinere ironische Satire*; M. werde seine Feinde allein durch seinen
Fleifs beschämen. Man habe ihn schon öfter einiger Mängel be-
schuldigen wollen, „allein er ist bey sich selbst vom Gegentheü
übt'izenjrt und dieser innerliche Trost niiifs manchen Scribent«n
beruhigen. Wer kann es allen Leuten Hecht machen, und zumal
solchen, welche der gegenwärtigen Gewohnheit beständig nachgeben,
dafs sie die Sachen, welche zur Gelehrsamkeit und zum Verstände
gehören, aufs schärfste untersuchen.* u. s. w.
Auch Lamprechts Nachfolger Zink bedient sich hin und
wieder der ironischen Satire mit Glück.
Als die Erfuiter Poetin Jgfr. Zäuneman» ihr satirisches
Gedicht ^Die von den Frauen ffqmtschte Laster (Frankfurt und
Leipzig, 1739) „Gott und der vernünftigen Tugendhaften Welt"
gewidmet, bemerkt er trocken* die „Gewohnheit dem lieben Gott
ein sihlechtes Buch zuzueignen sei sehr alt; soviel wir uns aber
besinnen können, so ist ihm noch kemc butyre dediciret worden."
Ganz an Liscow ennnert die Besprechung des 3ten Teils von
^Ver EwTiipmsehm Höfe Idebes" und JBddmgesehkikte^ ,^
Bei Gelegenheit der Besprechung^ einer elenden Wochenschrift;
„Der heäüchtliche Freymäurcr'' vou einem gewissen Tentzel', ^Yobei
auch überhaupt gegen das Unwesen, das mit derartigen Unterneh-
mungen damals von unfähigen Ignoranten getrieben wurde, geeifert
* Emikitg. Cvrm^mdM. 1739. 1«. Oktobcf. Ho. 1<$.
* BiMlldl«. 1740. 9. Januar. No. 6.
* n 1740. 14. JulL No. 114.
* » 1743. 17. Min. So. 44.
* SutHhurgtr Sehri/MtthrletUm. TII. S. 072.
._^ kj o^ -o i.y Google
— 119 —
wird, heifst es, Tentzkl verspreche ein „glücklicher Nachfolger
Philippis*' zu werden. Gerade an dem Tage, wo die Nachricht
von Philippis Tode eingelaufen^, sei das erste Blatt ausgegeben
worden „das Eeich der kleinen Geister kdnne sich daher
tlü^>ten: PHii.tiii.s (ieist ruhe zwiefältiu auf T."
Diese heraut^gegiitieiieu Proben mögen genügen, uni den Ein-
fluß LiscowB auf die Hamburger Journalistik zu charakterisieren.
Wie man sieht, ist er ledigtich efai formaler, nur seme Technik wird
nachgeahmt) eine Verfolgung oder Vertiefung seiner Ideen Yom
Wesen der Satire überhaupt findet nicht statt. Über eine Bekäm-
pfung; der elendesten unter den elenden Skribenten kunnnt man auch
hier nicht hinaus; Leute, die sich über das Niveau eines Philippi
und SivBBS erheben, sind im allgemeinen sicher Tor dieser Satire.
Was nun Liscows eignen nachweislichen Anteil an den
erwähnten Hamhurgischen Zeitungen betritt, so gibt diese journali-
stische Thätigkeit keinerlei neue Gesichtspunkte für seinen schrift-
stellerischen Charakter. Nur dafs bei dem Kezenseuten die
Gedankenarmut fast noch stärker hervortritt, wie bei dem Pam-
phletisteu. Die Objekte sind auch hier die Dämlichen, wie dort,
SiVEBs, Philippi, MANasL, zu denen sich als vierter Bodioast
gesellt, ein halbwahnsinniger Student, von dem Liscow selbst
zugeben niufs, es {^esciiehe ihm zu viel Ehre mit Siveks und
Philippi in einem Atem genannt zu werden. An und für sich sind
die Aufsätze, abgesehen von dem unter No. 22 abgedruckten
^Extraet eines Sekreibens aus G&Hnffe»'', mit der Liscow eigen-
tfimlichen Schneidigkeit und Präzision des Ausdrucks gesehrieben,
und auch den meisten fehlt jene epigrammatische SchUifswendung
nicht, durch die er in den Satiren oft so grofse Wirkung erzielt,
die aber am Ende durch die stete Wiederholung an Beiz verliert.
Unter der Abneigung, seine satirischen Angrifle auf neue
w&rdigere Objekte zu richten, mufe naturgemftfe auch allmählich die
* bo Hin 17iS TwrbfiBSiel* tleh du üilialM Owllehti PHlum atl In WaMhelm sutorben.
VgL JTMufritrf. BerMU». 1742. 2. UUz, Ko. IS.
u^ kj, i^cd by Google
-- 120 ^
Entwickelttng seines Talentes nach der formalen Seite hin leiden.
Die FlUugkeit, den Ausdruck zu variieren stumpft sich ab, und die^
Kunst wird zur Manier.
Ein erfreulicheres Bild von Liscows jumiialisti^cher Thäti<ikeit
würde mau vielleicht beküninien bei der Dmx'hiuusteruuj; der
betreffenden Jahrgänge einer dritten Hamburgischen Zeitung, der
^JPrwUegirten hamburgisehm AMieigm*'\ an denen er der Tradition'
nach mitgearbeitet haben soU. Es ist dies eben jene Zeitung,
welche der jüngere Liscow wahrscheinlich redigierte, und in der
Hagedorns ., Versuch einer Abhan^hirnj von den Gesundh iten uttd
TrinkgefäfsiH der Älten''^ erschien. (17Ö7. 1. Febr. Nn. 9.)
Leider ist mir nur der erste Jahrgang (1737) zugänglich
gewesen, der .wenig Ausbeute liefert, und an dem eine Mitwirkung
des ältem liscow vor dem 7. März d. J. von vornherein ausge-
schlossen ist, da er erst frühestens Ende l'el)riiiir von seiner ver-
ungUickteu Pariser Mission zurückgekehrt sein kann. (Bis zum
21. Februar war er noch in Rotterdam: IjIsch, S. 79.)
Des litteraiische Teil der Zeitung setzt sich in jeder Nummer
zusammen aus einem meistens 3 — SVs Selten umfassenden grOfeem
Artikel über populärwissenschaftliche Themata, der allemal an der
Spitze des Blattes steht, und einer Kubrik am iSchliifs: „Neue Bücher'' t
kurze Anzeigen der neuesten Erscheinungen enthaltend.
Von jenen gröfsem Aufsätzen sind aber die wenigsten Originale;
die Mehrzahl sind Übersetzungen aus dem Englischen und Fraozd-
sischen. Besonders stark sind benutzt der „Spectaior* (die in Ko. 6 ans
dem yßpei'tator^ (183) übersetzte Abhandlung Ai>i>ihuns „Vim- die Fabel''
• ^PrirUriirtf llimhtir'ii^ctif Anifi^rm" IT'^T. 1". Sie erschiriicn zweimal wfichontHoli, aufangs
Iiu-notagH uikI Freitag»; HpAtor Mittwochs aiiü £>uuuabeuds. Die Uunbtuger Stadtblbliolbvk besitzt
Dur die JalirglnK« 1787 n. 1764.
»Eahat sich noch ein htimnrIstlscJi nh'.-pfufster, von 3. F. T.isrow, F H.\f;^EDORN um! CONRAD
KÜ2tIl« (deoi Vcrk'yer ilcjr „Anzfi<jen') unicrzcichuctcr Verlrag erhalten, datiert vom 3. Januar 1737,
In weleh«ai KdMOt d«r w«g«ii mla«r K«igiiiif, mf Mtann Olngm tlcli iMKiweliwBti«B, nie sur
rerfitcti Zelt kam, sich vfrptlictitf t, den beiden ri( iuii!cn L. und II., welche „iiowohl der II<-rT JOACHIM
FtUKUK. Liscow J. U. C. ala FjUEDBICH HAUEDORK, d«r eugltacbeo CoiuiMguU Secrrtiirlus" „lu
d«r Inte1|{(ein-An|(«|ag«iiliaH' Ihn «McdermliiiiSrlldi su helfen und mit dem Kopfe anKleleh alli-
lieber, idi ende»untcrschriebener mit meinen FfiTsi n /n iirliritcii sirti i rkl.lrf t", für j< lU' zu einer
Kuuftreuz bestimmte uiid von ihm nicht eiu^ehaltcneu Stunde „ein Quartier wohlgclnneckcadea
Khetaiweiiia vnA iwur »och deuclMtOk Tair Im Baktikeller" «Auf meliM Kotten iv nteben*. (Ab-
ichrift In LAPPRXBBSOt Baunlnas.;
._^ kj o^ -o i.y Google
— 121 —
yielleicht von Haobdorn?) und von den Franzosen Rollin und
HimTius. Äufserdem finden sich Übersetzungen aus Volt aibes ^Lettres
surtes Anglms'', Montesquieu {„Leifrcs prrsanes*'), St. Evjikmond, de
liA MoTHE LE Vayer, u. s. w. Dagegen ist die eiiglisclie Lilteratui*
— vom „Spectator"^ abgesehen — nur durch eine einmalige Übersetzung
aus LiTTLETONB „LäteTS from a Fersian in England*^ (No. 12) berttck-
sichtlgt.
Ob und wie weit nun Liscow an diesen Übersetzungen be-
teiligt, ist mit Sicherheit kaum zu bestimmen. Für seine Teilnaliiue
spricht seine Übersetzerthiitigkeit in den folgenden Jahren (vgl. oben
S. 9dl), sowie der Umstand, dafs er damals in ziemlich bedrängter
Lage in Hamborg sich aufhielt
Vetmutlich röhrt der gröfste Teil der Übersetzimg aus
den „IlKf ftanis'^ von ihm her (es sind im ganzen 12 Suu kc die
jedoch nicht alle von demselben übersetzt sind); ('l)enso bin ich
aus stilistischen Gründen geneigt, ihm ein Stück aus Giceko De
offieüs III. „Gedanken des Diogenes und Antipater von der Aufrich-
tigkeit im Handel** (No. 72, 10. Septbr. 1737) und drei Totenge-
spräche aus dem Lucian: ^ufo und MfrcuriuSj Terpheoti und PtutOf
Zenophanks und Cüüidctnides (No. 75, 20. Septbr. 1737) zuzu-
schreiben.
Von den wenigen OriginaUuifsätzen gehört ihm vielleicht eine
Parodie, von der eme redaktionelle Anmerkung meint, sie scheine
auf die unglflcldichen Nachahmer der Lehrart eines 'be-
rühmten Woltweisen, nnd die grkün.stelten Schulzienathi'U einiger
Kedner gehen zu sollen, unter dem Titel: ^.Zusammenhang nichtiger
Wahrheiten f in einer «m Jahre 172d gehaltenen systematischen
JRedOt heg der Beerdigung des vielen Unbekannten Johannes Auge
Sl^porum Dispositoris; ex MS.**
Von den kurzen Bücheranzeigen wird auch einiges ihm zuzu-
schreiben sein, besonders eine kleine ironische Notiz über die
„Nova curiosa publici juris facta'' vom 1. Juli 1737. (No. 55.
12. Juli 1737.)
Digitizcü by ^(j^j-j.l'^
lY. Das Yerhältuis zu Gottsched.
Die Vorrede zum Lonpn. Journalistische Thätl^keit an den
„Dreaduischen Nachrichten". ,
Es ist so viel über die Beziehungen Liscows zu Gottsched
gefabelt worden, dafs es endlich an der Zeit scheint, das Authen-
tische festzustellen.
Vor allen Bingen ist Li8CN>w kein Verehrer, oder gar Freund
Gottscheds gewesen, ebenso wenig wie Frikdrich von Hagudorn;
beide sind vielmehr nie über eine gewisse fi:eiiiesi;eiie , küble Aner-
kennung der imleugbareii Verdienste Gottscheds herausgekommen.
Letzterer hat es freilich nicht daran fehlen lassen, sich
gerade diese beiden geneigt zu machen, so hochmütig er im allge-
meinen auch auf die „Niedersachsen** herabblicken mochte. Allein
gerade dieser Schulmeisterton, den er als „Obersachse** ihnen gegen-
über anschlagen zu dürfen glaubte, ist ihm lui Norden ebenso zum
Verhängnis geworden, wie im Süden. Wie Bodmer und seine
Freunde trotz aller scheinbaren demütigen Unt^ordnung nie die
Autorität des Leipzigers anerkannt haben, ebenso wenig hat Got^
6CHBD in Norddeutschland, speziell in Hamburg, recht festen Fu(is
fassen können. Die Autoritäten des Hamburger Kreises Bichbt
und Beockes fühlten sich Manns ^^enug, auch ohne die Direktive
von Leipzig aus den richtigen Weg zu finden, und diese Gesinnung
der alteren Generation teilte sich auch der jüngem mit Es ist .be-
bigiiized by Google
— 123 —
zeichueiul für die Stimmung in Hamburg, dafs schon 1732 Haok-
DORN, der ja stets so iaoge wie möglich ein Äzgernis zu Termeiden
suchte, seinen Einflufs aufbieten mufste, eine Rezension des „Cbto'
zu unterdrücken, welche „voller Anzaglichkeiten und personalissima**
war*, und dafs die Bü-siuechuug , welche er dann selber für die
„A7£Y/m. iVacAr." (1732. 29. Sept No. 7b) schrieb, beiuem eignen Aus-
drucke nach zwar „glimpflicher*' war, aber immerhin keineswegs unbe-
dmgtes Loh spendete. Es ist ebenso bezeichnend, daTs Lamprbohi,
der als fiinatischer Gottschedianer nach Hamburg kommt, dort
verhcältnismäfsig sehr schnell abkühlt.
Anderseits darf man freilich auch nicht vergessen, dafs KoNHiü
Einfiufä io Haniburg immer noch bedeutend war, und dais dieser
liaturgemäls alles aufbot, seinen Gegner dort nicht emporkommen
zu lassen. Aber diese kühle ablehnende Haltung tritt nicht in
Hamburg allein zu tage. Genau derselben niedersächsischen Steif-
naikigkeit begegnet Gottsched 1742 ancli in Greifswald bei
seinen Versuchen, die dortige deutsche Gesellschaft für seine Zwecke
gegen die Schweizer auszubeuten: Gotischkd hatte sich für das
Lob, das ihm in den j^CriUsehm Versuchen'^ gespendet worden, wie
es scheint, sehr überschwenglich bedankt. Dieser Dank wird höflich,
aber bestinunt zurückgewiesen. Mau lobe, ^Yas eben zu loben sei,
die unparteiische Anerkennung des Guten, ohne Rücksicht auf die
etwaigen Folgen, sei Pflicht; wenn man „bey solcher unparteyiscUeu
AufRihrung" so glücklich sei, auch in Zukunft Goitcschbds Beifall zu
geniefsen, sei die Gesellschaft reichlich belohnt.*
Und noch kühler tritt gleich von Anfang an Lisoow Gottsched
gegenüber. Ohne ungezogen zu sein, konnte er kaum auf die unaus-
gesetzten Versuche Gottscheds, mit ilnu iu freundschaftlichen Ver-
kehr zu kommen, auf die erteilten« Lobsprüche anders antworten,
als in dem emzigen uns erhaltenen Briefe vom 28. Januar 1735.
(Danzbl S. 235; wieder abgedruckt unten im Anhang S. 154.)
' U. Br. an WlLCK£KS todi 3. Oktober li:i2. (Hamb. Stadtbibl.)
* Belirelben iler KOalyl. deuUehm GeMltoobaft in OrellbwaM mn OOTTSCHKD ▼«m 34. Vor.
1742. (LelpB|g«r SrnnlnnirO
Digitizcü by ^(j^j-j.l'^
— 124 —
Wie war iltm Gottbched entgegengekommen! Zunächst ist
dieser es, der den Briefwechsel mit Joachim Fubdrich anknüpft: er
bedankt »ch fQr die Haltung des „Corresponämim'^ in der Sache
mit Philipp! (s. oben S. 115 ii. Anhang S. 148). Der jüiifieie
Liscow erwidert mit der ganzen höflichen Suade eines Kedakteurs,
der einen Mann «mit l^amen'' als Mitarbeiter zu gewinnen hofit.
Ana dem zweiten Briefe erfiediren wir schon, dafe Gottschbb
in seiner Antwort den Verfosser der Satiren gegen Sitsrs und
Philippi (Ober dessen Persönlichkeit er noch im unklaren) sowohl
wie den jüngeni Liscow zum Eintritt in die Deutsche (üescllschaft
aufgefordert. Liscow läfst durch seinen Bruder für die JEhre
danken; auch letzterer lehnt höflich abl Und zwar mit so
übertriebenen Ausdrucken der Selbstunterschätzung, dafs man an
ihrer Aufrichtigkeit zweifehi mufs. Die Frage, ob die Mitgliedschaft
der „teutschen" Gesellschaft in Jena nicht von der Ehre, der
^deutschen" Gesellschaft anzugehören, ausschlielse, ist offen-
bare Ironie. Wie Liscow in Wirklichkeit Ton dem Treiben
derartiger Gesellschaften — ob mit Recht, ist eine andre Frage —
urteilte, erhellt am bestem aus jenem „Dmksa/f ungssehreiben an die
kutsche Gesellschaft in Jena'' vom 12. Februar 1734, welches
Helbio zuerst veröüentlielit hat* (S. 28 if.). Die Motivieninü- seiner
Weigerung Gottsched gegenüber: er sei der Elire nicht würdig,
findet die treffendste Illustration durch die den Jenensern erteilte
Antwort: auch , hier erklärt er sich nicht würdig. Hier aber liegt
die Ironie klar zu tage, dort ist sie aus leicht erklärlichen Gründen
versteckter, daniin aber nicht minder beabsichtigt.
Nicht.s dest(t weniger erneuert Gottsched, wie wir aus J. F.
Liscows drittem Briefe vom 10. April 1734 sehen, nochmals sein Aner-
bieten; er wird abermals abgewiesen, erhült aber die tröstliche Zu-
sage, die Brüder würden sich, wenn sie sich würdig fühlten, nun
' Xf;l. dazu mich die ÄufMruns HAOBDOBKf Aber die Leipziger d. Ocgelldcliari in dein Brief«
an Liscow vom 28. XII. 17 (IlKLIilU 4>): „Von« y frouvcrc» Ica (icpositnlicg de tout Tesprit
et de tout le goüt de« ancicii» et des mutlcrnes qui [>ar tiuc iiiodestie saus ixeiiiplt: bontent fto
•linpU nom d« 9otMii •Uemande.*'
Digitizcd by Lit.jv.'vi'^
— 125 —
von selber melden, darin liegt aber auch zogleich die hdfliclie
Bitte, sie in Zukunft mit weiteren Anträgen zu verschonen.*
Der vierte Brief vom 26. Mai 1734 zeu^t von dem fortge-
f^etzteu Bestreben Gottscheds die guten Beziehungen zu er-
halten. Er hat einen Aufsatz gegen Heuhank in Göttingen für den
^Oorrespondenim^, gesandt, der jedoch ^'egen Baimunangels nicht
dort, sondern in den „Nieders. Naehr^ zum Abdruck gelangt ist.
[^Nicdcrs. Nachr.- 1737. 24. Mai No. 40.)
ÄU8 dem fünften Schreiben vom 29. Januar 1735 i^elieii wir. dafs
eine kleine Verstimmung eingetreten wegen einer unbeabsichtigten (?)
Kränkung der Madame ZiEOLEn, und eriahren zugleich, dafs der
ältere Liscow bis jetzt noch keine Zeile direkt mit Gottsched
gewechselt hat; nachdem mehr als ein Jahr seit des letzteren
Auri{*i(leiimp, sich um die Aufnahme in die „Deutsche Gesellschaft"
zu bemühen, verflossen.
Liscows dies lange Schweigen entschuldigender Brief, vermutlich
überhaupt der einzige, den er je an Gottsohed geschrieben, datiert
Tom 28. Januar 1785.
Aufs neue hal ibni t .ottschki», diesmal direkt, einen Antrag
gemacht: „einen deutschen bpectator abzugeben" — ein Vorschlag, der
übrigens Gottscheds Scharfblick alle Ehre macht, — und aufs neue
wird er damit höflichst abgewiesen. Die überbescheidene Zurück-
weisung der Lobeserhebungen ist nicht ohne eine kleme Beimischung
von Ironie.
Von da ab scheint ein Verkehr zwischen Gottrchep und den
Brüdern Liscow nicht mehr stattgefunden zu haben.
Da Lisoow im Jahre 1735 verstummte und kurz darauf ins
Ausland ging, scheint Gottsched ihn aus den Augen verloren zu
haben. Erst im Jahre 1739, als die ^Saimllms^ der Satiroi er-
* Wm den In Jenem Briefe crwjhnten Anfvalz über SlVRBs nnappetitlichc Afflaire in der Ltt-
bedwr JaeoUkIrelM balrlffit, w> mSeiiCe Ivir ksmi gtadlieii, imtt er von LMCO« heitlihrt. l!h«r tat
vielleicht an eine der riUhtntureii zu «lenken, welctie Hagedorn auf diesen Vorgang verfertigt
hatte. (Vgl. Pott iu der Vorrede sn der ^Unmötkigktit der guten Wtrkt tur Smligkeif S. XXIV f.)
]n d«ii »Üiwf/ W iitfwifii 2rffiMpii* staht er nldit.
kj i^uo i.y Google
— 126 —
schien, wandte er ihm seine Aufmerksamkeit wieder zu, diesmal aber
eine keineswegs wohlwollende.
Die Veranlassung zu dieser Wendung war die „neue Vorrede'*
zu den „Anmerkungen in Form eines Briefes', in welcher Liscow
gegen gewisse Äufseningen des Pröpsten Reinbeck in Berlin
in dessen „Betrarktunf/oi über die au(jshnrgif!chp Confrssion^* polemi-
siert. Rbinbeck angreifen war aber gleichbedeutend mit einem
Angriif auf die Woi^iTSche Philosophie, zumal da Liscow in seinen
Bemerkungen Aber den „piimipilaire" der Alethophilen^ mit unver-
hohlener Ironie von dessen Bemflhungen, „den RelfgionswabTheiten
und den (leheimnissen unseres Glaubens den Anstrich einer philo-
soidiischeu Gründlichkeit zu geben", gesprochen. Sofort wird im aletho-
philischen Hauptquartier der Krieg gegen den Beleidiger beschlossen.
Am 13. Oktober 1739 schreibt UjiSTSümsh an Fnu Gottscheb:
„Votts avez vu sans doute certain recneil allemand de toutes
sortes de brochures, la plus part satyriques, de la fa^on de X. Y. Z.
l'aine et vous y aiirez apparenmieut remarque certaine preface
critique, farcie de traits plus malins que solides contre quelques
endroits des meditations sur la c, <f X Or comme U ne conviendroit
pas ä notre ami R. d'y repliquer et d'y repUquer surtout, oomme il le
foudroit, sur le mSme ton; ne pourriez tous pas faire en sorte, que
X. Y. Z. le cadet (d. i. Frau Gottsched) donnat un peu sui* les
doits ä son ain^."
Ehe der Brief abging, war aber auch schon in Leipzig Alarm
geschlagen worden. In einem Schreiben Gottscheds vom 10. Okt. 1739
(bei Danzel S. 236, Jedoch unter &lschem Datum) nennt dieser den
Sünder mit Namen, „der bekannte Liskov", und frägt an, wie
Heinbeck denselben zu bestrafen denke. Daher die Nachschrift
Manteitffels (in dem eben erw. Brief vom 13, Oktober): „Nous
avons lu la satyre de Lischko. Mais B. ne daignera jamais se
mesurer luy m^me avec cet homme lä." Er werde aber schon
Gelegenheit finden, ohne Namen zu nennen, sich wegen der ange-
fochtenen Stellen zu erklären.
> VgL DAXKL 8. 39 It.
Digitized by Google
— 127 —
Allein ^X. T. Z. der jüngere*^ ist keineswe^ unbedingt bereit,
seinen altern Bruder zu züchtigeu. „M. X. Y. Z-, schreibt, am
15. Oktober 1739, Frau Gottsched an Manteuffkl zurück, sei
zwar „das Herz noch eiomal so grofs geworden**, da er erfahren,
«dafs man ihn der Ehre wfirdiget, einen so grofsen Gottesgelebrten
al8 H. B. gegen seinen Esau oder altem Bruder zu vertheidigen,*' aber
so yerdanunlieh es sei, „dafs ein solcher Scribent, der gewohnt
d'avoir les rieurs de son cote, einen Manu wie H. neben einen
Manzel zu setzen wage", so müsse sie doch gesteheu in der Sache
selbst habe Liscov recht, wenn er gegen Beinbeck behaupte, „die
Vernunft könne vom Stande der Unschuld nichts wissen.'^
Offenbar scheute sieh auch die kluge Frau, mit dem ge-
fährlichen Spötter au/ubinden. Daniutlim sclieint man den Tlan
aufgegeben zu haben, aber das üoTTSCHEDSche Ehepaar war viel
zu sehr darauf bedacht, Mastbuffel einen Gefallen zu erweisen,
als dafs sie nicht darauf gesonnen hätten, ohne selbst ins Feuer zu
müssen, ihm ein Bftstzeug' zu Yerfügung zu stellen.
Ein solches wird denn auch schliefslich gefunden in der Per-
son eines jungen Schülers von Gottsched, Namens Landvoot. Am
19. Dez. 1739 meldet Gottsched dies an Manteuffel und bittet,
Eeinbeck möge nur angeben, „was er eigentlich zu seiner Verantwortung
, gesagt haben wolle, dann könne die Schrift in 14 Tagen erscheinen."
Im Hauptquartier wird der Vorschlag acceptiert, Beinbbok
verspriclit eine Instruktion zu entwerfen, nur dürfe die Verteidigung
selbstverstiindlich nie durchUicken lassen, dafs sie von Reimjeok
beeinflufst sei. (Mantsüpsel an Gottsched 16« Januar 1740.)
Aber wider Erwarten zieht sich die Fertigstellung der Schrift
sehr in die Länge. Um Ostern (12. Mfirz 1740) teilt Gottsched
mit, sie solle in Form eines Schreibens an Liscow abgefafst sein, das
berichte über eine zwischen drei Personen stattgehabte Unterredung,
einem Verehrer Keinbecks, „einem aufgeweckten Offizier" und dem
Verfasser selbst, der zum Schein Liscow verteidige. Im April ist
endlich „der junge Anti-Liscow'*, wie er in den Briefen stets ge-
nannt wird, mit dem Anfang fertig!
Digitizcü by ^(j^j-j.l'^
^ 128 —
Aber sowohl nacb' Frau Gottscheds Urteil, wie nach dein
Manteüffels ist es ihm nicht sonderlich geglückt. MANTEüFFKii
erklärt offen (26. A]uii 1 740) der ,..junp:e Athlet" habe seine Kräfte
überschätzt, er sei einem „Champion aussi goguenard et mordant"
wie LiBcow nicht gewachsen. „Lorsqn'on veut entreprendre nn
raiUeur de profession, il &Qt, qn*on soit hlen sdr de saYoir mieuz
railler que luy, antrement on u'y gagne que de la conftision.'*
Trotzdem berichtet Frau Gottsched am 30. April 1740, dafs
man beschlossen habe, ihn foitfiahren zu lassen. Am 4. Mai schickt
Gottsched die Fortsetzung an Maittbüffbl: eine mittelmäfsige
Verteidignng Reinbecks sei immer noch besser als gar keine (!);
wenigstens werde „dem guten Spötter manche derbe Wahrheit darin
gesagt."
So schreitet die Arbeit langsam fort, auch Manteuffel er-
klärt sich schliefslich für zufrieden, nur tadelt er, dafs der ,Aüti-
LiscoW so yiel Gitate einmische. Worauf ihm denn aber Gottsched
erwidert (5. Juni 1740), das geschehe „seinen Helden zu yerspotten,
der es eben so m machen pfleget; es reime und schicke nch nun
ofler nicht." Übrigens werde die Schrift „dem guten Liskov zu
einer merklichen Züchtigung dienen."
Mit dieser Erklärung ist denn auch MantbvffeIi zufrieden,
dagegen entdeckt er plötzlich (16. Juni 1740), unter der Arbeit
habe der VeriksBer sein eigentliches Ziel, Rbinbeck zu Terteidigen,
bisweilen aus den Augen verloren, „et qu'il fait le petit prevarica-
teur eu attaquant luy meme la cause qu'il devoit plaider!"
Gottsched erwidert darauf (3. Juli 1740), das könne aus
Versehen geschehen sein, Absicht sei es nicht gewesen!
Aber es ruht auf der Schrift überhaupt em Unstern. Denn
als sie nun wirklich fertig, bereits in der Druckerei ist, da tritt
ein Zwisclienfall ein, der ihr Schicksal besiegelt.
Am 2d. Oktober 1740 schreibt MAMTBUiTsi. darüber an Frau
Gottsched:
«Je commence k douter qu*il seit consilii de publier presente*
ment la brochure Anti-Liscovienne, quoiqu'eUe seit, depuis long-
Digitized by Google
— 129
tems entre les maine de rimprimeur; La raison en est^ quo Liscau
a trouT^ je ne sai quel moyen de s'engager au Service du c. de
Trüchs, qui etait Knvoie de cette cour cy ä celle de Hannovre et
qui est une espece de favoris redoutable eu rc i)ay c y. Vau« com-
prenez bien, que ce seroit exposer la bouna cause au ressenüinent
de ce favoris, si Ton publioit un ouvrage si asfioniiiuuit contre un
bomme qtt*il protze et qu'en dit qu'il a afiectionn4 extremement.**
Damit ist die Sache abgethan, der Wetterstrahi der fo lange
dem uhiiangslosen Liscow Tod uud Verderben gedroht, war unschäd-
lich in die Erde gefahren.
£b ist aber eine eigeutüniUohe Ironie des Schicksals, da&
nicht lange darauf in ganz ühnlidier Weise sich von der Lisoow-
chen Seite her über Gottscheds Haupt ein drohendes Unwetter
zusammenzieht, das jedoch weniger harmlos sich entladen sollte.
Freilich war es auch in tüesem Fall nicht Liscow, der die
Initiative ergriff. Wie bei seinen Pläuiceleien mit Sivsas und
Philippi kam ihm die Anregung von aufsen.
1741 war Liscow in Sächsische Dienste getreten, snnfichst
als Privatsekretär BbOhls, s^t dem JaU des Jahres lebte er in
Dresden.
Nun gab es aber vielleicht keinen Ort in Deutschland, wo
Gottsched bitterer gehafet wurde, wie gerade Dresden. Kösio,
und BaüHLS ehemaliger Privatsekretär Hbineceen, der Sohn
jener LObecker Familie, mit welcher Lisoov so befreundet gewesen,
der i'bersotzer de^ „Longin'' \ lagen förmlich auf der Lauer, dem
Gegner eines zu versetzen. Auch Beühl war ihm nicht gewogen;
warnt doch der jüngere Haoedobn gelegentlich seinen Bruder,
nichts in den ^SektsHffwngeH* drucken zu lassen, »welche vom
Ministre in Drefsden und sonst so wenig goutiret werden, dafs du
dich und per reflexionem mich, einem gewaltigen: Qu'en dira-i<»n?
> ächou ia der erMen ABflag« der Üb«r««txung des ,l/mgin', 1737, haU« HkimbCKEN
OOTTBCRKD angtcrUTen ttnd tt. «. «Um«) SUMcihmf 4«r 8e1weibMn«n« «1. t» dl* natOilteti« nd
aiedri(!e, 2. in die gliinrriche, ^lo^p, »chnrfsiTiTiIpf" iiiul !?el«tr«iche, .*{. in die patlK^tinche, feurige affoc-
tiiÖM oder heffiiffe", mit Recht als eiueu „Migdimascii" bezeichnet, worauf in den «Cn'<. Btytrvgm*
V. 8. lOB tt. ein« sf«ndiek acluiyf» Brwtdaraiiy wfUgt wv.
LiTSMAim, Liscow. d
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— 130 —
aussetzen wflrdest.**^ Und auf der andern Seite stand der Ho^edlgev
Mavcpesobs, welcher Gottsched als Erz-Wolffianer wie den Gott-
seibeiuns verabscheute.* •
Wie schnell in dieser Atmosphäre Lis( ow aus einem ziem-
lich gleichgültigen Zuschauer bei den die schöne Litteratur be-
treffenden Streitigkeiten sich in einen eifrigen Parteigänger der
Dresdener Clique gegen Gottsckeb Terwandelte, bezeugt äufserst
charakteristisch der nachstehende Brief an Fbiedbioh y. HAannoBN
vom 24. Dezember 1741.* Es handelt sich um eine Stelle in der
Vorrede zu Hagedorns „ Oden und Liedern", welche damals gerade
erscheinen sollten. Unter den dort erwähnten Mustern deutscher
Odendichter hatte HAaimoiui auch Gottschbb genannt, nachtrSg-
lich scheinen ihm deswegen Zweifel aufgestiegen zu sein, und er
hatte si(h deswegen au Liscow um Kat gewandt. Darauf erwi-
dert diet^er:
„Permettez moi de vous dlre, que j'ai et^ un peu esbabi de
Toir en peine pour si peu de ehoses un homme si riebe en helles
inventions. Het de par tous les diables rayez le nom du Profes-
seur de Leipzic et &ites r^imprimer la fenllle ou 3 se tronve. —
Car, sachez. Monsieur, que le 'Sr. (Iüttsched est tellement perdu
de reputatiou ici, qu'ou a honte de se voir confondu avec un
homme de sa trempe. — Sus donc, mon ami, faites nudn basse
sur un nom aussi odieux, et ne toqs mettez en peine de rien.
Que PisoATOR mande k Gottsohbi) tout ce qu'il vent; que Gott-
sched fasse ce qui liii plaira; vous n'avez neu a t laindre. Je
vous accorde uia protection speciale a cette heure comme alors et
alors comme k cette heure 1 — II est absolument n^cessaire de
substituer k la feuille eommacul^ d'un nom aussi m^prisable qu^
celui de Gottsched, une autre pure et nette, et qui ne fasse pas
^ C. Rr. Fnuikfurt «. Main & Juai 1743. (LAPPlulBUBa« SuhbIoiw).
■ Per itknren HAOBDOBK gab LtSCOW ^dtm R«tx«r* bei Min« Übenl«d«1iiiiff bkIi
Drntleii atlrs Eriistrs den Rat: .chrbarllcb 1d die Kirche su gehen, und dem Dr. MARPKROER aebw
Vffjienttou zu Oberbrinirea.'' Seine Widertocttng BSIMBBOKt nOMe ««x prinelpU* ortbodoxie g«ioiMB
•erni* Stnm Irene 1806. Jnnl 8. 188.
• Newi trme 1806. ApM. 8. 2>2 f.
^ed by dooQle
ISl —
rougir un aussi digne honiine qiie Mr. de KöNia. — Priaat Dieu,
qu'il vous ait en sa sainte et digne garde.
C. L. Liscow."
Bei diesen indirekten Versuchen, Gottscheds Ansehen nach
aufsen zu uuterpraben, berulii^^te sich aber Könio und sein An-
hang nicht. Es kommt zu einer förmlichen Verschwörung, an der,
durch Liscow veranlafst, auch Fbibdbich von Haoedorn teiinimmtl
Die erste Nachricht darflber enthält ein Billet HAaEDom an
seinen Freund Wilckbhs , das im Frühjahr 1742 geschriehen
sein wird:^
„Liebster Bruder!
Erzeige mir die Güte und nimm die (Titischm Beyträtje etc.
etc. mit nach Tatenberg, und gieb dir die Mühe, dort dasjenige aul-
snzeidmen, was du fetlsch geschlossen oder ohne Grund 'vorgegeben
2U seyn findest^ die logischen und historischen Fehler. Wolltest
du insonderheit (doch deiner pfenaiieu Priiluiiu anderer Stücke olnie
Nachtheü) das 8te IStück des 22ten- critischen Beytiags vornehmen:
80 liannst du leichtlich erachten, wie angenehm mir solches seyn
wfirde. Deine Hand kriegst du zurüclc. Aber ich /werde das meiste,
wo nicht alles, abschreiben. Daher schreibe deutlicher als ich zu
schreiben pflege. Könntest du den verdeutschten Horath de A. P.
des Prof. G. gleichfalls durchgehen und einen Wetzstein seiner
Flöte abgeben: so winde dadurch die Critik so maocher iu Leipzig
fftf unverbesserlich gehaltenen Stelle desto nachdrackllcher seyn,
und wir armön N(ieder) Sachsen auch einmahl den Pleifs-Atheniensera
etwas aufgeben können. Ich will dich nicht verrathen und sogar
gegen B. und M. nicht, damit alles desto gehehner bleibe, wenn
die Mine in Drefsden den critischen Nachbaren aufs Haupt ge-
sprenget wird. Vielleicht bedenke ich mich auch noch, ob ich
etwas von deinen Anmerkungen nach Drefsden gehen lasse, und
' U. Br. in ilir Hiiin1>iir;.'i'r SindtlnWiotUok. Das SchroiTien ist undatiprt; «laf« *ber die VOM
mli MigcfiomoMno Zeit richtig, ergibt der ZusMnmenhMig mit den folgenden Briefen.
* OrUHtOi» Bt^. VL 8. 299 ff. Ol« BcMOflion Toa 11A.QSI10WI« mV&t^ i» foeHtOM
FuMn un,i Eriähtunfffn' (1T:^S) un.T S TOPPR« .i«im« AM«" («Od.), Ilt «VlClm STOm «IS CUO*-
DORH vollkommen ebenbartig behandelt war.
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— 132 —
nicht vielleicht, in einer andern Absicht, etwas dazu sammle. In-
dessen gönne mir deine Glossen so zeitig, als ob sie gleich nach
Sachsen sollten. Cura nt valeas.
In meinem beigehenden I]xemplarderGoTTscHEDi8chen Gedichte
und der Grit Dichtkunst darfst du des Bandes nicht schonen, er
ist der Critflc gewidmet
Adr.: Pour Monsieur le Docteur Wilckens
nebst zwey Büchern."
Allein bevor von Hamburg aus der gewünschte Beitrag zu der
„Mine in Drefsden*^ eintraf, hatte man sich dort schon eines andern
besonnen.
' Am 21. Oktober 1742^ dankt Liscow zwar für die. „remarques
propres ä combattre Gottsched. Mais niallieuieuseinent je n'ai
pu m'en servir, raon dessein n'ayant jamais ete de combattre ce
professeur dans les formes.(?) Je me suis content^ de lui donner
quelques conps de dent ä Toccasion de sa dispute avec Mr.
Heineken, et yous pouvez croire, que je ne Vai fait qu ä mon
Corps defendant. Vons aprendrez de mon fr^re comment ma pr^foce
a ete recue ä Leipzic."
Über diese Vorrede und über die Art, wie das Dresdener
Komplott arbeitete, hatte der jüngere Hagedorn seinem Bruder
schon am 4. September 1742* im Auftrage Liscows berichtet:
„Er (LiBCow) hat mich gebeten dir zu melden, dafs er die
Vorrede vor dem Lotu/nr'' (die um die alte Edition gesclilaj^en,
folglich die Edition aufgewännet wird) deine Ehre wieder die Leip-
ziger Belustiger retten* wolle, welche er dadurch beleidigt halte,
dafs man in der Piece Sehr KUtgs ürtheü, dich unter dem Trofs
> iV«ii« Trent 1806. April S. 284.
■ U. Br. (LAPfEHSBitO* StaanOtmid'
* Monifshit ÜMigfn «om Efhabeim. Grkdkt»^ und THtHth. NiM dmtm LAm, ttnmr Naek-
rieht ron teiiutn Schri/Ifit, eintr Untfntuchuvj >rax I.un'jin ibirch du» F.r>in''i'nr rf-r^iplic und rin^r Neuem
Vorred« run einem UnpmannUm. Oresdeu. 1742. Auf Kosten du UeberseUen. Zu fiiulem bef
GeoROB Conrad Walthsrh. Kdnigl. Hof-BnehhAnd]ern. Die nwia Vcnnde amfliArt 44 SelteA,
mmm Jrdocli 16 Seiten {». 5—20) eine ElnMlMltlingf HBMBCKBMt Cttttnlten. M dab Ton LiSCOW
mr Cm. 2S Selten frcschricben sind.
* Xeue Vurrtäe »um Longin S. 39 ff.
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— 133 —
der obscuren Nahmen confimdirt, und: Höre Hausskann, Haoedobn
gesetzt.
Dieses gefällt mir mm von Liscow wohl. Er ist neulich in
der Gesellschafit bey dem Hofrath Kömo dazu disponirt worden,
siolcbe.Vorrede sn machen, worum Gottsched und Heikeckbn wegen
des Verstands des Wortes Natürlichen Schreib- Art miteinander
verglichen werden, (tottsched kriegt dabey, wie dn leicht denken
kaust, manche bittei e i'ille. Ich halte übrigens dafür, daTs Heixecken
eine sehr magere KoUe dabey spielt, dafs er sich vorreden läfst,
und meine Gedanken davon, da(^ man dem lüsternen Witz den Vor-
zug, den ein gutes Hertz giebt, aufopfert, verschweige ich. On
sacrifie l'honnette homme au bei esprit. Gresset sagt von Advo-
cateii. lüitl CS ist fast was IjAmprkcht w iederhohlt, Jrois-je Orateur
inerrenaire . . . vendre ä la haine du vulgaire Ma voix et ma tran-
quilUte. Gottschbb hat doch einmahl öffentlich nichts wider L. gethan,
um un glimpflich zurecht gewiesen zu werden. Von gelassener
■
' Entscheidung des Zwists, ist nicht die Eede noch einer Critik.
Hiernach werden die Belustiger mit ihren Kiiidereyen wacker ge-
demüthigt und das ist auch recht; eine beifseude Stelle aus dem
PsTBomo wird auf diese Leute,' die Über das Sylben-Spielen, omne
genus orationis enerviren, sich gantz recht schicken. Man wird aber
deutlich spüren, dafs das Schweizerische Räucherwerk, H. R. Könios
Unversöhulichkeit, und die Scliwachmata des nuzillironden Lonpins
die Hauiittriebfedern sind. Doch ist mir lieb, dafs die Leipziger
demasquiret werden.
Dieses ist aber noch nicht genug, sondern die Piece, die Rost
macht, und auf Art des Littbzn, den Streit wegen des > Prolog! mit
der Nefbeein in 6 Chants vorstellt, aÄ-h das Vorspiel heifsen soll,
ist auch bei H. R. König veranlasset, und durchgetrieben worden.*
t An tämmt Miil«ra SteH« deMelben B*i«fet ta«Itkt „Mi irtevbe H. H. KOlim tlUlte «ueh
l^KjS!<( r, Wenn ir auf >-iiiP K'Iitioii si.-iiuT fii-rriclito uiül ilcn Ausschurs itt-r uii^jc-rrtlhi-iM-n Khiilfr und
deren Desavea bedacht w&ro, damit er sich selbst vor der Satire iiu künftige frey stelle, als iluT»
er dio nifl«raai rtxkiB mit GOtTSOBSS avIkawIniMn »aeb«!. leb bin anch huy Mtn MiD«B lUehe-
Scssioiifn nicht ^'i wi s. ii. ioli« s irli .-lif-r vcrschmerzcu kau, als dufs er mich nicht eininahl gebeten,
da er Mascow so oft und lauge bey sich gehabt und LI8COW uud andere genug bey ai«li gehabt.* Die
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— 134 —
HEnmcEB und Liscow haben darinn gantze Strophen critisirt
und geändert, und es mögen Stellen darinnen seyn, dafs Gottschei)
der Schlag rühren mag, wenn er e.s iieset. Rost ist mortificirt, dafs
Heinecke ihm so viel und auf so bittere Art corrigirt. Ich kenne
BoBTEN nicht. KÖNia soll ihn haben express kommen laBsen. Ich
lese solche Dinge gerne. Ich verdenke auch Köma nicht den Hafs
noch die Bachbegierde. Aber diejenigen, die mit Sans froid ihre
Feder leilien, andern, von die sie nicht beleidigt ^ind, das Hertz
blutend zu machen, verabscheue ich im Hertzen, und auf solche Art
mag ich die Vivacit^ meinen MUdn berühmt au werden niemahls
gehen ob ich gleich dem Werkgen eine angenehmere Gestalt wünschte.*^
Was zunächst bei Liscows Vorrede anffidlt, ist, dafs er hier,
wo er zum erstenmal öffentlich gegen einen ebenbürtigen Gegner
in die Schranken tritt, von vornherein darauf verzichtet, sich seiner
gefährlichsten Waffe zu bedienen, in der er der anerkannte Meister,
der Ironie.
4
Uns scheint das doppelt befremdend, als es uns selbst schwer
fällt, wenn von Gottsched die Rede ist, die Ironie zu venneiden.
Seine eiLreiitiiiiilicheu Schwächen, die durch blinde Vergötterung
hervorgerufene mafslose Eitelkeit und Selbstüberschätzung, die je
älter er wurde, immer mehr zu tage trat, scheinen geradezu die
Ironie herauszufordern.
Biese freiwillige Selbstbeschränkung Lisoows ist denn auch
für die V^orrede, was die Form anlangt, entschieden zum Nachteil
geworden; nach dieser Seite hin gehört sie keineswegs zu den
besseren Schriften Lisoows. Man spürt auf Schritt und Tritt, dafs
er hier nicht auf seinem eigentlichen Gebiete ist.
Von um so gröfserer lAeutung ist der Inhalt; mag Lisoow,
wie allerdings wahrscheinlich, noch so sehr von Heineciten und
KöNio inspiriert wordeu, nur der Hammer, nicht der Arm gewesen
sichtliche MiftbiUlKiinir, welche CRK. L. von HA<iKi)i)R>«, der Immer ^te BexUhtingen 2U
OUTXSCHEU unterhalten hatte, ticm (ranzen Treiben, In das LiSCOW hineingeraten vrnr, zu teil
werde u lief», »cheiut nicht ohne Einflura auf FUIKDR. VOK HAOEDOBK geblieben zu sein, der Jetst
auch Sltrneksor. In dem o>>en erwähnten Briefe LlSCOWs an HAaRMBII vom 21. X. 42 «urftert
L. an einer nn'Irm St. l?e s( in Bpfrcmdpri. dafsH. Jene Annierkunpren sofort znritckforden. Niemand
habe sie gesehen ul« der üruUcr des Dichters etc. (.Veu« Irene. 1806. April 8. 284.)
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— 185 —
sein, der lIüii Streich führt: die Vorrede war der vernichtendste
Schlag, der bisher Gottsched getrotieu, sie war das Signal zur
Bebeilion im eignen Lager; dafs dieser Eindruck durch das. Beiner
Natur nach vettere Kreise interessierende, „ Vorsptd" Bosts, welches
kurz darauf erschien, noch überboten und dadurch alhnfthlich ver-
wischt wurde*, ändert an der Thatsache nichts.
Abgesehen von ganz veit in/elten Angriffen, die aber mehr auf
persönliche Motive — wie z. B. bei «Stbikbach — zurückzuführen,
galt bisher die durch Gottsched yertretene Geschmacksiich-
tung unbestritten als die herrschende, katholische. Der Abfall
der Schweizer war im eigentlichen Sinne gar kein »AbfalP gewesen»
sondern die Kriegserklärunfj einer fremden auswärtigen Miuht,
mit welcher man biä dahin, so gut es gehen wollte, i^rieden ge-
halten.
So lange es hiefs: hier der schweizer ParaaTs, dort der
deutsche Pamafs, konnte Gottsched noch vergleichsweise ruhig dem
Ausgange des Kampfes zusehen.
Liscüw ist der erste, der deu Schweizern gegenüber öffent-
lich erklärt, die Einigkeit im Gottschedschen Lager sei nur Schein,
die „sogenannten herrschenden Dichter" seien ledi^ich eine Fiktion,
die m demselben Augenblicke, wo die »Verständigen" ihre Lang-
mut, mit der sie dem Treiben jener bisher zugesehen, fahren lie&en,
sich als solche erweisen werde.
„Die-^e Herren", ruft er den Schweizern zu (S. 30), „sind hier
zu Lande bey weitem nicht in so grolsem Ansehen,' als man es
vielleicht in der Fremde glaubet. Es ist wahr, sie thun grofe, und
brdsten sich sehr. Allein man kennet sie, und verständige Leute
haben sich ninnner viel aus ihiieu geniacifct. . . . Mau übergibt
sie der demüthigeuden Gnade der Herren Schweitzer und
alles was inDeutschland mitEecht gelehrt und klug heifset,
> J. E. ScHLsaEL «D GOTTSCUSD. DKMlen. 16. XL 42: .Was die Voned« von Herrn
HEumcmis »I/mgin* «ntatrifit, m wird Borr IiUOOW Uar duelifftaKiff fttr du VerCuMf denenwn
pchuluiii. VMardcMea iU <tteao Vorrede ober dem «plidMO a«dicMa, WtMiM 6m Tltd flUirt .Aw
Vortpül', beynahe ragantn." DAimii. S. 150.
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— 186 —
das wird sich über die Erniedrigung so stolzer Schwätzer
freuen.
Ich sage dieses nicht vor mich, sondern mit Genehm-
haltung vieler rechtschaffener Männer, die sich nicht
gerne, weder Ton den Herren Schweitzern, noch von den
Nachkommen, mit einigen Lehrern der Unwissenheit und
Verderbein des galten Geschjiiacks vermenget sehen
möchten, und hotte, diese Erl^lärung werde hinlänglich
seyn, beydes zu verhindern."
Wir haben es hier im eigentlichen Sinne des Wortes mit
emem Idanifeste zu thun, das in drei Teile zeifttllt, welche jeder
an eine verschiedene Adresse gerichtet sind.
Zunächst Krie.L^serl?läninp gegen (Iottsched, dann Bündnis-
antrag an die Schweizer, endlich Verwarnung an die Gottschedianer,
und Aufrufi sich zu bekehren.
„Ich schreibe zu keinem andern Ende", sehliefet er, „als damit die
Belustiger witzig, und die Jfinghnge, die sie bisher verführet haben,
vernünftig und vorsichtirr werden. Wer weise ist, der höret zu,
und bessert sich, und wer verständig ist, der lasset ilmi rathen."
Trotz aller Jäücksichtslosigkeit und Schärfe, mit welclter er
den Gegnern zu Leibe geht« bleibt er doch stets in den Grenzen
loyaler Polemik. Alles Persönliche ist ausgeschlossen; in dieser
Hinsicht steht daher Liscows Pamphlet hoch über Bosts „ Vorspiel'' ,
das dur( liaus den Cluii.ikter persönlicher Gehässigkeit hat.
Beide überragt an innerem Gehalt Fybas ^ErweiSt dafs die
Qottschediamsche Sekte den Geschmack verderbe."^
Allein mit dieser Kriegserklärung im Longin ist der Kampfinst •
der Dresdener noch nich? Genüge gethan. Unmittelbar darauf er-
scheint RosTS „ Vorspiel ' , aus dem oben abgedruckten Briefe Ciiu.
LuDWie VON Hagedorns erfahren wir, dafs auch HEiiSECKEN und
Liscow an den Anmerkungen dazu mitgearbeitet haben. Wie grofs der
« Ülwr LiSCOWB VnikBlir mit PYB& In ^Mtm Mnn vni dtm VttM. des Istatcni abar IM-
cow vKl. .Fortimtzunff d»» RiwtiHtt ds^ di* Mtiekidi0iiitek$ Ma$ dt» Omekmadt wtrdtrbi."
Berlin 1741. S. 30 f.
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— 137 —
Anteil des letzteren daran gewesen, wird schwer festzustellen sein»
ist auch ziemlich gleichgültig.
\^ R■hliger schon ist seine Beteiligung au eiuem journalistisclieu
Unternehmen, welches von Rost unter Kökiob Ägide ins Leben
gerufen wurde, um darin den 'Kampf gegen Gottsobbp bis aufs
Messer fortzusetzen.
Am 26. Januar 1743^ schreibt der jüngere Hagedokn dar-
über an seinen Bruder:
„Dafs WAiiXHBB (der Hofbuchhändler) eine neue Zeitung
herausgiebt, die um Weiduaitm keine Jalousie zu geben, eigentlich
kerne Zeitung hei&en soll, welM du vielleicht. Bost, Verfosser
des Vorspiels, macht gewöhnlich die gelehrten Artikel. Dieses ist
heutiges Tages ein leichtes Werk; man durchläuft die Vorrede und
die Öummarien der Capitel, lobt und scliimpft überhaupt in aus-
gesuchten Worten , und hütet sich, in die Materie zu entiiren.
Dafs LiBCüs das aügmeine juristisehe Oractdum durchgestriegelt
hat, welches es auch yerdient^ wird dir bekannt seyn. Ob es aber
pnideutiae, dafs er sich hier darin menget, pour vouloir etre toü-
jüurs regarde du cote d'auteur, ist eine Frage, die ich nicht
ausmache/'
Die Zeitung von der hier die Hede, sind: die i^Drefsämachm
NochiieMm wm Staats- und ffdehrten Saehm*", welche nur ein
Jahr bestanden haben; die von HAasDOBN erwähnte sehr kurze
Rezension Liscows steht im 4. Stück (9. Januar 1743), (das betref-
fende Buch: All/fefneines juristisches Oractdum oder des heü,
Mömisch-Teittschen £eiehs Juristen -FaeMU ete, ete." war 1742
in Leipzig erschienen;) und ist litteraiisch wertlos, wie der bespro-
chene Gegenstand, durch den L. an Robioast erinnert wird.
Hauptzielscheibe der in iliesen Blättern geführten rolcmik
sind, auiser Gottsched selbst, der unglückliche Übersetzer der
> AVu* Irene. 1806 .Tiinl, S 13(5.
' Dre/tdnitch« Jfuehriehten von 8taaU- und geUkrte» Sachen. Au/ du» Jahr f74J. Mit Ailer-
SnäMgutw X&dgL PMm. und Ckiirß. SSdkiitöktr JUrtjfMt. DnJM«. bejr OlM>««B ComtAO WAiOHlB,
Ktaigl, Hor-BuchhntKlIcr. 40. 102 Stocke (vom 2. Januar bis 21. Dezember 1748.) Htt Yamda and
Begi«ter. (Exemplar auf d. KgL 6. BibL aa Draaden. Hist. Sax. G. 142.)
^ 138
Aeneis, Schwarz, und der Yerfiisser des ^ringmrauhs, Tbillbb.
Alles was mit Gottsched zusammenhängt, wird mit Hohn und Spott
überhäuft, dagepren Bodmek in den Himmel erlioben.
Wie viel Anteil Liscow daran hat, wage ich jetzt noch niclit
zu entscheiden, ich möchte aber annehmen« dafs die Zahl der
vor ihm verfafsten Artikel eine ziemlich beträchtliche ist; die
endgültige Bestimmung darOber, wie viel ihm gehört^ mnfe bis m der
demnächst zu veranstaltenden kiitischeu Ausgabe der behriften
Liscows aufgehoben werden.
Nur so viel ist zu sagen, dafs sich Lisoows Stil sehr bemerk-
bar von dem Robts unterscheidet. Der 25jahTige Hobt ist flber-
mütiger, frischer, derber. Lasoow ist vorsichtig mit der Wahl der
Worte, aber durch die Art, me er seine Argumente gruppiert,
dem Gegner viel gefährlicher. Hier und da zeipjen sich Spuren
einer Verbitterunpf, die ihm in früheren Jahren nicht eigen.
Letztere thtt besonders in einem Aufsatz ttber Rbinbeceb
„Kaehgelassene Uam Sehriftm fiebst eme» Ver^keiäigungs'
Schriften md dem seeHffm Manne gestifteten EhrengedäehU
nisse. Berlin Hafbk 1743 4"" m tage, der im 55. Stücke
(10. Juli 1743) abgedruckt ist £s ist da zuweilen ein hämischer
Ton angeschlagen, der zu Libcows sonstiger Art nicht paTst, und
vor aQem bei einer so wttnUgen Persönlichkeit, wie Reinbbck, nicht
am Platze ist. Er stiefe auch damit auf Widerspruch sowohl bei
Fbibdrich von Hagedorn wie bei seinein eignen Bruder:*
„Quant a ce que Monsieur Vaeke- trouve mal, que j'aye
manquä de respect aux cendres du Dr. Beinbeck, je pardonne
cette delicatesse k un homme de sa trempe. Mais que Vous et
mon fröre ayez l'esprit assez de travers pour m'en bl&mer, cest ce
que je ne saurois digerer."
Milde und freundlich ist dagegen sein Urteil über Johann Elias
Schlegel', bei Gelegenheit der Besprechung des vierten Teils
• V^. IfiNM frmt. 1808. Ainrll. 8. 28S. LiBOow «n HAOVDOHir vom 15. XI. 43. Di«
jMhntnlll 42 1d der ^Seven h^n«" l«t otTcnbar Drackfehler.
• VennatUch v«cdrackt Ar Vakb oder Vackb. Vgl. Bmak. SekH/umerkaUem. VH. S. 476.
• Vgl. HAOBDOHH FotHmAt Wirkt «d. EMUDIBCBO. V. B. 292.
._^ kj o^ -o i.y Google
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von GoTTiSCHEDs '*.Df*w/w/«r SchüiihüInK '- (im 44, Stücke der „Dr.
Nachrichten'' vom I.Juni 1743): ^i><r i/<r?««Hw" macht Feinem Ver-
fasser Ehre, und wird ihm noch rühmlicher seyn, wenn er sich ein-
mal mit dessen Ausputze beschäfltiget Wir zweifeln nicht, dafs er
die Regeln eines Trauerspiels vollkommen yersteht, und also hoffen
wir, er wird sich noch seihst einmal Zeit nehmen, die erhabene
Schreibart noch etwas mehr mit einer so schönen Ei'findung zu
verbinden," Von dem in demselben Bande befindlichen Lustspiel
ScHLEOBLS „Der gesehäfUge Müfsiggänger'* j meint er/ der BeiM,
den ihm Gottsohed in der Vorrede spende, sei richtig „wenn er
nur nicht so grofs wäre.* ^Denn wir können uns nicht einbilden,
dafs er dem Hru. Verfasser . . . einen (Jefalleu tluit, wenn er ihn
mit den beiden CoRNEiLLEn und dem Shakespear vergleicht. Er
hätte ihm ja das verdiente Lob ohne eine so stolze Vergleichung
geben können, und würde dadurch den Fehler vermieden haben, den
er schon mehrmals begangen, wenn er zumBeyspiel dieFrauNsüBEBinN
mit allen geschickten Schauspielerinnen Frankreichs und Engelands
auf die Wapschale legt, und sie wirklich erniedrip:ot , indem er sie
erheben will. Das Stück ist sonst ganz artig und lebhaft."
Bei dem hohen Grad von Besonnenheit und Takt, der sich in
diesem Urteil ausspricht, ist doppelt zu bedauern, dafs Libcow erst
so spät sich der littersrischen Kritik zugewandt, und dafe diese
Thätigkeit ein so jähes Ende genommen. Mit demSchlufs des Jahres
1743 gehen die „Dresdnischen Nachrichfen'' ein, und von da ab ist
auch Liscow für die deutsche Litteratur tot.^
Der Grund iür dies Verstummen ist wohl hauptsächlich in den
Dresdener Verhältnissen zu suchen.
In der Vorrede zu den „Dyrsfhur Nachrichten"' wird es zwar
so dargestellt, als habe man die Zeituug ganz au?^ freien Stücken
eingehen lassen. „Es hat uns gefallen dieselben nicht länger als
ein Jahr fortzusetzen* , es sei »fär eine Wochenschrift nichts
* Ob er an der 1732 Ton Reboi.1> ▼wsuBtiiltetcii Motltevlbemtaiuw sieb bdaillgt hat, Ton
der seiu Bruder in «inotn HRI.ni» S. 61 f, il)^'^<Iru('kt>?ii) BftoU» vom 12. II. 49 ifirichl, lit
s«eif«UuiA. Ich wlbct Imbe die Aatsabe nicht in UAadcu g«h»1it.
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— 140 —
zuträgticheres als weon dieselbe zu gehöriger Zeit wieder
abtrete.'^ u. s. w.
Aber mit dem freien Willen hatte es seine eigene Bewandtnis.
Host spricht sich ilarüber ganz offen au? in einem Briefe an
BoDMEB vom 4. Dezember 174^.^ Nach dem Erscheinen des „For-
spieW sei eia Sturm losgebrochen. GorrrscHssB einflufsreiche
Gdnner intriguierten wider ihn» man heifse ihn einen unruhigen Kopf,
und kaum sei er der Gefangenschaft und Inquisition von Seiten des
Oberkonsistorinms entfranfzen. Man zopfe sich von ihm zurück: „Und
dieses thun meine ehemaligeu Freunde und vermeynten Gönner,
deren Namen ich dem P^ier zu vertrauen Bedenken trage", „die
mich zu diesem Gedichte antrieben und so zu reden nöthigten,
suchen mich nunmehr zu venneiden, anstatt dass sie mir Proben
ihrer Freundschaft geben sollten Herr LiäKuAv ist mein
sehr guter irreund, aber noch uicbt mächtig genug mir zu
dienen."
In Wahrheit veriiielt sich die Sache so, dafs auch Liacow
sehr vorsichtig sein mufste, wollte er nicht den kaum gewonnenen
Boden wieder unter den FOfsen verlieren. Seine Lage war wenig
beneidenswci 1. Die 40 hatte er bereits überschritten, und noch
immer war e.s ihm nicht gelungen, bkh eine Stellung zu erringen,
die seinen Kenntnissen und seiner Begabung angemessen gewesen
wäre. Die schriftstellerische Karriere, wozu er vielleicht die meiste
Neigung hatte, und worin er jedenfalls blüher die gröfsten Erfolge
eminpen, konnte ihm kein sicheres Kinkonunen bieten, und war
zudem bei seinen Neigungen an einem Orte wie Dresden keiueswcfxs
ungefährlich. Als er 1741 sein Amt in Dresden antrat, hatte ihn
Ghbistian LüBwia yok HAasDosN,* der allerdings das Urbild eines
vorsichtigen Diplomaten ist, ausdrücklich warnen lassen, denen
nicht zu trauen, ^die seinem satyrischen Talente räuchern
wollten.''
' la eiuem aus Mainz 174 L ilaUurt«a Briefe aa FuiKUKlCtt YüK U. Sau Irene. 1»M,
Juni. 8. 137 ff.
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— 141 -
„Ich bin zu schwach", hatte er an seinen Bnider Fribdrich
geschrieben, ..ihn zu bekehren, obwohl ich p:laiibe, dafs er hohe Ur-
sache hat, Gott zu danken und das Cassandriren^ zu verfluthen. Wofern
er aber seine i^eydenkerei in I^esden nicht einstellet, und ans der
Kirchenhistorie Weisheit zu pfl^n meint, so wird er, wenn man
dahinter kommt, sich ftrfser schaden, als er wohl glaubt. Die
bienseances wollen observirt seyn, und von liuuderl denkt nicht einer
wie er; von 99, die verstummen, wird er hernach verabscheuet.
Hierüber hilft kein Bäsonniren. Ich rede, wie es in der Welt
kergehet; znmal an ebiem Hofe, wo die Gebrechen eines Fremden
eher, als eines Einheimischeii, betrachtet werden. Ich rathe ihm
also, ehrbarlich in die Kirche zu gehen, ohne deshalb zu heucheln,
und dem Dr. Maeperöer meine Veneration zu überbringen."
Dafs der Freund diesesmal nicht zu schwarz gesehen, dafs er
wirklich in eine Lage hineingeraten, in welcher ihm jede freie
Meinungsäußerung die ganze mühsam errungene Existenz kosten
konnte, hat sehi späteres Schicksal bestätigt.
Er selbst ward es selir bald inne, dafs er um den Preis einer
nicht einmal sicheren Lebensstellung seine 1 leiheit verkauft habe.
Daher jene Verbitterung, . die in dieser Zeit zum erstenmal bei
ihm durchbricht.
Wie unglücklich er sich fühlte, spricht er erschlkttemd hu euiem
Briefe an Friedbich von Hagedorn vom 15. Nov. 1743 aus:^
„Qui vous a dit, que quelque m^content, que je puisse ctre,
je ferai des demarches dont les suites pourroient etre dangereuses ?
«
Croyez-moi, mon eher Monsieur, il n'y a que Mr. Totre frere ä
qui je mWvre sur des affaires de cette nature. Si tous croyez
que la fortune est chienne a mon ^gard, et que je suis en de man-
vaises niains, et sous une tutele indigne, vous aurez aussi la bunte
de me permettre que je ne sois pas trop content de mon sort, et
du train ou je me tronve, et qui yous paroit si excellent Je sais
■ Vgl BOILUO. Sat. L 1. (naumiiM).
* Xtui" Trent. 1806. Ajiril S 277. Pie S'tollo ist uffciili.ir una (U'rns4 nii'n BrSrfe, aua welchem be-
reits oben (S. 138) lUeÄuberung abejrRci>BECK iultj;etclU Ist. Auch hier latdle JabreauhlgeAnilcit.
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un peu qa'il en est; et si j'avois Tavantage de vous pairler, je
V0U8 diröis des choses que je ne saurois vous 6crire. Qaoi qu'il
en puisse etre, je ne me perdrai ni par mon impatience, ni par
aiRune deiiiarche dangereuse. Je puis vivre, et vous vous trompez,
si vous croyez que j'aye ici des creanciers iucoiumodes. Mai je ne
puis pas vivi'e comme je devrois le faire. Voilä ce qui me d^sole.''
In den litterarischen Streit mit GorracHED war er nicht aus
freien Stücken eingetreten, er war nur das Werkzeug gewesen in
der Hand Köxias.
Am 14. März 1744 starb dieser ganz ])lötzlicli; und an dem
Tage war auch Liscowb Utterarische Laufbahn beendet. „Wer
flbemimmt jetzo das C!ommando der Arm^e ctra Gottsched
schreibt auf die Nachricht vom Tode Luvwia ton Ha^edobk an
seinen Bruder'; ein weilerer Beweis, wie sehr König als die
treibende Kraft im Lager der „deutscheu bciiweizer'- bis dabiu
gegolten.
Einen Monat dai:auf am 25. ^ril berichtet Hobt an Bodmeb:^
MHerr Liscow scheint beinalie seinen Kiel gestampft zn haben.''
Und im Oktober (12.) des Jahres berichtet derselbe Rost:
„Iii den hälUschen Bemühungen, welche iii Leipzig verfertiget
werden, hat man Liscowen sein lestament machen lassen. Allein
aufser dafs der Einfall alt ist, und von Philippu Tode herge-
nommen zu sein scheii^t, so hat man .denselben noch so mager als
es möglich gewesen, ausgeführt. Unser Liscow ist indessen ein
grofsmütiger Löwe. Nur fürchte ich, er werde endlich schläfrig
werdeu, deim er ist gar zu frelassen."
Allmählich wird es auch still über ilm, und am Knde des Jahr-
hunderts hat BoDMER („Untergang der berühmten Name»"^) recht,
wenn er des alten Kampfgenossen, wie eines Verschollenen und
Vergefsenen wehmtttig gedenkt:
„Wie Philippi dahin ist, so bist du dabm luit riuLippi! '*
* U. Br. Fr«tikAi>C 29. UL 44. (LAFVBIfBBIMM SftaMnIunff.)
* .^rluuLiN. /{aV/V htrükm'jir mimI edl$r ik»lm)km im Btjtmtr, ITM. 8. 8.
* STiCULlN. S. 10. ' . ^
* lUirmriKCki FmntMtt« «w dtr BekwtlM. B. 174.
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Anhang.
Digitizcü by
I
Zum Streite mit Sivers.
a. 8mn ÄTertiBseiiieiit.^
"E» ißt ein gewisser Gelehrter hieHelbst gesonnen, gegen künftige Oster-
messe eil) Werk unter dem Titel: Das itzt-lehende Gelehrte Lübeck, im
Wlu.Kuscht'n Verlag und Druck ans Licht zu stellen, und darinnen der g-elchrten
Welt, insbesondere denen Liebhabern der HiHt^riae Literariae, eine kurtze,
doch umständliche Nacbridit Ton denen hiesigen Gelehrten su geben. Wenn
er nm hite« ^ele Neehriehten nGthig hat, so wird ein jeder Gelehrtes^ der in
dieser Stadt entweder ein öffentliches Ehrenamt bedienet» oder sonst, ^ ein
l'rivatu«, lebet, freundlich ersuchet, innerhalb 14 Tagen a dato an zu rechnen,
Keine kurtze nach folgenden punctis eingerichtete Lebensbeschreibung zur Ab-
holung iertig zu halten, damit dieaf'S sehr nützliche Werk, das zum Kuhm
unaers lieben Vaterlandes gereachet, gegen bewuste Z?it fertig werde.
Deijenige aber, der diesem PeÜto geneigt folget, bringet ohnnuLfsgebUeh
SU Papier:
I. Seinen gMusen Namen, den Ort und die Zeit seiner Gebort^ imghHc|>ftn
seine Eltern, wenn er e«* für ß^t befindet.
IL Die Schnlp oder das Gymnasium, wo er frequentirt.
III. Die Akadcinien, wo er htudiret, imgl^icbeu die Specimina, die er da-
selbst abgelegt, femer, wenn «r promoviret, seinen Promotorem und den Titel
der Inaugural-Dispntation.
l\' Seine Reisen.
V. Sein Amt, und was er für Ämter bereite verwaltet.
VI Seine Schriften.
NB. Diejenigen Puncte, die einer nicht in seinem LeoenRiaufe rindet*,
-kann 'er nach Belieben fürbey gehen, und nui' dasjenige commuuicireu, was
ihm gelallt. Die Ordnung wird nach dem Alphabet eingeriehtet werden,
wd.che die beste in dergleichen Sdniften ist.
Lübeck, den 28. Deoember 1790.
• Pieper oder jener hat nicht g< n i^ - 1, promovirt. disputirt, geschrieben, etC.
und ist darum doch ein Gelehrter und rühm würdiger Mann. -
• AbKe4lrttckt «w den /Vyrf«rwi dm XMUOta. Hddoif and Lei|si« 17S7. 8. 2»S ff.
Ygl. oben S. 40.
LITZMAKM, LISCOW. 10
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b. LteeowB «ngtblielie Parodi«.
Ayertissement
geaonnen, mm Berten dar geM w ten Welt» derer läebheber
der HandUnig, und der ffietorie der Künstler und Handwerker, eine timständ-
liclic Narhrirlit von allen in Ltibeclc jetzt-) r>bfri den Handelsleuten, Künstlern,
und. Handwerkern per Suhscriptiones gegen künftige Ostermesae durch öffent-
lichen Druck ans Licht zu stellen, und hiezu viele Nachrichten nöthig sind;
So irird ein jeder y<m denen H. Hin. Kuiieateii nnd KflneÜem, «ndh alle vad
jede Xmetore der ISUiehea vier groAen nnd aller kleinen Knidwericer, wie
encli die Herren Studiosi Pharmacentacee und Chivorgiae hieduroh fipeundlioh
ersuchet, innerhalb 14 Tagen a dato an zu rechnen, ihre kurtze, nach folgenden
Punctis eingerichtete Lebensbeschreibung zur Abholnng fertig zu halten, damit
dieses sehr nützliche Werk, das zum Ruhm unsers lieben Vaterlandes gereicht,
gegen bewufste Zeit fertig werde. Derjenige aber, der dieieni Petito geneigt
folget, bringet oder ISmet, wo er etwa niehi echreiben kanai, «dl Papier btingea
L Seinen ganzen Namen, den Ort, da^ Jahr, den Tag, die Stunde und
Hinute seiner Geburt, ja weil man das Werk gerne TolletSndig aiChe, so wird
ein jeder, dem ee tnfigUob, auch xu bemerken belieben, in wai für einem Planeten
er gebohren.
• n. Den Namen seiner Eltern und Grofseltem, wenn Er es für gut befindet,
m. Wo, nnd von Wem Ihr da» A. B. G. sdireiben, redinen vndOateohit*
mnm geiemet; Audi ob er vor dieeen in die lateinieehe Sclrale gegangen, nnd
wie weit Er gekommen; ob er auch Musa gelernt, und was dei^lekiien Um-
«tSnde, die man eines jeden Piscretiou überlasset, mehr sind.
IV. Wo, und wie lange, auch bey wem Er in der Lehr gestanden.
V. Wann, und von was für Alter-Leuten seine» Handwerks £r aus-
geschrieben, und was dabey vor Ceremonieu vorgenommea wwrden.
NB. Dieses geht allein die Handwerkaleute an.
VI. Wo Er conditionirt, oder, vor Ges^ gearbeitet, und die Namen
•einer Herren und Frauen, Meister und Meisterinnen.
VII. Ob und durc h was vor Länder Er troreiaeti oder gewandert, und
was ihm Zeit seiner WaMiahrt sonderliches begeguet.
Digitizcd by G«.
NB. Die Hrn. Kanflente, die etwa zur See gereisot, werden ersuoliet,
die Stürme und die Gefahren, sn sie aufgostaiulcn, fein beweglich zu IteschroiJien;
und die Hnndwerksleiitt» werilcii so gut »eyn, und merken die Wahrzeichen der
Städte an, durch welche sie gereiset, oder in welchen sie sich autgehalttni, weil
man nicht zweifelt, daf» dieses sehr anmuthig sn lesen seyn wird; Diejenigen,
so in einem geschenkten Handwerke sind, belieben der ourieusen Welt die ge-
wohnlidien Grfilse, nnd die Antworten darauf, mitzutheilen.
YIIL Was seine Handlang sey, und wohin Er handle, wmn er sich an
wohnen p^csetxet, und seine eigene Haushaltung angefangen, und eine Frau
genommen.
IX. Wann Er Meister gewurden, und auf was Art, wie viel es ihm
gekostet, was er ror Speise auf seinem Sobmause gehabt, und wie es sonst
darauf hergegangen, worin sein MoBtwstüek bestanden und was man ihm
daran getadelt
NB THejeni^en Puiicte, die Einer nicht in s<>inciii Lel)f^nslauf tindct*,
kaiiTi er nach Belieben vorbey gehen, nnd nur da^enige communiciren, was
ihm gefällt.
NB. NB. Han findet Tor n9tiiig,.in Ansehung derer Hm. Stndio-
sorom Fhannaceutices et Chirurgiae nachfolgendes su erinnern.
Es möchten diese Herren vielleickt mehr Lust haben, bey den andern
Herren Studiosis in dem jetMt-kbenden Gelehrten Lührd:, so ein {gewisser
Gelehrter daselbst ans Lieht zu stellen gesonnen, ihren I'Iatz zu haVien, als
unter lauter untjelehrten Leuten. Die noble Ambition, die sie zu allen Zeiten
von sich blicken lassen, lasset uns dieses vermuthen. Allein mau giebt Ihnen
hiemit suverlassige Nachricht, dafs der gewisse Gelehrte in dem CMthrtm
Lübeck Ihnen nicht den geringsten nats au geben willens; wir hiagegen er>
bieten uns, Sie standesmafsig nach denen Hm. Kaufleute u und ihren Herren
oder Principalen zu rang-iren .Jedoch alles nach ihrem Belieben, damit nicht
übelwollende denken möchten, wir suchten durch dies Anerbieten dem gewissen
Gelehrten, der das Jetgt-kbende GeUsi^rU Lübeck ans Licht zu stellen gesoimen,
die Leute abcuqiiannen, abaudringen, oder abwendig anmachen. Ach nein! dieeea
ist unsere Absicht nichts ob es swar sonst heifst: Figulue fignlum odit
NB. NB. NB. Wenn diese« Werkgen, welches ohngefiihr 2 mtfsige
Folianten ausmachen mochte, von dem Publico gMieigt wird aufgenommen
werden (woran man denn nicht zweifelt), so verspricht der Verleger
künftiges .Jahr, das jeUt-lebendr kri''fferi'^che Lübeck ans Licht zu stellen, in
welchem aufser den Lebeusbesclireibuugeu der Herren Qfficiers auch von denuu
Fatis aller Unterolficiers und Gemeinen, umstandlidte Nadiricht soll gegeben
werden. Ss dürfte aber dieses Werk etwas kostbar werden, weil man gewillet^
um es YOUkommen zu machen, die ganse Ißlioe bis auf den Pfeiffer und
Trommeli^chläpfer in Kujifer stechen zu lassen, weltdies ungemein schön stehen wird.
Lübeck, den 11 Jannuarii 1731,
• Dieser oder jener hat nicht gereiset, keinen Sturm ausgestanden, keine
Frau genommen, ete. und ist darum doch ein geschickter und rühm-
wardiger Hann.
10»
n.
Briete von Joa€him Friedrich Liscow an Gottsched.
1.
HocliEdler, Hochgelehrter, Huchzueiireuder Herr Professor!
Vornehmer Gönner.
Das Vergnügen, welches mir die Ehre dero geneigten Zuschriff't g-pgeben,
ist in der That nur desto <rrr)rsfr j^pwe^rn. jp nnvcrhofftpr mir dieselbe wieder-
fahren. Ich l)iu E\v Ho(-liEdlen ungemein davor verbunden Es ist lange,
dafs ich in Ew. HochEdlen Bekaudschnfft /.u stehen gewünschet, und wenn
ich nicht überzeugt gewesen, wie wenig geaebickt ich aey, eine Bekaudschaät
dieser Art zu unterhalten, «o würde ich weniger bl$de geweaen aeyn, Ew.
HochEdlen dieselbe anzutragen.
Bas Geschicke bedient sich offt gar besonderer Mittel unsere Wnn«rhe
zu vergnüfr^'ii Mir hat der p-röfste Nair unserer Zeit den Weg zu Ew. Hoch-
Edlen längHt gewünschten FreundschafFt bnlnien mÜHsen. Die vor Ew. Hoch-
Edleu Verdienste jederzeit geh^^ Hochachtung niachle mir denselben an sich
xuTor yerhuaet; doch der damua anff mich ffieüwnde Yortbeil, mindert den
Yerdmfs, and dieaea um deeto eher, je gewiaser icb yersichert bin , dafa ellea
wes biebey zum Nachtheil Ew. HochEdlen abgeziedet gewesen, ohne Wirckung
seyn, und aoif den Elenden, der ea £w. HocliEdlen zugedacht, aelbst zurück»
fallen mul's.
Ich werde nicht nöthig haben Ew. HochEdlen, itzo erst die Versiche-
ning KU thun, dab ick daa VerfUtren dea Hm. Philipp i gegen Ew. Hoch-
Edlen äufaent Terabscheue. lob habe es offentlicb getban, und als ein ehr-
licher Mensch thun müasen; und wolte Gott! dafs ich der guten Meinung,
welche Ew. HochEdlen von meiner Fähigkeit zu haben geneigt zu sagen
beliebet, so würdig: wäre, als ich der Unschuld Ew HochEdlen überführet
bin! Wenigsten» verspreche ich Ew. HochEdlen, keine Gelegenheit zu ver-
säumen, dieselbe nach Vermögen darzuthun. Die gegebne Nachricht von
dem Quell de» Hasse«, dieses unsinnigen Redners gegen Ew. HochEdlen, soll
dasn nicht wenig beytragen. Alles aber was i<d& meinen jetzigm UmatSndeo
nitck kiebey zu thun fähig bin, will nach meinem Sinn lange nicht genug
aeyn, eine solche Bofsh^t zu bestraffen. Was ist aber zu thun? Sölten £w>
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— 149 —
HochEtUen auff eine emsthafflo Art sich in Schrifftcn mit einem Pasqnillan-
ten einlass-fn? Beylcibf nicht. Das wäre zu viel Ehre vor einen so nieder-
trächtigen Menschen. Besser wäre es, ihn gerichtlich zu verfolgen Aber
auch dies ist zu weitlaufiUg, zu kostbar, und er hat noch zu viel Wege sich
ftüff die Alt SU retten. Ich gestio, dafs ich in dietem Falle kein Rathgeber
so aeyn geschickt hin, ob idi gleich daa grofste Verlangen von der Welt
habe, dicBen frevler recht nach Wfirdm abgestrafit zu sehen. Doch ich
liokfiinmere mich auch um T)in«re, die ohne meinen Rath sclioti 7.» Stande
kouiiiien werden. Ew. HiuliKillcu windtTi als ein weiser Manu, die liäst<'r-
Worte eines Thoi-eu, schon zu überiiüren oder, wenn sie es uöthig finden, nach-
dTficklich genug zu beantworten wiMCn. IxAi verüchere indessen, dah, irie ich
an den (I) Verdrufs, welchen Ew. RochEdlen notbwendig aus dieeeD(!) Handel
empfinden müssen, wahrhaiTtig theil genommen, ich hinkünfftig auch mir dan
gröfseste Vergnügen von der Welt machen werde, in fröhlichen Fäll«>n, daf»
ich so reden mag, Proben meiner walirrn Erj^ebenheit zn peben. Weini es
Ew. HochEdlen gefiele, dero, mir so »chät/.bare Freuadsihatlt durch einen
Briefwechsel, so viel es dero Geschäfi'te Icydeu, zu unterhalten, so würde es
vor ein Glfick achten: und dafera sonst Bw. HochEdlen einige Aufsätze oder
Nachrichten der Welt bekand gemacht wissen wolten, so biete mit aller
Ergebenheit dazu den Raum in den Zcituiiffcn und schwere Ew. HocihEdlen
in allt ii Stücken die auffrichtigste Vpr-ic li\vif Lr''iiht it Der ich hiemit unter noch-
mahliger Versicherung aller ersiuulichen Ergebenheit und Dienstbegierde,
alstets beharre
Sw> HochEdlen etc.
Der Verfasser des Hamb. Corresp. Geehrten Artik.
Hamburg, d. 9ten Julü 1783.
(Am Bande:) Die in Eile schlecht geratbene Schreibart bitte zji ent-
adiuldigen.
2.
HochEdler, Hochgelehrter, Hochzuehrender Herr Professor!
Vornehmer Gdnner.
Ks istmirEw TTnrliKdlen geneigte Zuschrift't vom 23. Octoher ncLvf dein
Exemplar der Iphigenie erst ^^ lit^Fert worden, da ich schon dieser vortreff-
lichen Übersetzung in der Zeitung erwehnet hatte.* Ich bin Ew. HochEdlen vor
dieses angmehmeGeschencke unendlich verbunden, und bitte beigebende Schtifften,
welche ich dero Befehl gemSfs übersende, als ein Merkmahl meiner Erkennt-
lichkeit gütigst anzusehen. Der Verfasser dieser Facetiamm ist ohne Zweifel
£w. HochEdlen längst nicht mehr unhekand.
Es wird dnher nhnnöthig seyn. ein freheimnifs aus einer Sache ferner
zu machen, die es nicht mehr ist, insonderheit gegen Ew. HochEdlen, von deren
* ffamhny. Oorrtff, 4. M«v. ITHS. Mo. 176.
uiyiüzed by Google
— 150 —
odlcm Gemüthe ich versichert hin, (IhTh sie es nicht zwm ^Naolithci! mfines
i^riidcrs öflfenth'ch werden Viekandmachen. Dieser eben ist. es, der bifshero mit
denen Hr. Philippi und Sievers sich nicht sowohl, als einigen andern guten
Freanden ein« Lnat zu machen gesucht. Er lebt in Labeelc in. äem Hause des
Hrn. Dom-Deehanten t. Thienen, welcher ihm die Anflicht Uber «eine beyde
8tirf*Sohne die jungen Herren v. BrSinbaen aeit einigen Jahren zu gönnen be*
Hebet £w. HochEdlcn können glauben, dftb er niehta höher achtet, als die
Versichernnq-, dafs seine Einfälle, die er selbst vor sehr schlecht hält, Ew.
HochEdlen nicht gar mifsfallen. leli habe mir die Freyheit genomTnen. Ew.
HochEdlen an mich abgelassenes ihm zuzusenden, worauf er mir befohlen, Ew.
HochEdlen seiner Ergebenheit suveniehem, unddab er aidi der Ehre, wdche
die deutsche Gesellsehait ihm 2tt erweisen gedenoke, gar nnwehrt achte. Bi ist
die Güte Ew. HochEdlen so weit gegangen, dalb dieselbe anoh mir eine Hoff-
nung zu gleichem Glücke msichen wollen. Ich ^^nirde meinen Empfindungen
wiedersprechen, wenn ich läugnete, dafs mir dieses ang-onehm gewesen. Allein
dem ohngeachtet, mache ich sowohl, als mein Bruder, mir ein (Gewissen Ew.
HochEdlen au verhehlen, dafs diese berahmte Gesdlschafit nch. von heyden
wenig Vortheil dfirlfte an Terspreehen haben, indem wirtheüs an« Unvermögen,
theils nach den itzigen Umständen zu ihrer ferneren Aufnahme etwas beyzu-
tragen uns nicht im Stande befinden. Ew. HochEdlen thun uns unrecht, wenn
Sie dieses Bekenntnifs als eine verstellte Weigerung ansehen. Der Wehrt der
angebotenen Ehre läfst gar keine Weiterung zu. Allein unsere Ehrlichkeit
vergönnet auch nicht, dieselbe anzunehmen, ohne dafs wir vorher sagen, die
Gesel1scha£ft lanffe Ge&hr sich mit ein Paar nnnütsen Qlied«?n beschweret au
sehen. Ew. HochEdlen, deran Pflicht es ist dieses an verhüten, können ver-
sichert seyn, dafs unsere Hochachtung gegen dieselbe gleich g^ofs bleiben
werde, wenn Sie gleich durch diese aufrichtige Vorstellung den Entschhiff»
fassen Roltcn Ihr Gewissen nicht zu beflecken. Von den Recensinnen der
beygeheuden Stücke habe ich keine einzige gemacht. Die Ursache davon
können Ew. HodiEdlen kfeht errathen. Diejenige geschickte poetische Feder,
von welcher mau einige Stficke nach dem Geschmack des Bra. Fontaine hat, ist
so gütig gewesen, dieses zu verrichten. Die Fortsetzung der Neufränckischen
ZeitnnpTf'n wüiische ich in der That sehr. Wie ich das erste Stück davon
recensirte, waren mir die Umstände davon unbekand, und sind es auch ge-
bliel»( ü, bis Ew. HochEdlen mir Licht zu geben beliebet, doch kan ich nicht
läugnen, dafs ich Ew. HochEdlen vor deren Verfasser gehalten. Die Wahl
der Artidcel, die ich ans dem ersten Stücke anführte, kan ich wohl nicht zu*
fiillig^ nennen, weil ich nahm was mir am besten gefiel. Waren sie von Ew.
HochEdlen, so würde ich in der That anfangen, von mir selbst zu glauben,
dafs ich cinifrerniafsen schmecken könne, was unter den Guten das Beste sey.
Sollte es nicht seyn, so wird es mir zur Erinnerung seyn, den Gil)rauch
der moralischen Zungea-Biirste noch nicht auftzugeben. Der Hr. Liceuliat le
Fevre ist Ew. HochEdlen vielleicht bekand. Dieser ehrliche Mann, wie er vor
einem Jahre schon es dahin gebradit^ dafs die teuische Oesellechafit in Jena,
deren Mitglied ei ist, meinen Brnder aufgenommen, so hat er mir jüngst aur
Nachricht j,'ügeljiu, dafs ich ehestens ein gleiches zu erwarten hätte. Ich mufs
Ew. HochEdlen dieses entdecken, Yielleicht leiden es die Gesetze beyder Ge>
Digitizcd by Lit.jv.'vi'^
— 151 —
«
sellHcliafften nii ht, dafs einer ein Deutscher und Teutsehcr vSncius zugleich seyu
köune. Uud ist dieses, so sind £w.Hocb£dIeD hierdurch völiig BuTser Gefahr
geMiwt^ imd hnnohea moht| wie wauA mSebte geiebaheii teyn, m «berlegen,
ob Sift in dieum Fall nadi Qanat oder nach Billigkeit und Becbt Tei&liren
wolten. Der neuen Übersetzung des Swiftischen Peri Bathos adie ich begiraig
entpregen, weil ich sie nicht weniger wohl gerathen zu seyn glaube als des Hxn.
Wolfens, und weil sie^mit Exenipeln, die dieser noch fehlen, versehen seyn
wird. Übrigens wird mir nichts angenehmer seyn, als öffters vou Kw. Hoch-
Edlen einige Zeilen zu lesen. Ich würde bitten, dafs Sie. dieselben mit einigen
AnMtaen, die dem gelehrten Artiekel meinar Z^tang, eine SSevde geben könntoi,
begleiten mqgten, wenn ich nidit wfiTst^, daft derp BoMsbifiligangen wichtiger
sind, als dala sie Ihnen Zeit liefsen an Kleinigkeiten zu gedencken. Wie der
Vortheil von urioj-rem Briefwechsel blofs auff meiner Seite ist, so bitte auch
die Küsten davon mir allein zu lassen, und wenn Kw. HochEdlen niit der Post
zu schreiben belieben sollen, die Briefe nicht frey zu machen. Der ich bin mit
«Her Hochachtung etc.
J. F. LiSCOW.
Hamburg, d. 18. Kot. 1788.
S.
HoohEdler, Hochgelehrter, Hochzuehrender Herr FrofesHor!
Vornehmer Gönner.
Ich wQrde Ew. HochEdlen mit meiner Zoichrifit beschwerliob gefhllen
seyn, wenn ich auch gleibh nicht, wie es itzo geschehen, dero geehrtes vom
5 Martii als eine Antwort auf mein Letzteres erhalten hätte. Die Freude,
welche ich empfinde, da Ew, HochEdlen die Würde eines ordentlichen T elinTs
der Methaphysick und Logick erhalten, ist viel zu grofs, als dafs ich dietielbe
nnentdecket lassen könte.
Die Yerdienite Bw. HochEdlen, welche mieh aum Yerdirer gehabt, ehe ieh
noch die Hoflhnng haben können, Bw. HochEdlen jemablen bekand an werden, sind
freylich so beschalÜBn, dafs Gluck und Stand allzeit kleiner und geringer als
dieselben bleiben werden: inde<<Hen da die erbmgte neue Ehren Stelle doch
einigermalsen dero Wcrtli belohnet, so giebt sie mir auch die billigste Ursache
vergnügt zu seyn, und Kw. HochEdlen zu bezeugen, wieviel Theil ich au deix>
Wohleigdien nehme. Idh lege daher in gegenwärtigen meinen aufnditigai
Glfickwunsch zu dero neuer Wfirde ab. Die Poesie und Beredsamkeit ist
Ew. HochEdlen den Flor, in welchem sie itzo stehet, einzig und allein schuldig.
Die Metaphysic und VernunflTt-Lehre verspricht sich vnn Ew HochEdlen gleiche
Vortheile. Es haben Ew HochEdlen in dero bey Antritt des neuen Amtes f»-e-
haliencn üede, vor deren Übersendung und andrer netten Gedichten, iusonder-
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- 1Ö2 —
htiii de» zärtlichen Scimfer Gedichts, ich Terhuuden bin, hiezu einen glück-
Hithmi Att&ng gemacht und ich sehe denen in ZttknnfPb Ton Ew. HochEdlen
zn «wütenden VemchtimgMi b^erig entgegen. Die Schmeidieley het tat
dem, was leb bishero von dero lO vortreftlichen Arbeiten rühmliches gesaKet,
nicht den frerino"st(Mi Antheil gehabt. Tob finde auch nicht UrHachn kiinfflig <lio
Sprache zu ünderii. Alle Welt ist mit mir einer Meinuu};. Könnten Ew.
HochEdien mir beweist, dafs es unerlaubt von seinen Freun'len die Walirheit
zu sagen, so würde ich swer «tÜIe seyn, allein deswegen nicht aofhören, Ew.
HochEdlen su bewundern und zn ehren.
Die- geneigten Gedanoken« welche Ew. HochEdlen von meinem Bnider
und mir zu hegen bezeugen, so beschfimt sie uns auch mechen, wenn wir die
wnhrp BpschaflFenheit unserer KräflTtp gegen dieselbe halten, so werden sie inis
doch zur AnfmiiTiternng diannn, un» Erlanjjung derieiiig"en Eigenschafl'tcn uns
zu beumhen, deren Maugel uns noch dieser guten Meynuug unwürdig macht,
und- Sobald wir nur apfiren, .deA wir in dieser Bemfibung glücklich gewesen,
so bald werdm wir uns aneb, xu Mittgtiedem der Deutsdien GeseUschafit an*
zubieten nicht uns ferner abhalten lassen. Däfern s<HMt Ew. HochEdlen ein
p^ewisscr Aufsatz, den man mir ztjpfesand, um selbigem einen Plat?. in den Neu-
frii n k i sdi en ZpttuTigpn 7M rrbitti.-n, solte eingereicht worden seyn, so will
gehorsamst ersucht haben, denselben nach aller nöthigen und beliebigen Ände-
rung, wie es seyn kan, einrücken zn lassen. Er hat den Zufall da M. SicTers
in Lübeck, unter der Predigt die Cantzd in der St. Jacobs-Kircke daselbst
mit einer natürlichen Feuchti<;keit zn beflecken das Unglück gehabt, zum
Grunde. Man hat sich darüber in Lübeck lustig genug gemacht. Ich weifs
nicht, ob die Verse, die icTi an ^Tr. Claudern davon übersand, Ew. HochEdlen
zu (Gesichte mögen gekommen seyn; so viel aber weifs ich, dafs es dem Hr.
Le Fe vre gar angenehm seyn würde, die Becension in gedachten Blittem zu
lesen. H. Sierers wird, nachdem ihm dieser Zufall begegnet» die Hand vom Pflug
ziehen und^ach Gopenhagen gehen, unter dem Uemsa Detbarding die Uedicin
zu studircn. Beygehende nagelneue Opera, die- hier TOr den Fasten elend
genug, wie die Beschaffenheit des hienifren Opern-Wesens es mit sich bringet,
aufgefiihreT worden, mag sehen, ob man sie der Ehre einer Beurtheilung wür-
dig halten wird oder niclit. Ich weil« zwar, daf« Ew. HochEdlen Zeit liiezu
viel zu kostbar. Allein es* nimmt sich vielleicht doch noch wohl ein anderer
geschickter Mann, davon Leipzig vor allen Stidten Deutschlands keinen Hanget
hat, die Mühe ihre Beschaffenheit zu untersuchen, dafem man auch die criti*
sehen Bcyträge damit nicht befleekeu wollte, so dächte ich doch, dafs sie zn
einem nicht weniger Instijren al.s lehireichen Aufsat/e in den iSeufränkisehen
Zeitungen Anlafs und Stoff geben könte. Ich bitte die Dreistigkeit meines
Begehrens und die Länge meines Briefes geneigt au entai^uldigen und beharre
mit aller gebührenden Hoehaehtnng und Efgebenheit etc.
Xiisoow.
Hamburg, den 10. April 1734.
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— 15B —
4.
HoohBdler» Hodigelebrter Eodunehmider Herr Profeatort
Vornehmer Gönner.
IXe gute Meynung, welche Ew. HochEdlen^ von mir zu hegen in dero
letctorü beiengen, mtfete ich Ew. HoehBdlen tu nehmen tuchen, wenn Ich tuMhi
Qewumn hendeln mite: Allein die Zofixedenbeit, irelohe Uik empfinde, muh
ohne all mein Verdienst und Würdigkeit in dero Onnst zn stebeiiy TerlBhilBfe'
mich so weit, dafs ich mit Hintansetzung; der Aufrichtigkeit Ew. HochEdlen
in den (!) mir so vortheilhafften Irrthum lassen rnnfs.
Ich will nur mit gegenwärtigein £w. HochEdlen meinen ergebensten
Daadc für die gehabte Bemdhungeii w^en dcB Anftatcei in den NeafÜnUachen
ZeitnngMi und für die Ihrem letsteren beygel^te Schriflib abitatten.
Ich habe derselben in beyliegendem Blatte Erwähnung gethan*, und Ew.
HochEdlen könnou deukcn , wie angenehm mir diesos Geschenke müsse
gewesen seyn, da ich dadurch Gelegenheit erhalten , den unverschämten
Stümper Philippi im Anfange der Becension seiner Mifsgebuhrt vortrefflich zu
charaoterisiren. Der Mensch mofs würcklich im Kopfe verrfickt seyn. Wie wfire
es sonst mdglioh, solch Zeug za sdbreiben, nnd ans Lieht an stellen; Ich»
wSrde die M ad. y. Ziegler bedanenif dafs ihr Nähme einer so nichtswürdigen
Sehiifll TOigedmckt worden, wenn ich nicht wftste, dafs bei der klugen Welt
dieses Verfahren eines unbesonnenen derselben f^r nicht nachtheilip- «''yn könne,
und überzeugt wäre, dafs Sie viel zu vernüufflig, als dafs Sie sich über einen
Zufall ärgern werde, den sie weder vorher sehen noch hindern können. Ich
habe fri^lich itio das Salb ins Auge geschlagen. Allein ich frage nichts dar^
nach, nnd will gar nidit mdtr mit ihm verbluhmt werden.
Den Aufsatz gegen Heumann würde ich nicht ermangelt haben
meinet) Blättern einrücken zu lassen, wenn er nicht für den Baum, der an
gelehrten Sachen gewidmet ist, zu lang gewesen wäre.
Ew. HochEdlen werden ihn in beyliegendcii Stücke der Nieder-Sächsi-
schen Nachrichten indessen finden, deren voriger Verfasser H. Leissner
sowohl ab der jetdge H. Eoltabecher sich Ew. HochEdlen durch mich
gehorsamst empfehlen lassen. Herr Professor Kohl ist gar an sehr dem Eerm
Heumann zugethan Er hätte ihn vielleicht erst gar nach Göttingen zur Censur
geaand, oder nach seiner Phantasie castriret. Ich habe ihn dahero damit
zu verschonen vor dienlich gehalten.
Ich wünsche nichts als Gelegenheit zu haben, Ew. HochEdlen in
wichtigen FSllen meine IHenstbegierde beaelgen au können, nnd bitte mir daan
dero Befehle aus, damit ich redit an den Tag legen könne, mit wie wahrer
Hochachtung ich aufrichtig s^ Ew. HochEdlen etc.
J. I'. Lifioow.
Hamburg, d. 26. May 1734.
* Mamburg. Corrt^. 1734. 25. Mai. vgl. oben S. 87, Aamerkanf 2.
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«
5.
HochEdler, Hochgelehrter, Hochzuehrender Herr Professor
Vornehmer Gönner.
Ew. HochEdUn geehrtes vom 15ten dieses habe ditreh H. Biohters Ein»
schlufs wohl erhalten. Es i^i >ii"" gar empfindlich gewesen, daraus zu ersehen,
dafs ich etwas unwahres von der Mad. v. Ziegler der Welt bekand gemacht.
Weil ich aber durch fremde Schuld gesündiget und iiieht davor kan, dafs dem-
jenigen, der mir die Nachricht gegeben, die Beschaffeiiheid der Sache nicht
besser bdcsnd gewesen ; so hofie ich aneh Bw. HochEdlea wwden »os diesem
Qnmde, diesen Fehler, welchen ich sofort nach erhaltener Brinnening gebessert,
bey Ihro HochwoMgeboren der Frau v. Ziegler zu entschuldigen, und derselben
unter Tersicbernng aller Ehrerbietung zu vermelden die Güte haben, dafs so
wenig ich die Unart ihrer Feinde jemahlen gebilliget, so wenig ich selbst auch
das geringste zu thun die Absicht gehabt, welches derselben mifsfalien oder sie
gar beleidigen könte. Der Brief von Ew. HoehBdlen in E. Eistners Gonvert
taji meinen Broder ist richttg eingelaitffisn, nnd ich habe nicht gewost^ dafil er
E]ir. HochEdlen die Antwort noch darauf schuldig» Ab ich uadi 3Srludtiing
dero Letztere eolohes erfahren. Er wird selbst sein überlanges Stillschweigen
entschuldigen, woran wohl nichts schuld, als dafs er sich im Mecklenburgischen
lange aufgehalten Was mich betrifft, so habe für die letztens mir gütigst ge-
schenkte Schriiften £w. UochEdt^a herzlich meine Erkeutlichkeit bezeuget in
einem Briefe, den ich an einm Studiosnm Nahmms Block adressiret Ich em'>
pfohle mich echliefslich Ew. BbohEdlen beetSndigen hohen . Wohlwollen und
beharre Ew. HochE^en etc.
J. F. Lisoow.
Hamburg, den 19. Jan. lldß.^
> Im Orlglaklbortefe allerdings die J«hreu«hl IIH. Dlea Ut jedoch swelfelloi ein
SohreiUehler. wie die Antpielnnfr »nf Frau V. ZIKOLKB beweist. Dieselbe bezieht sich auf die
im Sanititrg. Currenp. vom 22. Des. 17:)4 tnitfrctellte Nachricht: Fran v. Z. wolle auf ihre Dichtcr-
kfOwuif «ine Medaille schlagen UMen, und auf die am 18. Jannar 1735 f*bf»eltte Notiz, Frau v. 2.
wolle in Wittenberg Offeutitch InMnisch disputieren. Die Dementierung ImMmt KachrichtPn offblgt*
in (tor KuuMr 17 von S9. Jniww 1785, Infoign „dct 8«biellMnt tlam «otntbBwn OOnnan
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— löö —
III.
Christian Ludwig Liscow an Gottsched/
Hoch Edler und hoohgdebrier hoch su dmnder Heir FrofesBor.
Ich habe Ursache, Ew. HooAdL tansendmahl vap. Vei^ebung zu bittra,
dafs ich d«ro geehrtea Schreiben ao lange unbeantwortet gdassen. Ich habe
dadurch eine ünhoflichkeit begangen, die Ew. hodiedL Secht giebt, sich von
mir den schlechtesten Begriff von der We)' zu madien, und die idi mit nidita
entschnlflipfr'n kan
Nacb einem so aufrichtigen Bekennt ifa, hoffe ich, Ew. Hochedl. werden
die Güte haben, mir meinen Fehler zu verzeihen. Ich verspreche mir diebet*
um HO viel gewisser, je deutlicher die Proben sind, die Ew. HochedL in dero
geehrten Schreiben mir von dero gani beeondem Gewogenheit an geben beliebet
Ew. Ho( hedl. können glauben, dafs ich Ihnen davor sehr verbunden bin, und
den Beyfall t>in'»s so rortrcfliclioii Mannes vor eine Ehre schätze, die ich nicht
verdiene, rrtlieilen Ew. Hochedl. daraus, wie sehr ich durch das gar zu prrofse
Lob, so dieselben mir und meinen Schriften beygeieget, beschämet worden.
Zwar kan ich nicht leugnen, es timt mir nnd meines gleichen nngemelw sanfte
Ton Uinnem ihrer Art gelobet lu werden: Ab«r ich weif« auch, dafs es uns
nidit gesund ist. Wir laufen Gefahr dadurch stolts zu werden und Ew. HochedL
Ühuu also ein Werck der Liehe, wenn sie ins künftige mSC^fer von mir halten,
nnd aus denen Kleinigkt^iten, die ich um meiner Suude willen herausgegeben^
nicht mehr Wercks mnchen, als sie verdienen.
Per Autrag, eiueu deutschen Spectator abzugeben, welchen Ew. Hochedl.
mir zu thun bdi^t^ halte ich vor eine Yersnehung, da* idh mit allen XrSften
widerstehen würde, wenn midi gleich meine Umsti&nde nicht vorhinderten,
demselben Gehör zu geben. Ist ee moglioli, dass Ew. Hochedl. glauben können
ich sey fähig etwas zur Vorbosseninpf des Geschmackes heyzutrapren, da Ew.
Hochedl. durch ihre Lehren uTid durch ihr Exempel nicht verhindern können,
dafs ein Professor der Wohlredenbeit wider den Cicero schreibt?
Indenen hin idi Ew. Hochedl. vor die gute Meinung, so dieselben von
meiner Fahigkat haben, uhr verbunden. Ew. Hochedl. werdm mich aber ihnm
noch höher verpflichten, wenn Sie mir die Ehre thun zu glauben, dafs ich ihre
Verdienste aufrichtig verehre, dero Freundschaft und Gewof^enheit besonders
hoch schätze, und nichts mehr wünsche, als Gelegenheit zu haben Ew. Hochedh
in der That zu zeigen, mit wie vieler Hochachtung und Ei^ebenheit ich sey
Ew. Hochedl.
M. H. ProfesaorB
gehorsamiter Diener
LiBCOW.
Hamburg, den 28. Januar^^.^'^^jf^^V
1 10t Uelaen AbwttidiuaffMi iMntts fsdnuftt iMi ÜMKB* ■. S8S.
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